Judith Arndt und Tony Martin trotz gebrochener Hand werden im Zeitfahren kurz hintereinander jeweils Zweite

London. An das Geisterschloss von Heinrich VIII. in London werden sich gleich zwei deutsche Radprofis mit Freuden erinnern. Tony Martin strahlte über das ganze Gesicht, als DOSB-Präsident Thomas Bach ihm gestern bei der Siegerehrung vor historischer Kulisse zur Silbermedaille gratulierte. Ebenso glücklich hatte zwei Stunden zuvor Judith Arndt ihr glänzendes Schmuckstück präsentiert. Die beiden deutschen "Silberpfeile" haben dem deutschen Radteam mit zweiten Plätzen im Zeitfahren die ersten Olympiamedaillen 2012 beschert.

Im Ziel setzte sich Martin völlig erschöpft auf den Asphalt in den Schatten der Streckenbegrenzung. "Ich war mir unsicher, ob es wirklich die Silbermedaille ist. Als dann das Okay kam, sind die Glückshormone rausgekommen." Der Weltmeister musste sich nach einer unerwartet starken Leistung am Ende nur dem britischen Volkshelden und Tour-de-France-Sieger Bradley Wiggins beugen, der nach 44 Kilometern mit Start und Ziel am Hampton Court Palace sagenhafte 42 Sekunden Vorsprung hatte. Bronze ging an Wiggins' Landsmann Christopher Froome (1:08 Minuten hinter Wiggins).

Damit wendete sich für Martin eine Saison voller Pleiten, Pech und Pannen doch noch zum Guten. Im April hatte er bei einem Trainingssturz Brüche am Jochbein, der Augenhöhle, des Kiefers sowie einen Riss im Schulterblatt davongetragen. Bei der Tour de France kam noch ein Kahnbeinbruch dazu. Doch den Traum von Olympia wollte Martin nicht begraben - es sollte sich auszahlen. Die verletzte Hand ruhte auf dem Lenkervorbau, der linke Unterarm dämpfte die Stöße der Straße ab. Seiner gewohnt ästhetischen Fahrposition war kein Makel anzusehen. "Ich habe das ganze Negative ausgeblendet und die Schmerzen verdrängt. Ich bin bis an die Schmerzgrenze gegangen", sagte Martin. Der Cottbuser kurbelte flüssig - und fuhr schnell. 51:21 Minuten brauchte er für die Strecke. Der zweite Platz war für ihn so wertvoll wie ein Sieg. "Nach der Vorgeschichte werte ich Silber wie Gold", sagte der 27-Jährige.

Von Bach, dem Chef des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB), gab es höchste Anerkennung. "Er hat mir gesagt, dass ich die Medaille nach all den Rückschlägen verdient habe und stolz auf mich sein kann", berichtete Martin: "Das bedeutet mir sehr viel."

Auch Arndt biss die Zähne zusammen, sie holte alles aus sich heraus, bis ihr schwindelig wurde. Doch es reichte auch für die 36-Jährige nicht ganz zum Olympiagold. In 37:50 Minuten bewältigte Arndt die 29 Kilometer, sie war damit 15 Sekunden langsamer als die große Favoritin Kristin Armstrong (USA), die wie schon in Peking triumphierte und nach ihrer erneuten Goldfahrt ihre Karriere sofort beendete. Bronze ging an die Dritte des Straßenrennens, Olga Sabelinskaja aus Russland. "Ich bin sehr, sehr glücklich, bei meinen letzten Olympischen Spielen noch einmal eine Medaille gewonnen zu haben", sagte Arndt. Bei der Siegerehrung strahlte die Leipzigerin, war gelöst und mit sich im Reinen - ganz im Gegensatz zu ihrem ersten olympischen Silber 2004 beim Straßenrennen, der bislang letzten Medaille für den Bund Deutscher Radfahrer (BDR) auf der Straße. In Erinnerung von Athen blieb vor allem die Stinkefinger-Geste, mit der Arndt damals ihren Ärger über die Nichtnominierung ihrer damaligen Lebensgefährtin Petra Roßner kundtat.

Für Ärger bei den Gastgebern wollen heute die deutschen Bahnradfahrer sorgen. In Peking stellten die Briten sieben von zehn Olympiasiegern im Velodrom. "Wir wollen Gold", sagte Bundestrainer Detlef Uibel und setzt seine Teamsprinter René Enders (Erfurt), Maximilian Levy (Cottbus) und Stefan Nimke (Schwerin) unter Druck. Der Traum von der Medaille begleitet auch die Überraschungsweltmeisterinnen Miriam Welte/Kristina Vogel (Kaiserslautern/Erfurt), selbst im Schlaf. Welte: "Wir sagen immer: Gute Nacht und träum schön von der Medaille."