Vor den Schüco Open spricht der Weltranglisten-18. über den schweren Weg zurück an die Spitze und nimmt sich Zeit für Hamburgs Nachwuchs

Hamburg. Es wimmelt nur so von Kindern im Klubhaus des Hamburger Red Golf Clubs Moorfleet. Zusammen mit seinen Profi-Kollegen Bubba Watson und Henrik Stenson ist Martin Kaymer zwei Stunden beim "Kids pro Golf"-Turnier, organisiert von seinem Sponsor Hugo Boss, über den Platz gegangen. Die anfängliche Nervosität der acht- bis 14-Jährigen hatte sich schnell gelegt. Und als sich Kaymer nach dem gemeinsamen Mittagessen zum Gespräch in das Sofa auf der Terrasse fallen lässt, leuchten seine Augen: "Das hat mich an früher erinnert, als ich mit meinem Bruder das Golfspielen angefangen habe: einfach den Schläger genommen und draufgekloppt, mit nicht so viel Ernsthaftigkeit dabei."

Kaymer wirkt entspannt, fast fröhlich. Dabei ist er am vergangenen Wochenende bei den bedeutenden British Open, seinem erklärten Lieblingsturnier, nach zwei von vier Tagen dem Cut (Reduzierung des Teilnehmerfelds um die Hälfte) zum Opfer gefallen. In der aktuellen Weltrangliste wird der 27-Jährige nur noch auf Platz 18 geführt, nachdem er 2011 für acht Wochen Rang eins belegt hatte. Mit damals 26 Jahren war er der zweitjüngste Weltranglistenerste aller Zeiten.

Den Montag nach dem Turnier in England nahm sich Kaymer frei. "Ich war zu Hause bei meiner Oma in Mettmann und habe viel im Garten gemacht, den Rasen gemäht und die Hecke geschnitten, normale Sachen eben", erzählt er. "Das ist genau das, was man vermisst: das ganz normale Leben." Aber zum Abschalten habe die Zeit nicht ganz gereicht: "Du fängst Montag, Dienstag schon mit der Planung für die Woche an. Richtig runterkommen, das geht in ein, zwei Tagen nicht, deshalb spiele ich die Turnier in diesem Jahr mehr in Blöcken."

Am heutigen Sonnabend und Sonntag wird Kaymer seine Golfkunst bei den Schüco Open in Alveslohe zeigen. Ein hochkarätig besetztes Einladungsturnier, bei dem es nicht um Weltranglistenpunkte geht. Richtig ernst nehmen die Professionals solche Events nicht, schließlich geht es in erster Linie darum, den Menschen den Golfsport näherzubringen und Sponsoreninteressen zu vertreten. "Ich versuche, nebenbei noch gezielt zu trainieren, aber generell geht es darum, möglichst viel Spaß zu haben auf der Runde." Dabei stehen in den kommenden zwei Wochen zwei Starts bei bedeutenden Turnieren an: beim WGC Bridgestone Invitational in Ohio und den PGA Championship, jenem Major-Turnier, das er 2010 sensationell gewinnen konnte.

Wenn Kaymer über seine Nahziele spricht, vermeidet er, Platzierungen zu nennen: "Davon möchte ich mich frei machen. Ich möchte mich weiterentwickeln, auch was den Schwung betrifft. Das dauert noch einige Zeit, bis ich dort bin, wo ich sein möchte." Spielerisch, das sagt er selbst, sei er nicht in Topform und begründet dies mit einigen Umstellungen. Aber im gleichen Atemzug thematisiert Kaymer, wie sehr sich sein Leben nach dem Major-Sieg 2010 verändert hat: "Was sehr, sehr viele Leute vergessen, ist die Tatsache, wie viele Eindrücke ich in den vergangenen eineinhalb Jahren gesammelt habe." Er blickt zurück: "Am Anfang ist alles neu auf der Tour, man ist Lehrling und guckt sich um, versucht überall mit den Augen zu sein. Irgendwann war ich gesetzter, dann kam der Erfolg. Und dann muss man alles verarbeiten. Man verändert sich auch als Mensch."

Dass sich der auf Zeit erworbene Titel "weltbester Golfer" zu einem Fluch entwickeln könnte, von diesem Gedanken ist Kaymer weit entfernt. "Ich weiß, dass ich einer der besten Spieler der Welt bin. Okay, ich bin ein paar Plätze abgerutscht, aber langfristig gesehen ist es auf jeden Fall die richtige Entscheidung, die Veränderungen vorgenommen zu haben. Auch wenn es das erste Mal in meiner Karriere ist, dass ich kämpfen muss. Ich habe nie wirklich ein Tief gehabt. Es macht jetzt echt Spaß, an der Sache hart zu arbeiten." Wichtig sei, selbst zu wissen: Ich habe alles, um wieder nach oben zu kommen. Diesen Glauben habe ein Tiger Woods in sich und auch ein Rory McIlroy.

