Das junge deutsche Segelteam bleibt erstmals seit 2004 wieder ohne Medaille, lässt sich aber von der prächtigen Stimmung vor Ort anstecken

Portland. Als Friederike Belcher gestern erwachte, war sie ein bisschen traurig, weil sie spürte, dass ein solcher Tag nie wiederkommen würde in ihrem Leben. Auf dem Programm standen die abschließenden Wettfahrten bei ihren ersten Olympischen Spielen, die wohl ihre letzten bleiben werden. Und dann hingen auch noch Regenwolken über Weymouth und Portland.

Als Belcher und Steuerfrau Kathrin Kadelbach am Nachmittag ihre 470er-Jolle an Land zogen, schien die Sonne über dem olympischen Segelrevier, aber die Stimmung der beiden Hamburgerinnen hatte sich nicht aufgehellt. Platz 14 und Platz elf, mehr war nicht drin gewesen am fünften Regattatag. "Wir wollten eigentlich noch mal richtig vorn angreifen", sagte Kadelbach, "aber leider sind gerade die schlechter platzierten Teams radikal über den Kurs gesegelt." Sie und Belcher werden morgen somit als Achte ins Medaillenrennen gehen, das doppelt gewertet wird und in dem nur die besten zehn der 20 Boote starten dürfen (14 Uhr). Wenn es gut läuft, kann sich die Besatzung des Norddeutschen Regatta-Vereins noch um zwei Plätze verbessern. Rang vier zu erreichen bleibt ein Rechenspiel.

Bis morgen werden Kadelbach, 29, und Belcher, 30, es vielleicht als Erfolg verbucht haben, dass sie zur besseren Hälfte des Feldes gehören. Das kann ja nicht jeder der zwölf Teilnehmer behaupten, die der Deutsche Segler-Verband (DSV) in Weymouth ins Rennen geschickt hat. Wie schon 2004 in Athen bleibt die Mannschaft ohne Medaille. Insgesamt habe man aber mit je einem vierten und fünften sowie zwei sechsten Plätzen ein sehr gutes Gesamtergebnis abgeliefert, findet Leistungssportdirektorin Nadine Stegenwalner: "Wir können stolz auf das Erreichte sein. Dass es bei den Surfern so knapp nicht gereicht hat, ist natürlich sehr schade."

Toni Wilhelm hatte sich erst im Medaillenrennen noch vom dritten Platz verdrängen lassen. Der 29-Jährige vom Bodensee ist der einzige Deutsche, der in Weymouth nicht seine olympische Premiere gegeben hat. "Wir dürfen nicht vergessen, dass die Mannschaft mit durchschnittlich 27 Jahren die jüngste aller Zeiten ist", sagt Oliver Schwall. Der frühere Hamburger Weltmeister rief vor zwei Jahren das Sailing Team Germany (STG) ins Leben, das die Interessen der Leistungssegler bündeln und bedienen soll. Schon damals aber sei klar gewesen, dass die Zeit zu knapp sein würde, um das Ruder bis zu diesen Spielen herumzureißen: "Unser Ziel war von Anfang an Rio 2016." Weymouth könne man unterm Strich als durchaus erfolgreiche Etappe verbuchen. Bestätigt fühlt sich Schwall durch das gute Abschneiden Wilhelms und der fünftplatzierten Kielerin Moana Delle. Für die Surfer hatte das STG zusätzliche Trainingseinheiten finanziert.

"Wir hätten den beiden so gewünscht, dass sie für ihre Superleistung belohnt werden", sagte Kadelbach. Doch auch ohne Medaille sei die Stimmung prächtig in dem schmalen zweigeschossigen Haus, in dem die deutschen Segler untergebracht sind: "Wir sind hier als Team richtig zusammengewachsen." Und es gebe nicht viel, was von der Konzentration auf die Regatten ablenken könnte.

Die Segelwettbewerbe sind so etwas wie Spiele in den Spielen - eine kleine olympische Exklave, in der der Pulsschlag des Olympiaparks in London nur eine entfernte Ahnung ist. Rund drei Stunden dauert die Zugfahrt von der Hauptstadt durch den fruchtbaren Süden Englands zum Küstenort Weymouth. Von dort geht es über eine natürliche Landbrücke auf die Isle of Portland, einen Kalksteinfelsen, der in den Ärmelkanal hineinragt und den Wind häufig unberechenbar macht. In unmittelbarer Nähe des Hafens wurden für rund 400 Athleten 77 jener kleinen Wohneinheiten geschaffen, deren Architektur preisgekrönt ist. Sie werden nach den Paralympics im September zu Sozialwohnungen umgewandelt.

Auf der anderen Seite der Bucht liegt die ehemalige Festung Nothe Fort. Bei den Regatten versammeln sich auf dem Hügel bis zu 5000 zahlende Zuschauer und jubeln mit Fähnchen Ben Ainslie und ihren anderen Lieblingen zu. Schwall war von der Partystimmung beeindruckt: "Noch nie haben so viele Menschen hautnah am Segelsport teilgenommen. Die Briten haben uns mit ihrer Organisation einen großen Dienst erwiesen." Sollte jemand im Internationalen Olympischen Komitee ernsthaft erwogen haben, Segeln aus dem Programm zu streichen, könne man jetzt aufatmen. Sogar der britische Premierminister David Cameron würdigte anlässlich eines Besuchs vor Ort die Segler: "Viele Zuschauer werden sich von den Athleten inspirieren lassen, selbst mit dem Sport anzufangen." Nicht zuletzt stellten die Wettbewerbe eine "hervorragende Werbung" für Weymouth und Portland dar.

In Rio dürfen die Segler 2016 wieder ins Zentrum der Spiele rücken: Der Regatta-Yachthafen Marina da Glória liegt mitten in der Stadt. Nur könnten die Windbedingungen schwieriger werden als in der Bucht von Weymouth und im Hafen von Portland, wo das Wetter entgegen seinen sonstigen Gewohnheiten recht beständig blieb. Ein einziges Rennen musste um zehn Minuten verschoben werden - weil es sich das Fernsehen so gewünscht hatte.

In vier Jahren soll Deutschland nach dem Plan des DSV wieder den Anschluss an die führenden Nationen gefunden haben. Von den Erfahrungen von Weymouth und Portland könne man aber nur profitieren, wenn viele Segler an Bord blieben. "Wir wollen nicht wieder mit einer unerfahrenen Mannschaft antreten, sondern so viel Wissen wie möglich bewahren", sagt Stegenwalner.

Bei der Zweihandjolle 470er muss der DSV nach einer neuen Frauenbesatzung Ausschau halten. Für Kadelbach und Belcher wird das morgige das letzte gemeinsame Rennen sein. Vorschoterin Belcher will sich auf ihr Studium in Australien konzentrieren. Kadelbach kann sich eine zweite Olympiakampagne vorstellen: "Wenn man von einer Sache überzeugt ist, will man sie auch richtig machen - also eine Medaille mit nach Hause bringen."