Der gebürtige Hamburger über seine Motivation nach drei Schulteroperationen, über Federer, Nadal und warum er im Juli nicht am Rothenbaum spielt.

Abendblatt:

Herr Haas, Sie haben gute French Open erlebt, hätten fast sogar im Achtelfinale Roger Federer gestürzt. Man hat den Eindruck, Sie hätten sich in der Weltspitze zurückgemeldet.

Tommy Haas:

Ich kann nicht nach einem Turnier die Erwartungen in den Himmel schrauben. Aber ich habe stets gesagt, dass man mich nicht aufs Abstellgleis stellen soll. Ich fühle mich nicht wie 31, ich bin motiviert, richtig heiß auf Tennis. In mir brennt noch das Feuer, und das kann ich auch einige spüren lassen da draußen auf dem Platz.

Abendblatt:

Sind Sie selbst ein wenig erstaunt über die Hartnäckigkeit, mit der Sie sich jetzt immer wieder nach den Verletzungsqualen zurückgemeldet haben?

Haas:

Ich bin stolz auf mich, dass ich das geschafft habe. Aber es gab natürlich Momente, in denen ich alles hinschmeißen wollte. Wenn du diese Folter wieder vor dir hast im Kraftraum, die ewigen Trainingseinheiten ohne echtes Match - dann denkst du: Mensch, du könntest es auch einfacher haben und jetzt Schluss machen. Aber dann siehst du im Fernsehen wieder ein geiles Match auf einem dieser tollen Centre-Courts und weißt: Da willst du auch noch mal hin. Und du stellst einfach fest: Das ist immer noch dein Leben.

Abendblatt:

Sie haben mal gesagt, Ihre Freundin Sara Foster sei eine große Motivationshilfe für Sie.

Haas:

Sie weiß, dass ich tief in meinem Herzen ein Tennisspieler sein will, dass es mein großer Wunsch und Wille ist, noch Erfolge zu haben. Wenn sich mal der Schlendrian einschleicht, klopft Sie mir auf die Schulter und sagt: Vergiss deine Arbeit nicht. Da ist sie unnachgiebig. Sie spielt inzwischen auch selbst ganz gut Tennis, aber sie sagt immer: Die Spiele, die du da spielst auf der Tour, so etwas würde ich nervlich nicht überleben. Sie hat genug zu leiden, wenn sie auf der Tribüne sitzt.

Abendblatt:

Macht es Ihnen die häufige Begleitung von Sara leichter, noch immer in der Weltgeschichte herumzureisen?

Haas:

Klar. Es ist einfach schön, diese gemeinsamen Reisen, all die Eindrücke und Erfahrungen zu teilen. Wenn das Tennisspiel vorbei ist, tauchen wir gemeinsam in eine andere Welt ein. Und vieles ist ja auch neu für sie: Wir waren jetzt beim Bergwandern in Kitzbühel, danach in Bayern unterwegs - und dann kam auch noch Paris, diese wunderbare Stadt, in der sie noch nie war. Das war eine tolle Zeit.

Abendblatt:

Paris, das war eben auch das Match gegen Federer, der knapp verpasste Sieg. Haben Sie den entscheidend vergebenen Breakball noch vor Augen, bei 4:3 und 40:30 im dritten Satz?

Haas:

Den kriegst du so leicht nicht aus dem Kopf. Der spukt da sicher noch Monate, wenn nicht Jahre herum. Aber es ist auch so ein Federer-Moment gewesen. Federer wäre nicht Federer, wenn er nicht solche Bälle mit höchstem Risiko in höchster Bedrängnis spielen würde. Das war ein Ball, der ihn charakterisiert, der ihn als Champion ausweist.

Abendblatt:

Wird Federer auf Platz eins der Rangliste zurückkehren?

Haas:

Davon gehe ich aus. Ich hätte nicht gedacht, dass Federer einmal einen solchen Gegenspieler wie Rafael Nadal erhalten würde.

Abendblatt:

Wie sehen Sie Nadal?

