Vier Hamburger Nachwuchstalente wollen Profisportler werden. Aber Ehrgeiz und Erfolg haben einen Preis - egal, welche Sportart man betreibt.

Hamburg. Er spuckt noch einmal in die Hände. So wie es sein Idol Oliver Kahn oftmals gemacht hat, als dieser noch beim FC Bayern München zwischen den Pfosten stand. Auf dem Platz wirkt Adrian Janns fast wie ein Großer. Dort ist er selbstbewusst, gibt den Ton an, auch innerhalb des Teams. Adrian spielt in der U-15-Nachwuchsmannschaft des Hamburger SV. Er ist die Nummer eins. Eine Auszeichnung, wie er nüchtern bemerkt. Er sagt es mit einer Lässigkeit, die überzeugend, aber nicht überheblich klingt. Anders als viele seiner Altersgenossen, die erste Partys feiern und Mädchen ins Kino einladen, setzt der 14-Jährige alles daran, seinen großen Traum zu leben. Adrian will Fußball-Profi werden. Irgendwann einmal für den FC Barcelona spielen. Das Opfer, das er dafür bringen muss, ist sein Privatleben, sagt Adrian. Aber das sei es ihm wert. Für dieses große Ziel arbeitet er jeden Tag - und misst sich gerne mit möglichst starken Gegnern.

Zum Beispiel neulich auf Platz acht des Trainingsgeländes in Norderstedt: Adrians Team bestreitet ein Testspiel gegen die Frauen-Bundesliga-Mannschaft des HSV. 14-Jährige kicken gegen Mitzwanzigerinnen und machen auf dem Platz mächtig Dampf, die Bundesliga-Damen wirken fast etwas behäbig. Adrian peitscht seine Jungs nach vorne, dirigiert das Spiel. Seine Stimme dröhnt laut über das Feld. Sie klingt männlich, beinahe sonor.

Ganz anders als bei seinem ersten Interview. Im Gespräch mit dem Abendblatt wirkt Adrian beinahe schüchtern. Er nimmt sich viel Zeit für die Antworten, überlegt genau, was er sagt. Und er gesteht, dass die Leidenschaft für den Fußball lange Zeit vor allem die seines Vaters Volker war. "Er ist großer Fan des Sports, hat immer versucht, meinen Bruder und mich für den Fußball zu begeistern", sagt Adrian. Früher habe er zunächst kein großes Interesse gehabt. Doch als Adrian sieben Jahre alt war, wagte er sich schließlich doch auf den Rasen. Beim TSV Wandsetal absolvierte er sein erstes Training. Adrian stellte sich zwischen die Pfosten, "weil man auf dem Feld so viel laufen muss", und genau dort entstand allmählich der Ehrgeiz, immer besser zu werden. Bruder und Vater hatten einst in der Hamburger Auswahl gespielt. Ein Anreiz für Adrian, es ihnen gleichzutun. "Ich wollte das auch erreichen. Mehr als das", sagt er.

Maximilian Franzreb geht es ähnlich. Zumindest was die Leistungsbereitschaft anbelangt. "Maxi", wie sich der 15-Jährige rufen lässt, steht seit seinem zweiten Lebensjahr auf dem Eis. Kaum konnte er sicher laufen, da fuhr er auch schon Schlittschuh. Papa Markus hat ihn damals mitgenommen, stand jahrelang im Tor des Eishockey-Klubs in Bad Tölz, Maximilians Geburtsort. Der kleine Junge bewunderte die Aktionen des Vaters, saß in der Eishalle häufig am Spielfeldrand und bejubelte die vereitelten Torchancen. Einen anderen Sport habe es für ihn nie gegeben, sagt Maxi.

