Mit Severin Freund und Richard Freitag hat der Deutsche Skiverband endlich wieder zwei Topkandidaten für die Vierschanzentournee.

Oberstdorf. Auf den ersten Blick hat sich in 16 Jahren Vierschanzentournee nicht viel verändert bei Martin Schmitt. Der mittlerweile 33 Jahre alte Skispringer rückt sein obligatorisches lilafarbenes Käppi zurecht und blickt dann mit wachen Augen in die große Runde neugieriger Journalisten. Konzentriert, aber nicht verzweifelt, was angesichts seiner bisherigen Saisonleistungen (Plätze 25 bis 50) verständlich wäre. Der Anlass ist freilich auch eher freudig: seine fluege-de-Sprungski, die einem wettbewerbsarmen Markt und neuerdings auch Schmitt wieder Schwung geben sollen. Zu einem richtigen Lachen bringen den Routinier dann aber doch erst zwei kleine Mädchen, die dem Frage-Antwort-Spiel lauschen und dem Deutschen zuwinken. Er winkt zurück, und alle drei freuen sich, als wäre Bescherung.

14.30 Uhr war es, als sich Martin Schmitt in Oberstdorf, wo heute die Vierschanzentournee mit der Qualifikation für das erste Springen beginnt, den Journalisten stellte. Erst am Abend machten es ihm die Österreicher wie Andreas Kofler und Thomas Morgenstern sowie seine Teamkollegen Richard Freitag und Severin Freund nach. Es mag bloßer Zufall gewesen sein, doch dieser große zeitliche Abstand könnte auch für die Leistungsdifferenz zwischen dem einstigen Siegspringer Schmitt und den anderen stehen. Ganz so, wie es auf Musikfestivals Sitte ist: Die Top Acts spielen erst am Abend. Schmitt tritt im Vorprogramm auf. Das Erfreuliche aber ist, dass Freund, 23, und Freitag, 20, einen Platz in der Hauptvorstellung haben. Dank ihnen geht das deutsche Team so chancenreich in die Vierschanzentournee wie lange nicht mehr.

Um einen Tageserfolg oder einen Podiumsplatz am Ende der Tournee können die beiden allemal mitspringen, wie sie in der Saison wiederholt bewiesen haben. Freitag hat sich diesen Dezember mit einem zweiten Platz und seinem ersten Weltcupsieg in die Weltspitze katapultiert, ist Vierter im Gesamtweltcup. Freund rangiert zwei Plätze hinter seinem Zimmerkollegen, hat als Topergebnisse der Saison die Ränge zwei und drei stehen. "Sie sind Mitfavoriten, das ist doch toll", sagt Bundestrainer Werner Schuster.

So viel Optimismus vor der prestigeträchtigen Traditionsveranstaltung war zu einer Seltenheit beim Deutschen Skiverband (DSV) verkommen. Die richtige Flughöhe für Siege hatten die Österreicher und zuvor die Finnen und Norweger. Im vergangenen Jahr war es der mittlerweile zurückgetretene Michael Uhrmann, der als Elfter das beste Resultat der Deutschen lieferte - die schlechteste Ausbeute seit 1995.

Es scheint zwar eine Unendlichkeit her, dass ein DSV-Adler bei der Tournee Kontakt zur Spitze hatte, doch so ganz stimmt das nicht: Martin Schmitt hatte in der Saison 2008/09 ein Zwischenhoch, schloss die Tournee als Vierter ab. Im Jahr davor sprang Michael Neumayer gar auf Platz drei, was jedoch fast unbemerkt blieb. Der große Unterschied jetzt aber ist, dass es nicht zwei Routiniers sind, die sich aufraffen, sondern junge Springer, denen Trainer und Konkurrenten eine erfolgreiche Zukunft prophezeien. Die Aufbruchstimmung ist nicht zuletzt an den Ticketverkäufen für die vier Springen abzulesen, die beliebt sind wie lange nicht mehr. "Deutschland ist hungrig auf Skispringen. Wir freuen uns, dass wir da für ein paar Appetithäppchen sorgen konnten", sagt Schuster und verspricht: "Wir wollen noch nachlegen."

Die großen Favoriten auf den Gesamtsieg sind dennoch andere. Gregor Schlierenzauer, Thomas Morgenstern und Andreas Kofler könnten für den vierten Triumph eines Österreichers in Folge sorgen - falls sie den Weltcup-Zweiten Anders Bardal aus Norwegen auf Distanz halten. Aber das deutsche Duo lauert dahinter. "Sie machen einen sehr guten Job und sind knapp dran", lobt Kofler, und Morgenstern sagt: "Freitag und Freund sind zwei Siegspringer. Das wird eine geile Tournee."

Die Österreicher haben mit ihrer Erfahrung einen entscheidenden Vorteil, sind bestens erprobt darin, mit dem Erwartungsdruck umzugehen. Den jungen Deutschen fehlt dafür noch die Routine. Und die Tournee ist eben nicht bloß ein weiteres Weltcupspringen, sondern so etwas wie das Wimbledon der Skispringer. "Schon alleine, wenn ich an das Springen in Oberstdorf denke, bekomme ich Gänsehaut", sagt zum Beispiel Severin Freund. Alexander Pointner, Trainer der Österreicher, sagt: "Die große Kunst ist, den Erfolg nicht als Rucksack mitzuschleppen."

Die Devise von Bundestrainer Werner Schuster lautet deshalb, sich auf das "Tagesgeschäft zu konzentrieren". Und die Unbeschwertheit zu erhalten - so lange es irgendwie geht.