Nach der Goldmedaille 2008 fehlte es der Degenfechterin an Motivation. Nun hat sie ihre Balance wiedergefunden

London. Ein Begrüßungsküsschen auf die Wange für einen befreundeten Fechter, eine kleine Kabbelei mit DOSB-Präsident Thomas Bach im deutschen Haus, viel Gelächter: Wer Olympiasiegerin Britta Heidemann in den Tagen von London trifft, erlebt eine äußerst gelöst wirkende Sportlerin. Doch den Hinweis auf die vielleicht wichtigste Veränderung bei der Degenfechterin in den vergangenen Monaten gibt ein kleines technisches Accessoire.

"Ich hab mir jetzt wieder ein altes Handy zugelegt", sagt die Olympiasiegerin von Peking und hält mit einem Lächeln ihr Mobiltelefon in die Höhe. Modell: Steinzeit. Ihr Smartphone ist Vergangenheit, die ständigen E-Mails, immer und überall arbeiten zu können. Die selbst auferlegte Entschleunigung soll ihr Erfolgsgarant für das "Geschenk Olympia" sein. "Ich habe mich letztes Jahr erstmals äußeren Umständen gebeugt. Es ist wichtig für mich, die richtige Balance zu finden. Das habe ich manchmal nicht gemacht, und dann ging es mir immer ziemlich schlecht. Jetzt bin ich fröhlich und glücklich. So soll es sein", betont die 29-Jährige vor ihrem heutigen Auftritt im Einzel.

Das war zuletzt nicht immer so. Durch ihren Olympiasieg vor vier Jahren wurde sie zum Aushängeschild des deutschen Fechtens. Auftritte in zahlreichen Fernsehsendungen, Werbestar, Buchautorin, selbstständige Unternehmensberaterin - was beruflich ein Erfolg war, wurde zum Bumerang. "Ich hatte letztes Jahr ein Motivationsloch und hätte mir mal eine Pause nehmen müssen", betont sie. Vor allem der Tiefpunkt 2011 mit Platz 126 bei der WM in Catania ist vergessen. Die Kritiker, die ihr meist hinter vorgehaltener Hand vorgeworfen hatten, sich zu wenig aufs Fechten zu konzentrieren, sind nach der in letzter Sekunde geschafften Olympiaqualifikation verstummt.

Mehr noch: Spätestens seit Nicolas Limbachs Traum vom Olympiasieg am Sonntag platzte, vereinen sich die deutschen Medaillenhoffnungen auf Heidemann. Der Weltranglistenerste im Säbelfechten ahnte nach seinem Viertelfinalaus bereits, was nun über ihn hereinbrechen würde. "Wahrscheinlich bin ich jetzt für alle anderen der Depp. Am Montag werde ich erst mal keine Zeitungen lesen", sagte der tief enttäuschte Vizeweltmeister nach seiner umstrittenen 12:15-Niederlage gegen den Russen Nikolaj Kowalew. Innerhalb weniger Minuten waren sowohl Limbach als auch sein Dormagener Teamkollege Max Hartung im Doppelpack in der Runde der letzten acht ausgeschieden. Statt die erste deutsche Medaille in London zu feiern, waren die Fechter frustriert, enttäuscht und wütend. Limbach klatschte dem Kampfrichter höhnisch Beifall, Hartung starrte leeren Blickes Richtung Hallendecke der Londoner ExCel-Arena.

Denn der Erwartungsdruck war enorm gewesen, die Favoritenrolle klar verteilt. Limbach, zuletzt dreimal im Finale einer WM, war mit starken Vorleistungen nach London gereist, hatte erfrischend forsch seinen Anspruch auf eine Medaille formuliert und von Anfang an den Eindruck erweckt, dass ihn nichts und niemand beeinflussen könne. Im Eiltempo löste er seine Aufgaben, hoch konzentriert, wild entschlossen und unterstützt von zahlreichen deutschen Fans - ehe im Viertelfinale das bittere Aus kam. Am Sonnabend hatte bereits ein umstrittener "Kinnhaken" ihrer italienischen Gegnerin den Olympiaauftritt von Florettfechterin Carolin Golubytskyi im Achtelfinale buchstäblich durch K. o. beendet. Beim Stand von 8:6 für die deutsche Meisterin setzte Elisa di Francisca einen Treffer und traf die 26-Jährige mit der Glocke des 500 Gramm schweren Floretts. Golubytskyi taumelte kurz, ging zu Boden und musste mehrere Minuten lang behandelt werden. Sie verlor 9:15, di Francisca wurde Olympiasiegerin. "Mir war sofort schwindelig. Ich bin nicht der Typ, der etwas unterstellt, aber das war hart und nicht fair", sagte die Tauberbischofsheimerin.

Und so steht Heidemann ab sofort wieder vermehrt im Fokus. "Ich habe immer viel nebenher gemacht. Auch vor den Spielen von Peking habe ich Hunderte Interviews gegeben und meinen Studienabschluss gemacht. Ich brauche das. Weil das einmal schiefgeht, ist das nicht darauf zurückzuführen. Das fände ich eine absolute Fehleinschätzung", betont sie energisch. Dennoch hat sie aus ihren "Fehlern" gelernt. Mittlerweile kann sie bei Anfragen wieder Nein sagen, auch der verkorksten Qualifikation, bei der die deutschen Degendamen erst im letzten Gefecht ihr London-Ticket lösten, gute Seiten abgewinnen.

"Vielleicht ist so ein Dämpfer gar nicht so schlecht. Wir mussten jetzt schon um alles kämpfen", sagte Heidemann. Und wo die Reise in London hingehen soll, ist für die 2008 mit Gold und 2004 mit Teamsilber dekorierte Fechterin klar: "Der Erwartungsdruck ist natürlich sehr hoch, aber eine Medaille wäre schon super. Ich bin glücklich, überhaupt dabei zu sein. Dieses Mal ist es wie ein Geschenk."