Das vielleicht größte Nachwuchstalent der Hamburg Freezers wirkt extrem cool. Maximilian trägt ein weites Shirt und eine Trainingshose, blickt einem selten in die Augen, wenn er von seinem Sport und den Erfolgen erzählt. Nur einmal gerät er ins Schwärmen. "Wenn man ein Spiel gewinnt und man keinen einzigen Treffer kassiert, ist man der Champ", sinniert der Neuntklässler, "das ist ein absolut irres Gefühl." Wie Adrian möchte er eines Tages Profi-Sportler werden. Am liebsten in der nordamerikanischen Eishockey-Liga NHL. Die Montreal Canadiens sind Maximilians Lieblingsklub. Wann immer er Zeit hat, guckt er Live-Übertragungen der Spiele im Fernsehen. Eishockey ist längst kein Hobby mehr für den ambitionierten Jungen. 40 Stunden pro Woche investiert der Realschüler aus Barmstedt in Training, Spiele und Fahrten - mehr Zeit als in die Schule. Seinen Notendurchschnitt schmälert das kaum. "Momentan liegt er bei 2,5, ich bin zufrieden", sagt Maxi knapp.

Der etwas abergläubische Junge, der stets eine Kette mit einem Engel- und einem Löwen-Anhänger um den Hals trägt und das Spielfeld immer als Letzter seines Teams betritt, ist ein zurückhaltender Typ, einer, der erst auf dem Eis so richtig auftaut. Es wirkt manchmal, als habe er zwei Persönlichkeiten, scherzt Maximilians Mutter Barbara Ley. Sie hat ihren Sohn wieder einmal zum Training gefahren, mit dem Auto aus Barmstedt kommend eine Strecke von rund 40 Kilometern zurückgelegt. Gemeinsam mit Maxi hofft sie darauf, dass er nach dem Schulabschluss nächstes Jahr Erfahrungen in Amerika sammeln und vielleicht sogar den Durchbruch im Eishockey schaffen kann. Sie bewundert Maximilian für seine Disziplin, seinen unermüdlichen Eifer. Er sei absolut pflegeleicht, sagt sie. Selbst beim Aufstehen unter der Woche würde er nie murren. "Es ist eher so, dass er mich aus den Federn wirft", erzählt Barbara Ley.

Dass er seiner Jugend irgendwann nachtrauern könnte - davon will Maximilian nichts wissen. "Freitags ist Freizeittag", sagt er, "das reicht mir. Wer was werden will, muss daran arbeiten." Noch hat er genügend Zeit dafür. Disco-Nächte und Mädchen stehen nicht auf seiner Agenda. Eine Freundin hat Maximilian zumindest momentan noch nicht. Da werde es in Zukunft ganz sicher eine "natürliche Auslese" geben, meint Mutter Barbara. Ein Mädchen, das die Eishockey-Leidenschaft ihres Sohnes nicht verstehe, habe sowieso keine Chance.

So einfach ist es für Finn Ole Maciejewski längst nicht mehr. Mit Freundin Semma ist der 15-jährige Nachwuchs-Handballer des HSV Hamburg bereits seit einem Jahr liiert. In der Vergangenheit hat Finn es bislang immer hinbekommen, genügend Zeit mit ihr zu verbringen. Semmas Wohnort lag auf dem Weg zur Trainingshalle in Hamburg. Doch seit Beginn des neuen Schuljahrs besucht Finn die Eliteschule des Sports am Alten Teichweg. "Wie ich das in Zukunft koordiniere, muss ich noch sehen", sagt der Norderstedter.

Finn steht am Spielfeldrand der Volksbank-Arena und blickt in Richtung des Bundesliga-Star-Ensembles von Trainer Per Carlén. Die Meistermannschaft hat gerade das Training beendet, und Finns Team, die B-Jugend des HSV, bestreitet im Anschluss ein Freundschaftsspiel gegen den VfL Sittensen. Mit seinen 1,96 Metern könnte der 15-Jährige locker den Profis zugeordnet werden. Nur die fehlende Muskelmasse und sein jugendliches Gesicht verraten, dass Finn noch zu den Nachwuchs-Talenten gehört. "Die Ärzte haben errechnet, dass ich 2,04 Meter werde, aber mit 2,02 Metern wäre ich schon zufrieden", sagt das Ausnahme-Talent. Es wäre ein Gardemaß für einen Rückraumspieler. Pascal Hens, sein früheres Idol, misst 2,03 Meter.