Haas:

Er ist genau so angenehm und höflich wie Roger. Ein Typ, der Format hat, der fast schüchtern und zurückhaltend wirkt, wenn er nicht auf dem Tennisplatz steht. Er verbreitet die Aura eines Führungsspielers, so wie er auftritt in der Players Lounge, in der Umkleidekabine oder bei Meetings der Profis. Mit Roger verbindet mich aber eine längere Freundschaft.

Abendblatt:

Andy Murray und Novak Djokovic gelten als härteste Herausforderer der großen zwei. Sind Sie schon auf diesem Niveau wie Nadal oder Federer?

Haas:

Da ist weiter eine Lücke zwischen Nadal und Federer und dem Rest der Welt. Natürlich ist der Wettbewerb viel schärfer geworden - es ist wirklich so, dass auch die Besten nie entspannt in ein Match gehen können.

Abendblatt:

Siehe Robin Söderling, siehe Juan Martin del Potro, siehe auch Haas in Paris.

Haas:

Manchmal taucht da wirklich einer aus dem Nichts auf. Einer, der jahrelang nicht auf dem Radar war, der aber das Potenzial hat, sich im Rausch zu etwas ganz Großem aufzuschwingen.

Abendblatt:

Fast anderthalb Tennis-Jahrzehnte haben Sie selbst auf dem Buckel. Wie sieht die Rechnung aus?

Haas:

Ich weigere mich innerlich dagegen Bilanz zu ziehen. Aber es passiert einfach, dass man sich fragt: Was waren das nun für Jahre im Profitennis?

Abendblatt:

Wie lautet die Antwort?

Haas:

Der Traum vom Daviscup-Sieg ist nicht in Erfüllung gegangen, der Traum vom Grand-Slam-Erfolg auch nicht. Die dauernden Verletzungen waren schuld daran. Seit ich 24 war, hatte ich immer diese Rückschläge zu verkraften. Aber es gibt auch große Posten auf der Plusseite: Olympiasilber 2000, Platz zwei in der Weltrangliste 2002, Grand-Slam-Halbfinals.

Abendblatt:

Ihr amerikanischer Mentor und Lehrmeister Nick Bollettieri hat einmal gesagt: Haas schöpft sein Talent nicht voll aus.

Haas:

Kann sein. Aber das hat er in meiner frühen Zeit als Profi gesagt - und Nick war sauer, weil er mich eben mag. Da war ich nicht ernsthaft genug. Da hatte ich nicht die Reife, die ich heute habe. Selbst nach der ersten Operation hatte ich noch nicht erkannt, wie sehr das mein Leben als Profi auf den Kopf stellen würde.

Abendblatt:

Sie haben sich mal darüber beklagt, dass kaum junge deutsche Spieler Sie fragten: Wie muss ich dies und das machen im Profigeschäft?

Haas:

Ich bin keiner, der auf die Jungs zugeht. Aber ich bin offen für jedes Gespräch, gebe gerne Tipps, wenn man mich fragt. Ich habe es ja früher auch so gemacht.

Abendblatt:

Warum produziert Deutschland keine neuen Grand-Slam-Champions?

Haas:

Einen Nadal, einen Federer - den kannst du dir nicht basteln. Mit dem Fördersystem in Deutschland kenne ich mich zu wenig aus. Aber inzwischen kommen wieder ein paar starke Burschen nach - Zverev und Beck zum Beispiel. Kohlschreiber hat das Zeug, um in die engere Weltspitze zu kommen. Aber er muss Siege wie gegen Djokovic bestätigen. Das ist die Krux: Die Guten spielen das ganze Jahr auf hohem Niveau, dahin zu kommen, ist die Herausforderung.

Abendblatt:

Sie selbst tauchen bei den deutschen Turnieren kaum noch auf, auch am Rothenbaum werden Sie Ende Juli fehlen.

Haas:

Leider finden die ja alle auf meinem Lieblingsbelag statt (lacht) - auf Sand. Wir brauchen wieder ein Top-Hallenturnier, ein Turnier, wo sich die meisten deutschen Spieler wohlfühlen. Wenn jemand ein solches Turnier veranstalten will, bin ich der Erste, der ihm hilft und mitspielt.

Interview: Jörg Allmeroth