Der Hamburger Trampolinturner Daniel Schmidt kämpft bei der WM in Birmingham um seine Chance für die Olympischen Spiele 2012.

Hamburg. Früher hätte sich Daniel Schmidt darüber vielleicht geärgert: dass bei den Weltmeisterschaften in Birmingham die Qualifikation im Einzel an diesem Donnerstag bereits um zehn Uhr beginnt, ungewöhnlich früh für einen Trampolinwettkampf. Hat eigentlich mal jemand an die Athleten gedacht? Aber bitte schön, dachte sich Schmidt: Warum soll er nicht einmal profitieren von seiner Doppelbelastung? Schließlich ist er es ja von der Polizeischule gewohnt, früh auf der - genau: Matte zu stehen.

Nein, an seinem Biorhythmus wird der 20-Jährige vom Bramfelder SV sicher nicht scheitern. Es ist sein zweiter WM-Start auf dem olympischen Großgerät. Beim ersten, vor einem Jahr in Metz, kam Schmidt als jüngster Teilnehmer im Einzel auf Rang 26. Wäre damals auch die Mannschaft gewertet worden und nicht nur in ungeraden Jahren, wäre er jetzt im Besitz einer WM-Bronzemedaille. Olaf Schmidt, sein Vater und Trainer, hat es ausgerechnet. Trotzdem versucht er die Erwartungen an seinen Sohn zu zügeln. 120 Teilnehmer haben für das Einzel gemeldet, 33 mehr als 2010, so viele wie noch nie bei einer WM. "Und man kann nicht erwarten, dass die Abbruchquote wieder so hoch ist", sagt Olaf Schmidt.

Die besten Plätze dieser Weltmeisterschaft sind reserviert. Zwei Chinesen, zwei Japaner und ein bis zwei Russen werden es ins Finale und damit direkt zu den Olympischen Spielen schaffen, schätzt Herrencheftrainer Michael Kuhn. Um die übrigen zwei bis drei Plätze bewerben sich mindestens 30 Turner, unter ihnen fünf Deutsche. Wer im Januar beim Qualifikationswettkampf in London eine zweite Olympiachance bekommen will, muss bei der WM mindestens 21. werden.

Weil dem Ziel London alles untergeordnet ist, wird Daniel Schmidt die Entscheidung am Doppelminitrampolin nur als Zuschauer erleben. An seinem Spezialgerät, für das sein Vater als Bundestrainer verantwortlich ist, war er im Vorjahr Europameister im Einzel und mit dem Team geworden. Kuhn hat ihm wie allen Einzelstartern ein Flugverbot erteilt: "Wir wollen im Hinblick auf Olympia durch einen Doppelstart kein unnötiges Risiko eingehen."

Unwägbarkeiten gibt es auch so schon genug. Der Weltverband hat kurzfristig einem chinesischen Trampolinhersteller den Zuschlag für die WM gegeben. Vergleichbare Geräte gibt es in Deutschland nur an den vier Leistungszentren. Hamburg gehört nicht dazu. Und so kann Daniel Schmidt nicht abschätzen, ob er das Niveau, das er im Training erreicht hat, wird umsetzen können. Es liege einen halben bis dreiviertel Meter über dem des Vorjahrs, erzählt Schmidt. Im Trampolinsport sind das Dimensionen. "Daniel hat einen für sein Alter gewaltigen Sprung gemacht, der auf große Trainingsdisziplin schließen lässt", bescheinigt Kuhn. Jeder Zentimeter zählt: Seit diesem Jahr fließt die Flugzeit unmittelbar in die Gesamtbewertung ein.

Schmidt hofft, dass ihm diese Regelung zugutekommt. Bei der nationalen WM-Qualifikation konnte er sich gegen die Konkurrenz durchsetzen. Trotzdem erwartet er bei der WM den acht Jahre älteren Martin Gromowski vor sich: "Wenn er seinen komplizierten Handbruch vom Juni auskuriert hat, ist er besser als alle anderen." Mit seinem eleganten, hohen Sprungstil komme der Kreuznacher den seit Jahren überragenden Chinesen noch am nächsten. Was die körperlichen Voraussetzungen betrifft - 170 Zentimeter, 61 Kilogramm -, könnte auch Schmidt ein Chinese sein. "Aber woher die ihre Sprungkraft nehmen?" Der Hamburger zuckt die Achseln: "Keine Ahnung." Kuhn hat eine. Die Akrobatik habe im Reich der Mitte eine jahrtausendealte Tradition. Und um die Vereinbarkeit von Sport und Beruf bräuchten sich die chinesischen Athleten nicht zu sorgen.

In dieser Hinsicht ist Daniel Schmidt sogar im eigenen Land ein Exot. Er sagt es nicht aus Neid, aber es sei nun einmal so: "Alle anderen haben die Freiheit, jederzeit trainieren und sich um ihren Körper kümmern zu können." Eine Sportförderkompanie wie in anderen Bundesländern gibt es bei der Hamburger Polizei nicht. Wenn Schmidt abends zum Training kommt, sei er vom Polizeischulsport manchmal so erschöpft, dass nicht mehr viel geht. Am 1. Februar beginnt die praktische Ausbildung auf der Wache in Bramfeld. Der Schichtdienst wird seine Trainingsmöglichkeiten weiter einschränken, da macht sich Schmidt nichts vor. Und eine Halle mit dauerhaft installiertem Gerät und ausreichender Deckenhöhe in Hamburg wird ein Traum bleiben.

Und doch hat Daniel Schmidt diesen Weg für sich gewählt, von dem Kuhn sagt, dass es "sicher der schwierigere ist". Für ihn bedeutet Freiheit, sich in der Nähe seiner Freunde und seiner Familie zu wissen. Die Dienststelle seines Vaters, der einen Polizeifuhrpark managt, liegt nur wenige Hundert Meter von seinem Klassenraum entfernt. Daniel Schmidt mag seine Bindungen nicht aufgeben, sie sind Teil seines persönlichen Wohlbefindens. Ob er am Stützpunkt Salzgitter, wo sein Synchronpartner Dennis Luxon trainiert, wirklich zu einem besseren Turner würde? Daniel Schmidt wird es so schnell nicht erfahren.

Für dieses Mal hat Cheftrainer Kuhn noch andere Turner auf dem Zettel, vor allem Gromowski und den deutschen Meister Karsten Kuritz aus Stuttgart. "Sie haben im Moment ein noch höheres Potenzial als Daniel." Schmidts Zeit könnte "Richtung 2016" kommen, dem Jahr der Olympischen Spiele in Rio de Janeiro. Dann hofft Schmidt, der deutsche Vorturner zu sein.