Wer jedoch einmal den Status Weltklasse erreicht hat, muss damit rechnen, dass diese Wellentäler in der Öffentlichkeit regelrecht seziert werden. Auch Kaymer hat genau registriert, wie nach Gründen geforscht wird, wenn er wie im Juni bei den BMW Open in Köln den Cut verpasst: "Die Erwartungshaltung ist sehr hoch. Wenn ich dann den Unterhaltungswert nicht bieten kann, wird gesagt, was ich alles anders machen müsste. Mir werden mit Halbwissen Tipps gegeben, die keine Grundlage haben, zum Beispiel, welche Veränderungen ich vornehmen müsste." Dabei befindet er sich, ob in Köln oder jetzt in Hamburg, in der Zwickmühle. "Wenn ich in Deutschland bin, gibt es nun mal sehr viele Termine. Nehme ich diese wahr, leidet zwangsläufig die Vorbereitung auf das Turnier. Kümmere ich mich ausschließlich um den Sport, wäre das auch schlecht als Botschafter für den deutschen Golfsport. Wie du es machst, ist es falsch."

Am Donnerstagabend hat sich Kaymer mit HSV-Torwart René Adler getroffen. Dem Fußballer, mit dem er auch schon Golf gespielt hat, vertraut er: "Mit ihm sind auch tiefere Gespräche möglich." Auch aus Treffen mit anderen Spitzenathleten wie in Wimbledon versucht er zu lernen. "Es war sehr spannend, die Sportler in Aktion zu sehen, wie sie sich auf dem Tennisplatz und außerhalb verhalten. Für mich ist es wichtig, dass ich mich mit solchen Leuten unterhalten darf."

Was nach seinen Beobachtungen den Unterschied ausmacht zwischen einem hochklassigen Sportler und einem Sieger? "Wirklich wichtig ist meines Erachtens die richtige Balance, die Kombination muss stimmen. 24 Stunden Golf, Golf, Golf, das funktioniert nicht, dann geht der Spaß verloren. Das würde mich viel zu sehr unter Druck setzen. Man muss sich auch als Mensch weiterentwickeln. Deshalb ist das richtige Umfeld extrem wichtig, um die richtige und gesunde Einstellung zum Golf und zum Leben zu haben."

Vor gut einem Jahr, bei einem TV-Auftritt im ZDF-Sportstudio, riet Kaymer Oliver Kahn, den Golfsport nicht zu verbissen anzugehen. Aber auch bei seinem Ziel, die vielen großen Erfolge seiner jungen Karriere zu bestätigen, sieht er diese Gefahr lauern: "Die schwerste Sache ist, nicht zu verkrampfen, wenn man etwas so sehr will, die Lockerheit zu behalten. Deshalb ist es so wichtig, sich mit Leuten zu umgeben, mit denen man sprechen kann, die einem helfen, die Bedeutung und Wertigkeit des Sports richtig einzuordnen."

Hinter dem Sofa im Golf-Club Moorfleet versammeln sich schon die nächsten Interviewer: Jugendliche mit gezücktem Block und Stift. Aber sie müssen noch warten. Kaymer gerät ins Schwärmen, als er über die Olympischen Spiele spricht. Aber ja, die Eröffnung wolle er sich auf jeden Fall anschauen. Und schon heute kann er es kaum erwarten, in vier Jahren selbst an den Start zu gehen, wenn Golf endlich olympische Sportart ist. "Das ist das Highlight schlechthin, da kommen selbst Major-Turniere oder der Ryder-Cup nicht mit. Olympia ist der absolute Hammer. Ich hätte mich gefreut, schon früher an den Spielen teilnehmen zu können. Aber 2016 bin ich ready, auf dieses Turnier werde ich mich so gut vorbereiten, wie es nur geht."

Mit einem festen Händedruck verabschiedet sich der 27-Jährige, der für sein Alter sehr reif wirkt, aber zugleich viel emotionaler als vermutet. Einige Stunden später hat er seinen nächsten Auftritt. Auf dem Rathausmarkt schlägt Kaymer einige Bälle in einen überdimensionalen Korb, um Geld für Off Road Kids zu sammeln, einer Hilfsorganisation für Straßenkinder in Deutschland mit Stationen in Hamburg, Berlin, Dortmund und Köln. Schnell bildet sich eine Menschentraube, um dem besten deutschen Golfer zuzuschauen und Autogramme zu ergattern.

Der Abend endet mit einem Empfang im komplett mit Naturrasen ausgelegten Hugo-Boss-Store am Neuen Wall, Plauderstunde mit Hamburgs Prominenz. Am Sonnabend kann sich Kaymer wieder ausschließlich auf seine große Leidenschaft konzentrieren: einen kleinen weißen Ball mit möglichst wenigen Schlägen in einem Loch zu versenken. Durchaus ernsthaft, aber ohne dabei den Spaß zu verlieren.