Die Erfolge der Vielseitigkeitsreiter wecken auch in Hamburg Hoffnungen

London/Hamburg. Es war tief in der Nacht, als Ole Bischof die Reit-Olympiasiegerin Ingrid Klimke im Shuttle zum olympischen Dorf fragte, was denn jetzt mit den Pferden passiere. Dem Judoka, wenige Stunden zuvor mit olympischem Silber dekoriert, schmerzten doch hier und da die Knochen. "Die kommen jetzt auf die Weide und können sich entspannen", antwortete Klimke, "sie kommen jetzt in den Genuss eines umfangreichen Wellness- und Wohlfühlprogramms." Da lachte Bischof und sagte: "Ich glaub, das mache ich jetzt am besten auch."

Wieder einmal haben die deutschen Reiter bei Olympischen Spielen für Furore gesorgt und mit zwei Gold- sowie einer Bronzemedaille ihren Führungsanspruch als erfolgreichste Pferdenation der Welt untermauert. Deutschland ist traditionell ein Pferdeland, und wie Klimke schon dem Olympiazweiten Bischof versicherte, haben es die Pferde hierzulande richtig gut. "Sie sind unsere Partner, ohne sie wären wir nichts, deshalb müssen wir sie so gut wie möglich behandeln", sagt die 44-Jährige.

Seit 1912 gewannen die deutschen Reiter bei Olympischen Spielen in Dressur, Springen und Vielseitigkeit insgesamt 84 Medaillen, davon 39 in Gold, 20 in Silber und 25 in Bronze. Bei Weltmeisterschaften, wo es acht offizielle Pferdesportdisziplinen gibt, brachten die Athleten 205-mal Edelmetall (85/60/60) mit nach Hause. Und bei Europameisterschaften steht die erstaunliche Ausbeute von 942 Medaillen (401/299/242) zu Buche. Damit dürfte der Pferdesport auch Deutschlands erfolgreichste Sportart sein.

Fünf Medaillen hat die Deutsche Reiterliche Vereinigung FN mit dem Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) als Zielvereinbarung festgelegt, mindestens zwei davon sollen sogar golden glänzen. Mit dem Doppeltriumph der Buschreiter - Mannschaft und Einzelsieg durch Michael Jung sowie Bronze durch Sandra Auffarth - ist der Verband mehr als im Soll. Heute starten die Dressurspezialisten im Greenwich Park in ihre Wettbewerbe, am Sonnabend folgen die Springreiter. In beiden Disziplinen gibt es wieder deutsche Medaillenchancen.

Die Gründe für den langjährigen Erfolg des deutschen Reitsports sind vielfältig. Maßgeblichen Anteil hat die deutsche Pferdezucht, zudem herrscht ein ausgeklügeltes Ausbildungs- und Prüfungssystem. Rund 1,24 Millionen Menschen betreiben regelmäßig Pferdesport in Deutschland, bei der FN sind Sport und Zucht unter einem Dach vereint, was eine enge Zusammenarbeit dieser Bereiche fördert. Das ist weltweit einmalig. In Deutschland gezogene und ausgebildete Pferde sind im Ausland außerordentlich beliebt, zumal die Rassenvielfalt groß ist. Bei der WM 2010 in Lexington (USA) waren von insgesamt 696 gestarteten Pferden nachweislich 143 Pferde deutscher Abstammung. Mit 21 Gold-, 16 Silber- und 16 Bronzemedaillen gewannen sie 53 von 185 möglichen Medaillen.

Die US-Equipe kaufte im Herbst 2011 mit Mr. Medicott ein Toppferd aus Deutschland, das zuvor noch Olympiasieger und Weltmeister Frank Ostholt geritten war. Auch Sam, das überragende Pferd von Doppelolympiasieger Jung, sollte schon nach dem WM-Triumph 2010 veräußert werden, der Deal konnte unter anderem mithilfe des Deutschen Olympiade-Komitees für Reiterei (DOKR) gerade noch verhindert werden. "Das ist immer hart für den Reiter", berichtet Ingrid Klimke, deren Pferd Abraxxas ebenfalls nur ganz knapp einem Verkauf entgangen ist. Sie erklärt auch, warum: "Die meisten Reiter bilden die ihnen zur Verfügung stehenden Pferde selbst aus. Über viele Jahre entsteht ein blindes Vertrauen, das ein Pferd dem Reiter gegenüber erlangt durch jahrelange korrekte und solide Ausbildung." Dazu braucht es freilich nicht nur den Reiter. Kaderathleten betreiben oft einen Ausbildungsstall, leben von der Zucht und vom Verkauf von Pferden, sind letztlich auch Unternehmer.

Die Vorherrschaft der Deutschen im Reitsport ist aber nicht auf ewig Gesetz. "Nichts währt ewig, das haben wir in den vergangenen Jahren schon erleben müssen", sagt FN-Generalsekretär Sönke Lauterbach, "andere haben aufgeholt. Man merkt, dass die Leistungsspitze immer enger zusammenrückt." Während in Deutschland das Niveau hoch ist, werden andere Nationen besser. Das liegt auch daran, dass oftmals deutsche Trainer im Ausland aktiv sind. "Letztlich exportieren wir auch unser gutes Ausbildungssystem", sagt Lauterbach, "ich sehe das aber positiv. Es wäre doch langweilig, wenn immer nur die Deutschen gewinnen."

Deren Erfolge allerdings sorgen dafür, dass das Interesse am Reitsport auch im Bereich des Breitensports in Deutschland steigt. "Natürlich erhofft man sich durch die Erfolge der Olympioniken so etwas wie einen Boom im Pferdesport", sagt Kai Haase, 48, Geschäftsführer des Landesverbandes der Reit- und Fahrvereine Hamburg e. V. Messbar sei eine solche Nachfrage in der Regel allerdings nicht.

51 Reitvereine und 24 Reitschulen sind derzeit innerhalb des Hamburger Verbandes organisiert. Sie beherbergen rund 4000 Pferde, die von etwa 8600 Vereinsmitgliedern geritten und gepflegt werden. Die Dunkelziffer an Aktiven und Pferden im Gebiet der Hansestadt sei jedoch ungleich höher, betont Haase: "Schätzungen zufolge betreiben rund 15 000 Hamburger Reitsport, ohne in einem Verein zu sein."

Hamburg, so scheint es, ist und bleibt eine Pferdestadt - die "größte Pferdestadt der Welt", wie Eberhard Fellmer, der ehemalige, 2007 verstorbene Vorsitzende des Landesverbandes der Reit- und Fahrvereine Hamburg, feststellte. Einst hatte der Pferdeliebhaber Zahlen zu Grundfläche, Rössern und Reitern zusammengestellt und mit jenen Angaben anderer Metropolen in der Welt verglichen. Sein Ergebnis: "Hamburg ist die Weltpferdestadt!" - und niemand widersprach. Veranstaltungen wie das Spring- und Dressurderby in Klein Flottbek, das Deutsche Galoppderby in Horn und die Ausstellung HansePferd, die 2014 wieder in Hamburg zu sehen sein wird, sind wohl Beweis genug dafür, dass der Pferdesport in Hamburg eine Heimat hat. Das Interesse an den Erfolgen von Michael Jung und seinen Mitstreitern kann dies nur unterstreichen.