Der Hamburger will seine Börsen spenden und Pädagoge werden

Hamburg. Seine Herausforderer hatten in den vergangenen elf Jahren zwei Fäuste, zumeist einen gut trainierten Körper und den Willen, ihn auszuknocken. Doch das, womit sich Mahir Oral seit einigen Wochen herumschlägt, bereitet ihm mindestens ebenso viele Probleme. Von Montag bis Freitag, 9 bis 16 Uhr, stehen für den 31-Jährigen Deutsch, Mathe, Englisch und Biologie auf dem Trainingsplan. Mit intensivem Einzelunterricht bereitet der Mittelgewichtler sich auf die erste Prüfung vor, die ihn seit Beginn seiner Profiboxkarriere außerhalb eines Rings erwartet.

Oral, Deutschtürke, geboren und aufgewachsen in Finkenwerder, will seine Mittlere Reife nachholen, um den Traum von einer zweiten Karriere leben zu können. Schafft er im Frühjahr 2012 den Abschluss, wird er ein Studium als Diplompädagoge beginnen. Da Profiboxen als abgeschlossene Berufsausbildung anerkannt wird, würde die Mittlere Reife als Qualifikation reichen. Und seinen Arbeitsplatz hätte Oral schon zu Studienbeginn sicher.

Seit einigen Monaten arbeitet er für den Verein Box-Out, der sich der Gewaltprävention bei Kindern und Jugendlichen verschrieben hat. Dreimal pro Woche gibt er 9- bis 13-Jährigen Boxtraining. Vereinsgründer Christian Görisch war es, der Oral auf die Idee brachte, sich für die Zeit nach der Karriere zu wappnen und eine profunde Ausbildung zu absolvieren. Den Einzelunterricht für die Prüfungsvorbereitung finanziert Box-Out, Oral ist dort angestellt. "Als ich zu Box-Out kam, hatte ich zum ersten Mal im Leben das Gefühl, Menschen um mich zu haben, denen ich wirklich wichtig bin", sagt Oral.

Man muss seinen sportlichen Werdegang kennen, um diese Aussage zu verstehen. Sein Vater zwang ihn als 20-Jährigen, eine Handwerkerlehre abzubrechen und Profi zu werden. Er wurde in der Anfangszeit von falschen Freunden beraten und verheizt, kämpfte nach einer langen Pause dann für den Hamburger Universum-Stall, setzte sich nicht durch. Er wechselte zum Konkurrenten Arena, erhielt eine WM-Chance, die er gegen Arthur Abraham trotz bravouröser Leistung vergab. Beim Berliner Sauerland-Team verlor er dann seinen zweiten WM-Kampf gegen Sebastian Sylvester, und als er im Februar 2011 in seinem bislang letzten Kampf eine schwere Halswirbelverletzung erlitt, drohte das Karriereende. Oral, der immer für eine Schlacht bereit war und in Würde verlor, weil er nie als Gewinner aufgebaut worden war, stand vor den Trümmern seines Lebens. Dann holte Görisch, ein Bekannter aus Hamburger Amateurzeiten, ihn zu Box-Out.

Seitdem, sagt Oral, ging es nur bergauf für ihn. Mit dem Hamburger Schwerathletik-Guru Johann Martin stabilisierte er seinen maladen Körper so, dass er heute schmerzfrei trainieren kann. Mit dem früheren Landestrainer Vardan Zakarjan bereitet er sich auf ein Comeback vor, denn das Ziel, noch einmal um die WM zu boxen, hat er nicht aufgegeben. Seine Kampfbörsen wird er zu großen Teilen Box-Out zur Verfügung stellen, einen Promoter oder Manager will er nicht mehr. "Die Jugendlichen hier erleben das, was ich selbst erlebt habe. Ihnen dabei zu helfen, aus ihrem Leben etwas zu machen, das ist meine Motivation", sagt er.

Die Prioritäten in seinem Berufsleben haben sich verschoben, das Boxen ist nicht mehr das Wichtigste, sondern die Ausbildung zum Pädagogen. Aber den Biss, der ihm seinen Kampfnamen Löwe eingebracht hat, den hat Mahir Oral nicht verloren. "Ich werde alles geben", sagt er. Das hat er immer schon getan. Aber nun scheint es endlich einen Sinn zu haben.