Auch das ist Olympia: eine schwangere Schützin, ein vom Krebs genesener Fahnenträger und andere ganz persönliche Geschichten

London. Bevor Nur Suryani Mohamed Taibi an diesem Sonnabend den Schießstand in London betritt, wird die Muslima auf Malaysia zu Allah beten, in sich gehen und ein Zwiegespräch beginnen: "Mami hat heute einen Wettkampf. Also halte einfach ganz still. Danach kannst du so aktiv sein, wie du willst und um dich treten." Die 29 Jahre alte Luftgewehrschützin ist im achten Monat schwanger.

"Viele nannten mich selbstsüchtig, weil ich die Gesundheit meines Babys gefährden würde", sagt sie. Ihr Mann aber habe ihr geraten, die Chance zu nutzen, "die vielleicht nie wiederkommt". Die Siegerin der Commonwealth Games 2010 hatte erst im Mai in München ihre Bestleistung auf 396 von 400 Ringen verbessert. "Vielleicht liegt es daran, dass ich schwerer geworden bin", sagte sie mit einem Lächeln. Die Ärzte hätten ihr grünes Licht gegeben, behauptet Suryani. Vor vier Jahren in Peking gewann die Tschechin Katerina Emmons mit dem Luftgewehr Gold. Fünf Monate später brachte sie ihre Tochter Julia zur Welt. "Wunder gibt es immer wieder", sagt auch Suryani.

Sie ist nur einer der vielen Sportler unter den 10 000 Athleten in London, die eine ungewöhnliche Geschichte zu erzählen haben.

Ein Deutscher für Großbritannien

Zum Beispiel Christopher Mohr. Während die besten deutschen Handballspieler das olympische Turnier nur zu Hause im Fernsehen verfolgen können, hat es der 22 Jahre alte Hesse nach London geschafft. Der Rückraumspieler des dänischen Zweitligaklubs Odder, der nebenher sein Geld als Bäcker verdient, wurde vom britischen Verband für die Olympia-Auswahl gecastet. Weil seine Leistungen für die deutschen Kader nicht genügten, hatte sich Mohr, dessen Mutter Schottin ist, bei den Olympiagastgebern angedient. Und die griffen erfreut zu. Debakel wie das 3:67 gegen eine schwedische B-Mannschaft wollen die Briten bei ihrem großen Sportfest nicht erleben.

Aber ob es wirklich besser wird? "Wir haben einen ehemaligen Rugby-Spieler dabei und unser Torwart kam vom American Football", sagt Mohr, der von einer Sensation träumt: "Unser Ziel ist das Viertelfinale." Dazu müsste sich Großbritannien in Gruppe A mit Weltmeister Frankreich, Schweden, Island, Argentinien und Tunesien gegen zwei Gegner durchsetzen.

Die Fahne als politisches Signal

Die südafrikanische 800-Meter-Läuferin Caster Semenya, 21, hat ihre Klasse längst bewiesen. Die Weltmeisterin von Berlin 2009 erlebte allerdings einen Spießrutenlauf, als Zweifel an ihrem weiblichen Geschlecht aufkamen und in aller Öffentlichkeit intimste Details diskutiert wurden. Nun ist Semenya wieder startberechtigt. Und ihr Verband hat ein starkes politisches Signal der Solidarität ausgesandt: Sie sollte bei der Eröffnungsfeier die Fahne ihres Landes ins Olympiastadion tragen. Gideon Sam, Präsident des Nationalen Olympischen Komitees, nannte sie "ein absolutes Vorbild für alle Südafrikaner, das hat sie unter größten Widrigkeiten bewiesen." Semenya selbst will nur noch "nach vorn schauen".

Nach dem Krebs alles genießen

Auch für Petr Koukal, 26, hat das Tragen der Landesfahne eine ganz persönliche Bedeutung. Für den tschechischen Badmintonspieler ging es vor nicht einmal zwei Jahren um Leben und Tod, als seine Ärzte Hodenkrebs diagnostizierten. Koukal kämpfte sich zurück, qualifizierte sich für London und ist, mutmaßt sein Trainer Dicky Palyama, "stärker als je zuvor".

Koukal weiß: "Der Hauptgrund ist der Krebs, das ist mir klar. Ich bin aber glücklich, dass dieses Thema offen diskutiert wird." Koukal, der nur dank einer Notoperation überlebte, trägt das gelbe Armband der Organisation "Livestrong" des umstrittenen US-Radstars Lance Armstrong. "Mein großes Ziel habe ich erreicht", sagt er. "Alles Weitere kann ich genießen."

Kein Bonus für das Handicap.

Ihr großes Ziel hat auch Natalia Partyka erreicht. Die 23 Jahre alte Tischtennisspielerin aus Polen, der seit ihrer Geburt der rechte Unterarm fehlt, hat sich zum zweiten Mal für Olympische Spiele qualifiziert - und startet anschließend auch bei den Paralympics. In London tritt Partyka heute erstmals im Einzel an. "Ich habe von Beginn an Glück gehabt", erzählt die gebürtige Danzigerin, "viele Menschen haben mir geholfen." Polens 2005 verstorbene Tischtennislegende Andrzej Grubba hatte ihr den Weg an die Spitze geebnet. "Natalia ist die Nummer zwei im polnischen Team", sagt die deutsche Nationalspielerin Kristin Silbereisen. "Einen Bonus hat sie nicht nötig."