Die Hamburger Beachvolleyballerinnen Goller/Ludwig erfuhren ihre Spielansetzung erst in der Nacht - und siegten dennoch souverän

London. Dem morgendlichen Spaziergang ins olympische Viertelfinale ließ Beachvolleyballerin Laura Ludwig die Attacke auf London 2012 folgen. "Die Stimmung hier ist riesig, aber die Organisation bleibt eine Katastrophe", schimpfte die zweimalige Europameisterin mit müden Augen: "Das ist unmöglich, wie das hier läuft. Das geht gar nicht. Wir haben erst spät in der Nacht erfahren, dass wir schon um neun Uhr anzutreten hatten. Ich habe kein Auge zugemacht und habe zum ersten Mal ein Spiel bestritten, ohne zuvor geschlafen zu haben."

Das war passiert: Die erste K.-o.-Runde des olympischen Beachvolleyballturniers, das Achtelfinale, konnte nach Beendigung der Hoffnungsrunde am Donnerstag erst kurz vor Mitternacht ausgelost worden. Die beiden deutschen Frauenteams, die Hamburgerinnen Goller/Ludwig und Katrin Holtwick und Ilka Semmler aus Essen, hatten dabei doppeltes Pech. Zum einen, dass sie im direkten Duell gegeneinander spielen mussten, zum anderen, dass ihr Treffen am nächsten Morgen als erstes auf dem Centre-Court an der Horse Guards Parade angesetzt worden war - zunächst um zehn Uhr Ortszeit (11 Uhr MESZ).

In diesem Wissen gingen die Spielerinnen gegen 0.30 Uhr ins Bett und stellten ihre Handys ab. Kurz danach wurde die Ansetzung um eine Stunde vorverlegt. Im Internet stand weiter der alte Termin, bis zum nächsten Morgen. Raimund Wenning, der Delegationsleiter der deutschen Volleyballer, hatte jedoch gegen halb zwei Uhr nachts einen Anruf der Organisatoren erhalten. Danach machte er sich sofort auf den Weg, um seine Spielerinnen zu informieren. Alle waren gerade eingeschlafen und nahmen die Änderung mit Unmut zur Kenntnis. Statt um sieben Uhr mussten sie jetzt um sechs Uhr aufstehen, um sich körperlich und mental vorzubereiten. Goller indes war nicht zu erreichen. Sie wohnt während der Spiele meistens nicht im olympischen Dorf, sondern, um mehr Ruhe zu haben, in einem Appartement, das der Volleyballverband in der Stadt angemietet hatte. Wenning fuhr sofort dorthin und stand gegen halb drei Uhr vor ihrer Zimmertür. Erst nach langem heftigen Klopfen öffnete Goller. Danach war auch für sie nicht mehr an Schlaf zu denken.

"Natürlich ist das Wohlbefinden der Athleten unsere erste Priorität. Aber wir sind jetzt in der K.-o.-Phase, und da muss der Spielplan in Verhandlungen zwischen dem Organisationskomitee von London, der FIVB und dem Fernsehen festgelegt werden. Und die können dauern", rechtfertigte Richard Baker, Pressechef des Volleyball-Weltverbandes FIVB, das Terminchaos. "Da spielte das Fernsehen natürlich auch eine wichtige Rolle. Und irgendjemand musste ja das Morgenspiel machen."

Die Aufregung über die widrigen Umstände dauerte dann länger als das Spiel selbst. Goller/Ludwig siegten vor 11 000 Zuschauern in 37 Minuten überraschend souverän mit 2:0-(21:16, 21:15)-Sätzen. Es war ihr 14. Erfolg im 16. Duell mit ihren ärgsten nationalen Konkurrentinnen, die sich zuletzt über ihr Management als das momentan beste deutsche Team verkaufen und feiern ließen. Als Olympianeunte dürfen Holtwick/Semmler nun die Heimreise antreten. Sie wollen zunächst noch ein paar Tage in London bleiben.

"Es war schwerer, als es ausgesehen hat. Am Ende hat sich aber auch unsere Erfahrung durchgesetzt. Wir waren im Gegensatz zu Katrin und Ilka schon 2008 in Peking bei Olympischen Spielen. Da ist vieles nicht mehr so aufregend wie beim ersten Mal", sagte Ludwig: "Es ist natürlich blöd, wenn man bei so einer Veranstaltung gegen eigene Mannschaftskolleginnen spielen muss. Aber ich freue mich natürlich, dass wir weiter sind. Jetzt wollen wir auch ins Halbfinale." Zunächst warten indes die topgesetzten Weltmeisterinnen Larissa/Juliana aus Brasilien. "Aber auch gegen die haben wir schon gewonnen", sagte Goller. Zuletzt am 15. Juni beim Grand-Slam-Turnier in Rom mit 2:1 Sätzen. Und: Das Spiel ist für Sonntagabend gegen 19 Uhr vorgesehen - falls sich daran kurzfristig nichts ändert.

"Die Pflicht ist erledigt, jetzt folgt die Kür", sagte Olaf Kortmann, Teamchef und Mentaltrainer von Goller/Ludwig. Nach Platz neun in Peking, eher eine Enttäuschung für die beiden, traut der Hamburger seinem Duo in London sogar eine Medaille zu. "Sie haben begriffen, dass sie bei Olympia nicht perfekt spielen müssen, weil unter diesen aufregenden Begleitumständen hier niemand perfekt spielt. Es reicht, wenn du ausreichend gut spielst. Das bedeutet: Fehler sind erlaubt, sie gehören dazu und sind einfach zu akzeptieren." Goller/Ludwig scheinen dieser Linie zu folgen. Und dass sie ausgerechnet schlaflos ihre bisher beste Olympiavorstellung gaben, zeugt von ihrer stabilen psychischen Verfassung. "Sie sind in diesem Turnier weiter gereift", sagte Kortmann.

Die beiden deutschen Männerteams spielen ihr Achtelfinale am Sonnabend. Die Europameister Julius Brink/Jonas Reckermann treffen auf ihrem Weg zur angepeilten ersten deutschen Beach-Olympiamedaille seit zwölf Jahren, damals holten die Hamburger Jörg Ahmann und Axel Hager in Sydney Bronze, auf die Letten Samoilovs/Sorokins. Jonathan Erdmann/Kay Matysik spielen danach am Abend gegen die topgesetzten Weltmeister Alison/Emanuel aus Brasilien.