Die Schweizer hoffen auf einen großen Kampf in der Hauptstadt zwischen den Schwergewichten Wladimir Klitschko und Tony Thompson.

Bern. Für einen kurzen Moment verlor der nette Mister Thompson seine Fassung. Da stand er Auge in Auge mit Wladimir Klitschko auf der Bühne des "Bierhübeli", einem Szeneklub im Quartier Länggasse, er war gerade gewogen worden und hatte zu dem vor Boxkämpfen üblichen gegenseitigen Anstarren seinen teilnahmslosen Gesichtsausdruck aufgesetzt, als aus dem Publikum ein Ruf ertönte. Ein jugendlicher Schweizer erfrechte sich, seine Neutralität aufzugeben. "Tony, you lose", rief er. Tony, du verlierst! Tony Thompson blickte stur geradeaus, bis die Trainer das sogenannte Stare-down beendeten. Dann zuckte sein linker Arm in die Höhe und zeigte dem flegelhaften Klitschko-Fan den Mittelfinger.

"Ich habe es satt, hier immer als Kanonenfutter betrachtet zu werden", erklärte der US-Amerikaner seine Reaktion, die untypisch war für den Mann, den alle als einen der entspanntesten Klitschko-Gegner kennengelernt hatten. Nicht nur in den Tagen vor dem Duell an diesem Sonnabend (22.15 Uhr/RTL) im Stade de Suisse, sondern auch vor vier Jahren in Hamburg, als er erstmals gegen den jüngeren der Klitschko-Brüder angetreten war. Damals hatte der 40-Jährige erst in Runde elf verloren und bis dahin durch gute Defensivarbeit und seine starke Physis - mit 1,96 Meter und 111 Kilo ist er nur vier Zentimeter kleiner und zwei Kilogramm leichter als der 36 Jahre alte Weltmeister - harte Gegenwehr geleistet.

Diesmal will der Pflichtherausforderer des Verbands IBF mehr als nur Gegenwehr bieten. Er kündigte an, Klitschko in der neunten Runde auszuknocken und dessen drei WM-Gürtel mit in die USA zu nehmen. Er tat dies nicht als Lautsprecher wie so viele Gegner vor ihm, die dann doch den Mut nicht aufbrachten, sondern mit dem tiefen Glauben daran, es schaffen zu können. Das Explodieren hebt sich "The Tiger" für den Ring auf. Trainer Barry Hunter vergleicht seinen Schützling deshalb gern mit einem Tsunami: "Erst ist er ruhig, dann kommt Tony völlig unerwartet und walzt alles nieder!"

Thompson, der erst im Jahr 2000 und damit im selben Jahr Profi wurde, in dem Wladimir Klitschko erstmals Weltmeister war, ruht in sich, weil er weiß, dass daraus seine Kraft entsteht. Beim öffentlichen Training auf dem Bundesplatz in der Altstadt schickte er zunächst seinen jüngeren Bruder Keith, der ihm sehr ähnlich sieht, in den Ring, der Spaß blieb mehrere Runden lang unbemerkt. Ehefrau Sydnee und drei der sieben gemeinsamen Kinder, die den Mann aus Washington begleiten, amüsierten sich prächtig.

+++ Info: Klitschkos Kämpfe im Stadion +++

Bernd Bönte hofft sehr, dass dies auch den Zuschauern des Kampfes vergönnt ist. An den ersten Auftritt eines Klitschkos in Bern erinnert sich der Manager der Brüder nur wegen der Rahmenbedingungen gern. Sportlich war das Duell von WBC-Champion Vitali gegen Kevin Johnson im Dezember 2009 auf erschütterndem Niveau, weil der US-Amerikaner zwölf Runden lang nur weglief und sich später brüstete, nicht k.o. gegangen zu sein. "Ich bin mir sicher, dass die Fans diesmal einen spannenden Kampf sehen", sagt Bönte.

Wichtig wäre das auch deshalb, weil die Ukrainer in der Zukunft häufiger im europäischen Ausland antreten sollen, um die Marke Klitschko kontinental so gut aufzustellen wie im Heimatmarkt Deutschland. So ist Vitalis nächste Titelverteidigung am 8. September gegen den Kölner Manuel Charr in Moskau geplant. Im vergangenen Herbst hatte er bereits im polnischen Breslau gekämpft. Duelle mit Lokalmatadoren in England seien ebenfalls lukrativ, so Bönte. Wichtig sei, dass sich die Zeitverschiebung im Rahmen halte, um dem deutschen TV-Exklusivpartner RTL gute Quoten zu garantieren. Deshalb werde man eine Offerte aus New York für einen Kampf Wladimirs im November gegen die US-Hoffnungen Chris Arreola oder Seth Mitchell ablehnen. Auch Dubai sei kein Kandidat. "Dort haben die Menschen einfach kein Gespür für das Boxen", sagt Bönte.

In Bern haben sie das dagegen sehr wohl. "Die Klitschkos verkörpern Internationalität und Weltklasse, das ist eine Mischung, mit der wir uns sehr gern identifizieren", sagt Christoph Neuhaus, Regierungsrat des Kantons Bern, "für eine Stadt mit 130.000 Einwohnern ist es toll, eine solch riesige Aufmerksamkeit zu bekommen." In den Medien wird der Kampf als "das Sportereignis des Jahres in der Schweiz" angepriesen. Für ein Land, dessen Sprache eher zum Minimalismus neigt, wo der Döner zum Grillspießli wird und der Apfelpfannkuchen zum Öpfuchüechli, ist das beachtenswert.

Es liegt nun an Wladimir Klitschko, den Schweizern zu beweisen, dass er ein Weltstar ist und nicht nur ein Weltmeisterli.