Die deutschen Hockeyherren besiegen Weltmeister Australien 4:2 und können morgen gegen die Niederlande ihren Titel verteidigen

London. Max Weinhold ahnte nichts, als er sich daranmachte, die Spuren des Spiels zu beseitigen. Er sammelte die Schoner und Gesichtsschützer ein, die die deutschen Feldspieler für die Strafecken hinter seinem Hockeytor deponiert hatten. Als sich Weinhold schließlich umdrehte, sah er Tobias Hauke vom Harvestehuder THC plötzlich auf sich zustürmen, dicht gefolgt von den anderen Spielern. Weinhold fand gerade noch Zeit, die Fundsachen wieder wegzuwerfen, bevor er unter einem wilden Knäuel glücklicher Menschen verschwand.

Woher die deutschen Spieler noch die Kraft für diesen finalen Spurt genommen hatten, wird wohl für immer ein Rätsel bleiben. Man hatte eigentlich erwartet, dass sie vor Erschöpfung zu Boden sinken würden nach einer schier unglaublichen Energieleistung. Mit 4:2 (1:1) hatten sie im Halbfinale den Weltmeister Australien besiegt und damit die Chance gewahrt, morgen im Endspiel den Triumph von Peking 2008 zu wiederholen (21 Uhr). Gegner ist der Erzrivale aus den Niederlanden, der im zweiten Halbfinale Gastgeber Großbritannien mit 9:2 (4:1) deklassierte.

Es gab nicht mehr viele, die diesen Gang der Dinge für möglich gehalten hätten, so wie sich der Titelverteidiger durch die Vorrunde gewurschtelt hatte. Nicht einmal auf den Kampfgeist schien noch Verlass zu sein. In die 1:3-Niederlage gegen die Niederlande hatte sich die Mannschaft von Bundestrainer Markus Weise recht früh gefügt.

Und dann ein solches Spiel. "Das beste, das ich je mit der Nationalmannschaft erleben durfte", schwärmte Moritz Fürste. Was schon etwas heißen will: Der Hamburger kann auf rund 200 Einsätze zurückblicken. Fürste, 27, versicherte hinterher, dass die Mannschaft nie daran gezweifelt habe, zu einer solchen Leistung in der Lage zu sein: "Man kann bei einem solchen Turnier nicht in sieben Spielen bei 100 Prozent sein. Es ist eine unserer großen Stärken, dann das höchste Niveau zu erreichen, wenn es darauf ankommt."

Gestern kam es darauf an, streng genommen zum ersten Mal in diesem Turnier. Das 1:3 gegen die Niederlande hatte den Gruppensieg gekostet, nicht aber das Halbfinale. Dieses Ziel war bereits vor dem 5:5 gegen Neuseeland im abschließenden Gruppenspiel erreicht. Als seine Mannschaft in jenem Spiel noch einen 2:5-Rückstand wettmachte, spürte Markus Weise bereits, dass sie in diesem Turnier noch etwas Großes leisten könnte. Auch der Bundestrainer war sich "relativ sicher, dass wir noch zulegen können".

Sie konnten. Und sie ließen sich auch nicht vom Weg abbringen, als Glenn Turner die Australier anfangs der zweiten Halbzeit mit 2:1 in Führung stocherte. Damit war das Ergebnis erreicht, mit dem der Weltranglistenerste die Deutschen im WM-Finale vor zwei Jahren besiegt hatte. Diesmal aber kam als Reaktion ein Tor, das für Fürste "vielleicht das schönste war, das es im Hockey je gegeben hat": Oliver Korn hatte den Ball mit einem weiten Schlenzer nach vorn befördert. Der Krefelder Oskar Deecke ließ den Ball aus der Luft auf seinen Schläger tippen, dann noch ein zweites Mal, und mit der dritten Berührung lupfte er ihn über den verdutzten Nathan Burgers hinweg ins Ziel (48. Minute). Ein Kunstwerk von einem Tor.

Die Riverbank Arena bebte vor Begeisterung. Doch mitten in den Jubel fiel die Entscheidung des Videoobmanns: Das Tor zählte nicht. Deecke hatte den Ball oberhalb der Schulter angenommen. "Formal eine richtige Entscheidung", sagte Weise. In einigen Jahren würde diese Regel wahrscheinlich abgeschafft.

Gestern aber hat sie den Deutschen vielleicht sogar genützt. Nicht nur Fürste hatte den Eindruck, "dass nach der Entscheidung die Stimmung der neutralen Zuschauer zu unseren Gunsten gekippt ist und noch mal ein Ruck durch unsere Mannschaft ging".

Die Wende leitete Matthias Witthaus mit einem Unterzahltor ein (54.). Timo Weß nutzte vier Minuten später eine Strafecke zur Führung. In der ersten Halbzeit hatte auch Fürste aus der Standardsituation zum Ausgleich getroffen (27.). Nur eine Strafecke ließen die Deutschen ungenutzt - auch das eine klare Steigerung zur Vorrunde. Fürstes UHC-Kollege Florian Fuchs schließlich vollendete einen perfekten Konter mit seinem sechsten Turniertor (63.).

Heute Abend wird Weise mit der Vorbereitung des Finales beginnen. Vielleicht wird er wieder einen anderen Besprechungsraum dafür auswählen, wie er es schon vor dem Halbfinale getan hatte, um einen neuen Reiz zu setzen und die Aufmerksamkeit seiner Spieler zu erhöhen. Wenn sie dann ins Bett gehen, sollen sie sich Gedanken über ihre große Aufgabe machen. "Man verarbeitet das ja im Schlaf, ob man will oder nicht", sagt Weise.

Das Schwierigste sei, die Zeit des Nichtstuns zu überbrücken. Die Olympischen Spiele im Fernsehen zu schauen sei okay. Playstation zu spielen hat der Trainer seinen Spielern aber untersagt: "Das kostet Energie." Und die muss morgen noch für mindestens 70 Minuten reichen.