Am Sonntagabend startet der Sprintstar aus Jamaika über 100 Meter. Der härteste Gegner ist sein Trainingspartner Yohan Blake.

London. Der schnellste Mann der Welt ist ein Langschläfer. Deshalb hat Usain Bolt für den Alltag in seinem Haus in Kingston auf Jamaika eine goldene Regel aufgestellt: "Weckt mich nie so früh!" Manchmal aber verschläft er sogar den Startschuss bei einem Sprintrennen - wie bei der Leichtathletik-WM 2011. Bei der 100-Meter-Entscheidung in London an diesem Wochenende muss der 25-Jährige aber ausgeschlafen sein. Wie vor vier Jahren in Peking und bei der WM 2009 in Berlin will Bolt dreimal zu Gold rennen: über 100 und 200 Meter und mit dem Jamaika-Express über 4x100 Meter.

Noch ist Bolt der Star im olympischen Dorf. Sogar beim Essen wird er von Autogrammsammlern umringt und in der Kantine schon mal beklatscht. Wie soll das erst werden, wenn der Mann mit der Startnummer 2170 sich zum ersten Mal im Olympiastadion zeigt? Macht er dann den "Bogenschützen"? Viel wichtiger als die Showelemente sind aber die Antworten auf die Fragen: Wie ist Bolt drauf? Stimmt die Form? Schließlich hat der Jamaikaner seine beiden letzten Rennen verloren - und das gegen einen Landsmann aus der gleichen Trainingsgruppe: 100-Meter-Champion Yohan Blake.

Das Wort Niederlage hat Bolt aus seinem Wortschatz gestrichen. Zweifel an seiner Goldmission scheint er nicht zu haben. "Ich habe mir vorgenommen, wieder so erfolgreich zu sein wie vor vier Jahren", sagte er in einem Interview der "Welt". "Ich möchte endgültig zur Legende werden. Mit der Wiederholung der Leistungen von Peking wird mir das gelingen." Allerdings ist die Goldmedaille nicht das alleinige Ziel. "Ich will auch der schnellste Mann der Welt bleiben", fügte Bolt hinzu. "Das ist ein Titel, den ich nicht abgeben möchte. So muss ich dann wohl auch wieder Weltrekord laufen, um als Erster in London über die Ziellinie zu kommen."

Dass ein Weltrekord in London drin ist, glaubt auch Lamine Diack, Präsident des Leichtathletik-Weltverbands IAAF. "Wenn Usain Bolt in Form ist, dann werden wir eine 9,40er-Zeit über 100 Meter sehen." Bolts Weltrekord steht seit der WM 2009 in Berlin bei 9,58 Sekunden. Auch John Barrow, Mathematik-Professor an der Cambridge University, hat eine mögliche 9,40 berechnet. Dafür müsste Bolt nicht mal schneller flitzen, sondern nur seine Reaktionszeit am Start verbessern.

Dieses Problem hat der Schützling von Trainer Glen Mills erkannt. "Meine Starts sind noch nicht so, wie Glen Mills es mir immer wieder sagt", meinte Bolt in der "Welt". "Ich muss lernen, schneller in meinen Rhythmus zu kommen. Die 100-Meter-Distanz ist so kurz, da geht alles so schnell." Wichtig sei es, vom Start weg perfekt zu laufen, so Bolt. "Auf den ersten 40 Metern habe ich noch Reserven, auf den letzten 40 Metern bin ich nicht mehr zu stoppen."

Hartes Training gehört dazu. In diesem Punkt könnte Kumpel Blake ein Vorbild für Bolt sein. Wegen seines Übungseifers wird der Weltmeister auch "das Biest" genannt. Zu den Olympischen Spielen reiste nicht Bolt, sondern Blake als schnellster Sprinter des Jahres an. In 9,75 Sekunden schlug der Weltmeister seinen Freund bei den Trials in Kingston mit persönlicher Bestzeit. Bolt weiß um die Stärke von Blake, schätzt aber auch andere Starter als überaus schnell ein. "Yohan Blake in erster Linie, dann Asafa Powell, Tyson Gay und auch Michael Frater sowie drei, vier andere, die ebenfalls sehr schnell sein werden", so Bolt in der "Welt".

Herausforderer Blake weiß, dass er nur mit einem Olympiasieg aus dem Schatten Bolts treten kann. Sein Weg zum WM-Sieg in Daegu war schließlich nur frei, weil der Topfavorit zu einem der größten Fehlstarter der Leichtathletik-Geschichte avancierte. Das soll Bolt in London kein zweites Mal passieren. Der Mann aus Trelawny Parish hat das Zeug zum Megastar dieser Spiele. Dafür hat er seit seiner Jugend hart gearbeitet. Schon mit 15 wurde Bolt vor seinen Fans in Kingston Juniorenweltmeister über 200 Meter, bis heute seine Lieblingsstrecke. Nach zehn Jahren Leistungssport ist der dreifache Welt-Leichtathlet des Jahres überzeugt, dass Talent ohne Leidenschaft wertlos ist. Diese Leidenschaft wird Bolt in London benötigen. Und er ist zuversichtlich: "Ich denke, eine flache 9,4 wäre machbar", sagte der jamaikanische Sprintstar der "Welt" und fügte hinzu: "Dann muss aber auch alles passen: das Wetter, die Bahn, die Konkurrenz, der Start, die eigene Verfassung. Ja, wenn das alles an einem Tag zusammenkommt, dann kann es eine 9,4 geben. Ich kann das schaffen. Vielleicht gelingt es mir in London."