Der deutsche Tennisprofi über Kritik an seiner Einstellung, den Rothenbaum, sein Verhältnis zu Tommy Haas und den Traum Olympia.

Hamburg. Philipp Kohlschreiber hat sich einiges vorgenommen für seinen Start am Rothenbaum. Deutschlands bester Tennisspieler, derzeit an Position 21 der Weltrangliste und damit so gut wie nie zuvor notiert, hat es in Hamburg noch nie ins Viertelfinale geschafft. Am Mittwoch reiste der 28 Jahre alte Augsburger an, am Donnerstag trainierte er erstmals auf dem Centre-Court und nahm sich anschließend Zeit für ein Gespräch mit dem Abendblatt.

Hamburger Abendblatt: Herr Kohlschreiber, haben Sie die Eindrücke aus Wimbledon schon verarbeitet, wo Sie Anfang des Monats erstmals in Ihrer Karriere das Viertelfinale eines Grand-Slam-Turniers erreicht haben?

Philipp Kohlschreiber: Ich denke schon. Das waren Erlebnisse, wie ich sie nie zuvor hatte. Obwohl ich vier ATP-Turniere gewonnen habe in meiner Karriere, war der Viertelfinaleinzug in London mein größter Erfolg. Es war gut, in dieser Woche auf das Turnier in Stuttgart zu verzichten, so konnte ich nach Wimbledon fünf Tage in meinem Zuhause in der Schweiz entspannen. Jetzt starte ich mit viel Selbstvertrauen und einer Menge guter Laune am Rothenbaum.

Es scheint, als hätten Sie sich einiges vorgenommen für Hamburg, Sie sind der erste Hauptfeldspieler gewesen, der hier angereist ist.

Kohlschreiber: Das stimmt, ich will hier endlich mal das Achtelfinale überstehen. Allerdings reise ich in Hamburg gern früh an, noch früher bin ich nur in Australien am Start. Ich mag einfach die Stadt, ich mag das gesamte Turnier. Grundsätzlich sind mir die deutschen Turniere sehr wichtig, weil ich hier die Chance habe, mich meinen Fans zu präsentieren. Drei meiner vier Turniersiege habe ich in der Heimat geschafft, das sagt einiges. Umso schöner wäre es, es auch mal in Hamburg zu packen. Wenn ich ein wenig Glück mit der Auslosung habe, könnte es klappen. Aber ich mache mir keinen Druck, freue mich über jede Runde, die ich hier spielen kann.

Wegen der Olympischen Spiele ist das Teilnehmerfeld auf 32 Spieler reduziert, weil viele zwischen zwei Auftritten in Wimbledon, wo das olympische Turnier gespielt wird, nicht von Rasen auf Sand und zurückwechseln wollen. War das für Sie nie eine Überlegung?

Kohlschreiber: Alle vier Jahre haben wir das Problem, dass durch Olympia der auch sonst schon sehr enge Terminplan noch einmal gequetscht wird. Ich wusste allerdings bis 4. Juli nicht, ob ich in London starten darf. Da man aber sechs Wochen vor Turnierbeginn seine Teilnahme melden muss und die Veranstalter meist schon zwei bis drei Monate vorher planen wollen, habe ich mich frühzeitig für Hamburg entschieden. Hätte ich früher gewusst, dass ich zu Olympia darf, hätte ich möglicherweise anders geplant. Aber ob das besser gewesen wäre, ist hypothetisch. Ich freue mich einfach, dass ich Hamburg als Vorbereitung für die Spiele nutzen kann. Die Umstellung von Rasen auf Sand und zurück dauert bei mir nicht lang, dafür bin ich ja früh genug angereist.

Sie werden in London Ihre ersten Olympischen Spiele erleben, nachdem Sie sich vor Peking 2008 verletzt hatten. Ist Olympia auch für einen Tennisspieler das Größte, was er erleben kann, oder sind Grand-Slam-Turniere wichtiger?

Kohlschreiber: Ich würde diese Frage gern nach den Spielen beantworten. Aber meine Vorfreude ist sehr groß, denn natürlich habe ich viel über den Geist der Spiele gehört. Ich werde im olympischen Dorf wohnen und die Atmosphäre aufsaugen. Die besten Sportler der Welt zu treffen, das finde ich sehr spannend.

Sie sind der einzige deutsche Starter im Herreneinzel, der Verband traut Ihnen eine Medaille zu. Ist das eine Ehre oder zusätzlicher Druck?

Kohlschreiber: Druck ist es überhaupt nicht, ich freue mich sehr darüber, dass man mir eine Medaille zutraut. Ich stehe in der Weltrangliste an Position 21, deshalb zähle ich aus meiner Sicht nicht zu den Favoriten. Aber der Viertelfinaleinzug in Wimbledon hat mir gezeigt, dass ich ganz oben mithalten kann. Eine Medaille wäre dennoch eine Sensation.

Einer, der eine Medaille hätte holen können, ist Tommy Haas. Der Deutsche Olympische Sportbund hat ihn nicht für eine Wildcard vorgeschlagen, nachdem er nationale und internationale Kriterien nicht erfüllt hatte. Tut er Ihnen leid?

