Womöglich entschied die Teamorder über den Gesamtsieger der Tour de France, die Sonntag endet

Brive-la-Gaillarde. Bradley Wiggins wird als erster britischer Sieger einen festen Platz in der 109-jährigen Geschichte der Frankreich-Rundfahrt einnehmen. Daran gab es nach den letzten Bergetappen wohl keine Zweifel mehr. Und auch nach der 18. Etappe am Freitag beträgt sein Vorsprung weiter 2:05 Minuten. Eine Heldengeschichte wird der Brite im Drehbuch der 99. Tour de France über sich aber kaum zu lesen bekommen. Denn die Zweifel bleiben, ob nicht doch sein zweitplatzierter Sky-Teamkollege Christopher Froome anstatt Wiggins der stärkste Fahrer ist.

Und so wurde es dem Mann mit den langen Koteletten und dem mürrischen Blick zu bunt: "Es fühlt sich seltsam an. Immer wieder muss ich negative Fragen beantworten. Ich bin seit drei Wochen Erster oder Zweiter der Gesamtwertung. Aber mich hat bisher keiner gelobt oder mir auf die Schulter geklopft."

Den Kampf auf der Landstraße hatte er da längst gewonnen, den Kampf um Anerkennung freilich nicht. "Ein Sieger, eine Frage", schrieb das Tour-Organ "L'Equipe". "Wiggins gewinnt die Tour, aber Froome hat gezeigt, dass er ein ehrenvollerer Sieger sein könnte." Mehrmals war der Kronprinz am letzten schweren Anstieg der Tour seinem Kapitän kurz davongefahren, ehe er das Tempo wieder rausnahm und Wiggins per Handzeichen zu sich herbeiwinkte. Die Teamorder wollte es so. So wurde der 32-Jährige von seinem eigenen Teamkollegen in der Stunde seines größten Erfolgs ein wenig vorgeführt. Ein paradoxes Szenario, das die Tour bei ihrem Pyrenäen-Abschied lieferte.

Als letztes Hindernis nur noch das Zeitfahren am Sonnabend. Und da hatte Wiggins bereits in Besançon bewiesen, dass er im Kampf gegen die Uhr kaum zu schlagen ist. Nur durch seine Zeitfahrqualitäten hat Wiggins die Tour aber freilich nicht gewonnen. Immerhin war der 32-Jährige bei den Attacken der Konkurrenz in den Bergen nicht einmal ernsthaft in Schwierigkeiten geraten. Dem früheren französischen Tourhelden Richard Virenque reichte dies freilich nicht aus. "Wenn Wiggins von der Öffentlichkeit in Frankreich bewundert werden will, würde ich ihm raten, aggressiver zu fahren. So wie es Thomas Voeckler etwa macht", mäkelte Virenque.