Der 21-Jährige wird am Sonntag erster deutscher Motorrad-Weltmeister seit 18 Jahren

Valencia. Wenn beim Saisonfinale der Motorrad-Weltmeisterschaft am Sonntag (12.15 Uhr/Sport1 live) in Valencia die Startampel auf Grün springt, liegen vor WM-Spitzenreiter Stefan Bradl möglicherweise nur noch 27 Ehrenrunden. Denn ob Marc Marquez, sein einziger verbliebener Konkurrent, überhaupt am Rennen teilnehmen darf, entscheidet sich laut Veranstalter erst am Sonnabendnachmittag. Der 18 Jahre alte Spanier leidet nach einem Sturz beim Training zum Großen Preis von Malaysia vor zwei Wochen noch immer an Gleichgewichts- und Sehstörungen. "Wenn keine Last-Minute-Verbesserung eintritt, kann ich nicht am Rennen teilnehmen, mein Sehvermögen liegt derzeit bei 45 Prozent", schrieb Marquez auf seiner persönlichen Website. "Auf der rechten Seite sehe ich zum Beispiel alles deutlich - aber dafür auf der linken alles doppelt." Beim Training am Freitagnachmittag schaute er nur zu, wie Bradl auf feuchter Piste in 1:41,777 Minuten Tagesbestzeit fuhr.

"Wir werden am Sonnabend gegen 16 Uhr wissen, ob Stefan vorzeitig Weltmeister ist. Marc muss an der Qualifikation teilnehmen, sonst war's das für ihn", sagte ein Sprecher der veranstaltenden Firma Dorna. Aber selbst wenn Marquez starten sollte, ist Bradl der Titel nur noch schwer zu nehmen. Gewinnt der Lokalmatador nicht, stünde Bradl unabhängig vom eigenen Ergebnis als Weltmeister fest. Gewinnt Marquez, reicht dem Deutschen auf dem "Circuit de Ricardo Tormo" ein 13. Platz. Der 21-Jährige aus dem bayerischen Zahling wäre dann der erste deutsche Motorrad-Weltmeister nach 18 Jahren. Damals holte Dirk Raudies (Biberach) den Titel in der 125er-Klasse.

Nach der ersten medizinischen Untersuchung in Barcelona am Mittwochnachmittag hatte der Veranstalter der Rennserie dem Sender Sport1 bestätigt, das Marquez nicht antreten werde. Dies wurde im Laufe des Abends wieder zurückgenommen. Am Donnerstag machte das Team des Spaniers zudem deutlich, dass man die Hoffnung nicht ganz aufgegeben hat: "Wir können nicht sehr optimistisch sein, aber die Ärzte sagen, dass es noch eine kleine Möglichkeit gibt. Die wollen wir nutzen. Wir werden jedoch seine Gesundheit nicht leichtfertig aufs Spiel setzen."

In Bradls Umfeld lässt man sich von den Spekulationen nicht anstecken. "Ich glaube das, dass Marc nicht antritt, erst, wenn er am Sonnabend wirklich nicht auf seiner Maschine sitzt", sagte Max Bradl, Stefans Onkel, ein ehemalige Rennfahrer. Der WM-Spitzenreiter beschäftigt sich ohnehin nur nebenbei mit den Problemen seines spanischen Rivalen, in erster Linie konzentriert sich Bradl wie immer auf sich selbst. Vor allen Dingen, weil er sein sportliches Schicksal selbst in der Hand hat. Trotz der ausgezeichneten Ausgangslage versucht der Kalex-Pilot, sich auf einen ganz normalen Grand Prix einzustellen, auch wenn es ihm diesmal schwerfällt.

"Ich verspüre nicht mehr Druck als vor anderen Rennen, aber es ist schon ein anderes Gefühl als sonst. Da kommt in manchen Momenten doch gewisse Vorfreude auf", sagt Bradl. Die ist verständlich, schließlich liegt der Titel für den Sohn des früheren Vizeweltmeisters Helmut Bradl bei 23 Punkten Vorsprung auf dem Präsentierteller. "Stefan wird am Sonntag neuer Weltmeister. Über alles andere muss sich niemand Gedanken machen", sagt dann auch der heute 47 Jahre alte Raudies.

Bradl steht nach einer schwierigen Saison mit dem zwischenzeitlichen Verlust der WM-Führung an Marquez vor dem Höhepunkt seiner bisherigen Karriere, die beherrschende Figur rund um den Grand Prix wird aber eine andere sein. In Valencia steht das erste Rennen nach dem tödlichen Unfall des Italieners Marco Simoncelli an.

Bradl ist froh darüber, dass es nach der Tragödie von Malaysia weitergeht: "Ich denke, es ist auch im Sinne von Marco, dass wir uns wieder auf unseren Sport konzentrieren. Ich glaube, er hätte das gewollt. Wenn wir dann am Sonntag auf eine erfolgreiche Saison anstoßen können, werden unsere Gedanken sicher auch mit bei ihm sein." Dass er bei seinem mutmaßlichen Titelgewinn maßgeblich von den Folgen eines Unfalls des Konkurrenten profitiert, blendet Bradl allerdings für sich aus: "Ich versuche immer, das Risiko zu beherrschen, und vermeide, wenn möglich, in Grenzbereiche zu gehen."