Der Hamburger Tennisspieler hat die Schattenseiten des Profilebens erlebt. Er will zurück an die Spitze, aber nicht um jeden Preis.

Hamburg. Die Höhenflüge, die ihm auf dem Tennisplatz nur noch so selten gelingen, holt sich Mischa Zverev in der Luft. Wenn er Ablenkung braucht, klettert er in eine Cessna 172 und nimmt eine Flugstunde. Die theoretische Prüfung für den Pilotenschein hat er bestanden, an der Praxis arbeitet er. "Fliegen", sagt der Hamburger, "gibt mir ein Gefühl der tiefen Zufriedenheit." Ein Gefühl, das ihm in den vergangenen Jahren in seinem Beruf nicht oft vergönnt war.

Mischa Zverev ist Tennisprofi. Vor drei Jahren galt der 24-Jährige als eine der großen deutschen Hoffnungen. Er stand in der Weltrangliste auf Platz 45 und spielte für Deutschland im Daviscup-Viertelfinale in Spanien. Wenn in der nächsten Woche die Tennis-Karawane am Hamburger Rothenbaum haltmacht, schlägt Zverev jedoch lieber bei einem Turnier der unterklassigen Challengerserie im belgischen Bercuit auf. Er ist auf Position 180 der Weltrangliste abgestürzt, hätte sich in seiner Heimatstadt durch die Qualifikation kämpfen müssen. Die findet am Wochenende statt, und Zverev hat versprochen, am Sonntag ein Bundesligaspiel für den Rochusclub Düsseldorf zu bestreiten. Zudem ist in Belgien die Chance auf ein paar Weltranglistenpunkte größer. Schließlich will er am Jahresende wieder zu den besten 100 der Welt gehören.

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Der Bruch in Zverevs Karriere kam mit einem Bruch. Im Herbst 2009 verletzte er sich bei einem Turnier in Shanghai bei einem unglücklichen Sturz schwer am rechten Handgelenk. Die Fraktur warf ihn monatelang aus der Bahn, es folgten andauernde Probleme mit der Bandscheibe. Im vergangenen Sommer war der gebürtige Moskauer von seinem Körper dermaßen genervt, dass er fast aufgegeben hätte. "Ich ging auf den Platz und wusste, dass ich verliere", erinnert er sich. Seit Ende April 2011, als er in Belgrad das Achtelfinale erreichte, hat er bei keinem ATP-Turnier mehr die erste Runde überstanden, bis auf Rang 280 der Welt wurde er im November 2011 durchgereicht.

Doch dann setzte das ein, was Zverev heute als "menschlichen Reifeprozess" beschreibt. Er grübelte viel über den Sinn seines Lebens und beschäftigte sich mit Alternativen. "Ich habe mein eigenes Ich entwickelt, aus der Angst heraus, in meiner Entwicklung zu stagnieren", sagt er. Ihm sei bewusst geworden, was der Sprung unter die besten 50 Tennisspieler der Welt bedeute. "Mit 21 konnte ich das nicht einschätzen. Jetzt weiß ich, dass es sich lohnt, dafür hart zu arbeiten. Aber ich weiß auch, dass Tennis nicht alles sein kann im Leben."

Zverev hat die Menschen in seinem Umfeld genau beobachtet. "Ich sehe viele Spieler, die nichts anderes können als Tennis. Die versuchen, irgendwie Erfolg zu haben. Aber sind die dabei glücklich?" Er könne für sich behaupten, heute glücklicher zu sein als vor drei Jahren als Top-50-Spieler. "Ich bin damals in einem Fluss mitgeschwommen und habe nicht reflektiert. Wenn ich zurückschaue, habe ich damals nur etwas mehr Glück und dadurch mehr Selbstvertrauen gehabt. Spielerisch und körperlich bin ich heute besser, und ich habe den Luxus, das tun zu können, was mir am meisten Spaß macht", sagt er. Natürlich denkt Mischa Zverev manchmal mit Wehmut an seine sportlich erfolgreichste Zeit. "Erfolg ist wie eine Droge, wenn du ihn hast, willst du immer mehr, und wenn er nicht da ist, fühlst du dich schlecht", sagt er. Bis ihm klar wurde, dass der Erfolgsdruck seiner Suche nach dem Lebensglück im Weg stand. "Ich habe verstanden, dass ich auch mal Nein sagen muss und nicht alles investieren will, nur um einem Erfolg hinterherzurennen, der mich gar nicht glücklich macht, wenn ich dafür viele andere Dinge aufgeben muss."

Seine Leidenschaft für Süßspeisen hat er sich trotz des Rats von Experten nicht verboten, beim Gespräch mit dem Abendblatt folgt dem Sommersalat mit gegrillten Garnelen ein großer Becher Tiramisu und eine Handvoll Gummibärchen. Auch die Verpflichtung eines Trainers, der neue Motivation geben könnte, ist kein Thema. Zverev lässt sich weiterhin von seinen Eltern coachen und begleiten. Das Elternhaus in Lemsahl hat er zwar schon vor zweieinhalb Jahren verlassen und sich eine Wohnung in Monte Carlo zugelegt, doch auf Turnieren ist die Familie immer dabei. Bruder Sascha, 15, dem viele Experten noch mehr Talent bescheinigen, ist ein guter Trainingspartner. Im März trafen die Brüder in der Qualifikation zum Challengerturnier in Dallas (USA) erstmals aufeinander. Mischa siegte (noch) 6:0, 6:1. "Aber wenn Sascha Profi wird, kann ich mir vorstellen, sein Coach zu werden", sagt er.

Man solle das nicht falsch verstehen, er habe Motivation genug, noch einmal anzugreifen. Aber er weiß eben auch, dass er als Tennistrainer oder etwas ganz anderem ein zufriedenes Leben führen könne. "Ich brauche nicht viel, um glücklich zu sein", sagt er. Das zu wissen ist für ihn mehr wert als jeder Höhenflug der Tenniswelt.