Kohlschreiber: Es ist schade für Tommy, weil er sicherlich vorne mitspielen könnte. Aber andererseits gibt es Regeln, und irgendwo muss eine Linie gezogen werden. Er hat zum Stichtag leider nicht die geforderten Kriterien erfüllt, das muss man dann akzeptieren.

Haas und Sie gelten nicht gerade als Freunde, er wird Ihnen in London also nicht unbedingt fehlen.

Kohlschreiber: Es stimmt, dass wir keine Freundschaft haben, ich würde es eher als ein kollegiales Verhältnis beschreiben. Aber wenn wir, wie beispielsweise im Daviscup, für eine gemeinsame Sache kämpfen, halten wir zusammen.

Das sah im Februar in Bamberg ganz anders aus, als Haas nach der Daviscup-Niederlage gegen Argentinien harte Kritik an Ihnen übte, weil Sie dem Team krankheitsbedingt ferngeblieben waren. Worin liegt Ihre gegenseitige Abneigung begründet?

Kohlschreiber: Es ist keine Abneigung, wir haben aber einfach nie den richtigen Draht zueinander gefunden, haben nie etwas zusammen gemacht. Dennoch halte ich ihn für einen Riesensportler, vor dem ich großen Respekt habe. Und die Sache aus dem Februar ist abgehakt.

Im Mai gab es Aufregung um Daviscup-Kapitän Patrik Kühnen, der beim World Team Cup in Düsseldorf nicht auf der Bank sitzen durfte, weil die Spieler lieber ihre Heimtrainer dabeihaben wollten. Wirkt dieser Konflikt noch nach?

Kohlschreiber: Aus meiner Sicht ist das in der Öffentlichkeit alles zu sehr aufgebauscht worden. Wir Spieler wollten zu dem Zeitpunkt etwas Neues probieren, wir haben uns gut präsentiert und das Finale nur knapp gegen die starken Serben verpasst.

Kühnen war dennoch sauer und enttäuscht. Ist das mittlerweile geklärt?

Kohlschreiber: Es gab mehrere Gespräche, das Thema ist vom Tisch. Ich sehe auch überhaupt keinen Anlass für die Annahme, wir Spieler hätten seine Kompetenz als Daviscup-Teamchef infrage gestellt. Er ist ein unglaublich guter Kapitän, und ich werde ihn im Daviscup immer unterstützen.

Ein Erfolg im Relegationsspiel gegen Australien Mitte September in Hamburg wäre nicht nur wichtig für den Zusammenhalt, sondern auch, um das deutsche Herrentennis zu stärken, das zuletzt arg hinter den Erfolgen der Damen zurückstehen musste. Stört Sie das eigentlich, wenn Ihr Viertelfinaleinzug in Wimbledon etwas untergeht, weil Angelique Kerber es ins Halbfinale schafft?

Kohlschreiber: Im Gegenteil, ich freue mich sehr für die Mädels, die sind einfach toll und sehr sympathisch. Sie spielen seit einiger Zeit unglaublich konstante und großartige Matches. Ich gönne ihnen den Erfolg und sehe das positiv für das gesamte deutsche Tennis.

Motiviert der Erfolg der Damen Sie, noch mehr zu geben, um irgendwann ähnlich erfolgreich zu sein?

Kohlschreiber: Möglicherweise passiert das im Unterbewusstsein, aber wir arbeiten seit Jahren ebenso hart wie die Mädels, und so ewig weit entfernt sind wir ja auch nicht.

Das stimmt, Sie spielen das konstanteste Jahr Ihrer Karriere. Woran liegt das?

Kohlschreiber: Ich fühle mich nach der schwierigen Saison 2011 viel wohler. Ich war innerlich unzufrieden, aber mit der Rückkehr an den Stützpunkt Oberhaching hat sich vieles verändert. Wir haben an den einfachen Dingen gearbeitet, das hat mir Sicherheit gegeben. Ich gehe besser mit Niederlagen um, sie ziehen mich nicht mehr so runter. Dadurch bin ich gelassener und kann einschätzen, wo ich mich noch verbessern muss. Ich denke, dass das der Grund für meine gewachsene Konstanz ist.

Dennoch werfen Ihre Kritiker Ihnen vor, Sie seien zu schnell zufrieden, würden Niederlagen oft schönreden und nicht alles für den Erfolg investieren. Sie wirken manchmal lethargisch.

Kohlschreiber: Es ist unfair, so etwas zu behaupten. Ich würde gern alle meine Kritiker mal eine Woche zum Training einladen, dann würden sie sehen, dass ich weder satt noch lethargisch bin. Ich arbeite hart und gebe alles für den Erfolg, aber es ist nicht so einfach, unter die besten zehn der Welt zu kommen. Ich halte mich seit fünf Jahren relativ konstant in den Top 30, und natürlich ist mein Ziel, endlich konstant bei den Grand Slams die zweite Woche zu erreichen. Wenn mir das gelingt, sind die Top Ten möglich. Ich will dazu beitragen, wieder einen Boom zu entfachen.

Wenn Sie sich einen Titel wünschen dürften, mit dem Sie in dieser Saison den Durchbruch schaffen, wäre das Olympia oder doch die US Open?

Kohlschreiber: Ich wünsche mir gar keinen Titel, sondern, dass ich gesund bleibe und weiter hart arbeiten kann. Dann kommt alles andere von allein.