Usain Bolt hat das Image seiner Sportart entscheidend aufpoliert. Zum Abschied von London gelang ihm mit der Staffel noch ein Fabel-Weltrekord

London. Selbst einer, der sich selbst zur lebenden Legende ausruft, kann sich nicht alles erlauben. Das musste Usain Bolt, 25, in seinem letzten Rennen in London erkennen. Ein älterer Herr mit Hut war sein Problem. Just hatte die jamaikanische 4x100-Meter-Staffel den eigenen Weltrekord auf sagenhafte 36,84 Sekunden gedrückt und war Bolt mit ausgestreckter Zunge über die Ziellinie geflitzt, als dem Superstar Ärger dräute.

Schlussläufer Bolt wollte den Staffelstab gern behalten ("Um ihn hinterher von allen unterschreiben zu lassen"), der penible Kampfrichter im gesetzten Alter "sagte mir aber, das gehe nicht. Ich fragte: 'Warum?' Er antwortete: 'So ist die Regel. Und wenn Sie mir den Stab nicht zurückgegeben, disqualifiziere ich Sie.' Das war irgendwie eigenartig." Bolt grinste und sagte: "Ich habe ihm den Stab dann gegeben."

Es gibt also doch noch Regeln, die der schnellste Mann der Welt nicht brechen kann. Limits verschoben hat er bei diesen Olympischen Spielen dafür ja hinlänglich. Nicht nur mit der Staffel, welche die ebenfalls extrem schnellen Amerikaner (37,04 Sekunden) besiegte. Sondern vor allem, was seinen Status als Weltstar des Sports angeht.

London illustrierte: Die Leute lieben Bolt. Für seine anmutigen, imposanten Läufe. Für seine Mätzchen. Für seine professionelle Freundlichkeit. Und für seinen Habitus, der an einen nie erwachsen gewordenen Lausejungen denken lässt. Als Bolt am späten Sonnabend im Stadion gemeinsam mit dem britischen 5000- und 10 000-Meter-Doublegewinner Mo Farah (29) juxte, war das für die bisweilen dröge daherkommende Leichtathletik ein unbezahlbarer Imagegewinn.

Wenn das Stadion in London Olympias grandioseste Bühne war, dann waren Usain Bolts Auftritte immer große Oper. Nur an Abenden, als britische Athleten erfolgreich starteten, war das Gejauchze größer. Kein Sprinter hat vor Bolt zweimal in Folge bei den Spielen über 100 und 200 Meter gesiegt, mit dem Staffelerfolg ist seine Goldmedaillensammlung auf mittlerweile sechs Exemplare angewachsen.

"Usain Bolt ist der Retter der Leichtathletik", hat der greise Weltverbandspräsident Lamine Diack einmal gesagt. Augenscheinlich hat er recht. Mo Farah, in Großbritannien selbst ein Idol, schwärmte: "Usain Bolt ist eine lebende Legende. Was er für den Sport tut, ist fantastisch."

Im Grunde sei es so, sagte Paul Doyle, der Manager von Bolts jamaikanischem Konkurrenten Asafa Powell, der amerikanischen Zeitschrift "Sports Illustrated": "Usain Bolt ist der bestbezahlte Sportler in der Geschichte der Leichtathletik. Aber er ist wahrscheinlich auch der am meisten unterbezahlte Athlet in ihrer Geschichte."

Obgleich Heerscharen nachweislich gedopter Sprinter vor ihm nur weit schlechtere Zeiten zuwege gebracht haben, verschenken Sportfans - und nicht nur die - ihr Herz nach wie vor bereitwillig an den lässigen Jamaikaner. Fast scheint es paradoxerweise so, als mache ihn jeder Rekord, jeder sagenhafte nächste Sprint über den Verdacht künstlicher Leistungssteigerung erhabener. Sie gänzlich auszuräumen, ist Bolt freilich nicht in der Lage. Das scheitert schon daran, dass Jamaikas Antidopingaktivitäten nicht eben zu den forschesten auf der Welt gehören. Um es freundlich auszudrücken.

Wenn Bolt mit seinem kindisch um Aufmerksamkeit heischenden Staffelkumpanen Yohan Blake (22) blödelt, welche Bestmarken in Zukunft wohl noch alles von Jamaikanern pulverisiert werden, muss das auf die Konkurrenten wie Hohn wirken. Auffallend genug, dass fünf der sechs Medaillen über die beiden Sprintdistanzen durch Schützlinge von Trainer Glen Mills gewonnen wurden.

Bolt und Blake trainieren beide unter den Fittichen des Gurus im Racers Track Club auf Jamaika. Mills hat dort rund 50 Athleten um sich geschart. Und schon stehen die nächsten Talente parat, Bolts Erbe anzutreten: Der 21-jährige Jason Young etwa rannte die 200 Meter im Juli in Luzern/Schweiz in 19,86 Sekunden. Jazeel Murphy sprintete die 100 Meter vor zwei Jahren bei den landesweiten Schulwettkämpfen in Kingston in 10,41 Sekunden. Da war er 15 Jahre alt. Hymnisch verehren die Sprinter ihren Trainer, einen medienscheuen, bärbeißigen Mann. "Er ist ein Genie", sagt Bolt, während Blake schwärmt: "Der Gott der Leichtathletik! Er hat mein Leben verändert." Geheimnisse seines Erfolgs mag Mills nicht verraten. Nur mit Doping, versichert Mills, habe alles nichts zu tun: "Ich würde mich nie gut fühlen", sagt er, "wenn ich wüsste, etwas nur gewonnen zu haben, weil ich es drauf angelegt hätte zu betrügen."

Die besten Bilder von Usain Bolt unter www.abendblatt.de/usainbolt