Als Finn klein war, hat er seinem großen Vorbild von der Tribüne aus zugejubelt und dessen "coole Frisur" bewundert. Heute spielen Hens und Finn im selben Verein, wenn auch in unterschiedlichen Ligen. Finn weiß, dass er auf dem Weg in die Handball-Bundesliga noch einige Hürden überwinden muss, und hofft deshalb, möglichst lange verletzungsfrei zu bleiben. Vor wenigen Wochen hatte sich der 15-Jährige einen Bänderriss im rechten Fuß zugezogen. Im Frühjahr kämpfte er zudem gegen das Pfeiffersche Drüsenfieber. "All das hat mich ziemlich zurückgeworfen", sagt Finn. Durch das Drüsenfieber musste er einen Sichtungslehrgang des Deutschen Handballbundes absagen. "Ich war bereits in der zweiten Runde und möchte unbedingt in den Kader der Nationalmannschaft berufen werden", sagt Finn. Die Hymne zu hören, dieses Kribbeln im Bauch zu fühlen, wenn die schwarz-rot-goldene Flagge gehisst wird - das ist ihm momentan näher als die Profi-Karriere. Ein unbeschreibliches Gefühl.

Auch Amelie Wortmann hat dieses Gefühl tief beeindruckt. Pfingsten durfte das Hamburger Hockey-Talent des Großflottbeker THGC zum ersten Mal mit der Nationalmannschaft auflaufen. Beim Vier-Nationen-Turnier in Mannheim spielte die 14-Jährige mit der U 16 gegen Holland, Schottland und Belgien. Die Nationalhymne hat sie immer mitgesungen, so wie alle Mädchen aus ihrem Team. Amelie strahlt, wenn sie von diesem Erlebnis berichtet. "Ich war voller Adrenalin, konnte es kaum erwarten, endlich zu spielen", sagt sie. Die fabelhafte Welt der Amelie - sie existiert so lange, bis es um die Frage der beruflichen Zukunft geht. Denn anders als Adrian, Maximilian und Finn hat Amelie in Deutschland keine Chance, mit ihrem Sport großes Geld zu verdienen.

Hockey ist nach wie vor kein Profisport in der Bundesrepublik. "Noch nicht, vielleicht wird das ja noch", sagt Amelie zuversichtlich. Wie Eishockey-Talent Maximilian zählt die Gymnasiastin zu den eher zurückhaltenden Jugendlichen, die ihre Schüchternheit erst auf dem Feld ablegen. Amelie redet nicht gerne über ihre Erfolge, betont immer wieder, wie wichtig die Teamleistung sei. Wenn ihre Freundinnen fragen, wann sie das nächste Spiel hat, vermeidet sie es, ihnen Antwort zu geben. Fans unter den Zuschauern sind Amelie unangenehm. Selbst die Familie - bis auf Mutter Janne alles Hockey-Spieler - ist am Spielfeldrand nur geduldet, aber nicht erwünscht.

Wenn "Schlumpfinchen", wie ihr Trainer Amelie nennt, einen Rat annimmt, dann den ihres Cousins Johannes Persoon, der ebenfalls bei Flottbek und in der Nationalmannschaft spielt. Er gibt Amelie manchmal Einzelunterricht, arbeitet mit ihr an der Technik. "Er ist auf dem Boden geblieben, spielt tolles Hockey", schwärmt Amelie, die in ihrer Freizeit den Fußballern des HSV die Daumen drückt und von Kindesbeinen an Fan von Ex-Pauli-Kicker Gerald Asamoah ist. Amelie ist vielleicht eines der vielseitigsten Nachwuchstalente. Und auch sie wird ihren Weg gehen. Träumen darf Amelie noch, sagt ihre Mutter Janne Wortmann. Die Realität kommt früh genug.