Die Kielerin Angelique Kerber setzt den Höhenflug der deutschen Tennisdamen fort und zieht bei den US Open überraschend ins Viertelfinale ein

New York. Das Fräuleinwunder von New York ist perfekt und weckt Erinnerungen an große alte Zeiten: Angelique Kerber hat als erste Deutsche seit elf Jahren das Viertelfinale der US Open erreicht. Auf ihrem überraschenden Siegeszug von Flushing Meadows bezwang die Weltranglisten-92. aus Kiel Monica Niculescu (Rumänien) mit 6:4, 6:3 und trat ein wenig aus dem Schatten der zuletzt so erfolgreichen Vorzeigefrauen. Auch die Berlinerin Sabine Lisicki, deren Achtelfinalmatch gegen die an Nummer zwei gesetzte Russin Vera Zwonarewa bei Redaktionsschluss dieser Ausgabe noch nicht beendet war, und Andrea Petkovic, die heute gegen die ungesetzte Spanierin Carla Suarez ihrer Favoritenstellung gerecht werden will, haben noch die Chance, Kerber in die Runde der letzten acht zu folgen. Bereits der Achtelfinaleinzug des Frauenpower-Trios war das beste Abschneiden deutscher Spielerinnen im Big Apple seit 1987 gewesen. "Sie wollen alle immer noch mehr. Und diese Siegermentalität macht sie so gut", sagte Barbara Rittner. Die Teamchefin der deutschen FedCup-Mannschaft hält sogar einen baldigen Grand-Slam-Triumph von Petkovic oder Lisicki für möglich. "Das könnte schneller passieren, als man vielleicht denkt", glaubt Rittner.

Die 23-jährige Kerber, die im bisherigen "Seuchenjahr 2011" schon zehn Erstrundenpleiten kassiert hatte, zeigte sich in ihrem ersten Grand-Slam-Achtelfinale nervenstark. Auf Außenplatz 17 legte die Linkshänderin mit zwei frühen Breaks in beiden Sätzen den Grundstein für ihren bislang größten Erfolg, durch den sie bereits eine Prämie von 225 000 Dollar sicher hat. In dem Geduldsspiel gegen die im Ranking 24 Plätze besser platzierte Niculesu sicherte sich Kerber nach 54 Minuten den ersten Satz und zeigte erleichtert die Faust. Nach dem Matchball schrie sie ihre Erleichterung in den blauen Himmel. Den konditionellen Grundstein hatte die Norddeutsche gemeinsam mit Petkovic im Juli durch ein dreiwöchiges Intensivtraining in der Waske-Academy in Offenbach gelegt. "Da habe ich schon gesagt, dass es Angie schafft und bald in die Top 30 kommt", so "Petko". Kerber war von Rang 45 zu Jahresbeginn sogar bis auf Rang 107 abgerutscht. Im Viertelfinale trifft sie morgen auf die an Nummer 26 gesetzte Italienerin Flavia Pennetta.

Die an einem Meniskuseinriss laborierende Petkovic setzt im Kampf ums Viertelfinale auf einen "FP3"-Laser, ein wenig Hokuspokus und einen italienischen Wunderarzt. Die Darmstädterin marschierte ungeachtet eines Meniskuseinrisses ins Achtelfinale von New York und tanzt nach dem 6:4, 6:0 gegen Roberta Vinci (Italien) weiter auf der Rasierklinge. Sämtliche Vertrauenspersonen aus ihrem Umfeld wollten sie vom Spielen abhalten. Vater Zoran hofft sogar jedes Mal auf eine Niederlage seiner Tochter - und setzt sich nicht mehr in die Box. "Aber ich will hier noch mehr. Danach werde ich mir dann auch eine Auszeit nehmen, um alles richtig untersuchen zu lassen", kündigte die Melbourne- und Paris-Viertelfinalistin an, die noch um die Teilnahme am Masters Ende Oktober in Istanbul kämpft.

Die 23-Jährige lässt nichts unversucht. Auf Anraten des Weltranglistenersten Novak Djokovic und einiger anderer serbischer Spieler unterzieht sie sich zweimal täglich in einem New Yorker Hotel einer Lasertherapie bei dem italienischen Professor Pier Francesco Parra. Dabei soll die Regeneration des kaputten Gewebes beschleunigt werden. "Ich vertraue auf den Hokuspokus der Balkan-Truppe", berichtete Petkovic schmunzelnd. Und die Behandlung fruchtet. "Ich fühle mich besser. Im Spiel gegen Vinci ist mir der Schmerz nur noch einmal reingefahren", erzählte die deutsche Nummer eins. Der Verletzung kann Petkovic sogar etwas Positives abgewinnen. "Sie nimmt mir etwas den Druck, denn ich erwarte wegen der Ausgangslage nix von mir", sagte die Straßburg-Siegerin.

Ungeachtet dessen sind ihre Ansprüche nach einem Traumjahr und der Bilanz von 47:16 Siegen gestiegen. Während Petkovic im vergangenen Jahr nach ihrem Achtelfinaleinzug bei den US Open noch völlig euphorisch war, bleibt sie jetzt gelassen. Zumindest auf dem Tennisplatz. Abseits des Courts gerät Petkovic derzeit leicht in Panik, denn in Spielerkreisen kursiert ein Virus. "Ich wasche mir ungefähr 37-mal die Hände und gehe immer in denselben Restaurants essen. Außerdem habe ich die Abklatscherei etwas reduziert", sagte Petkovic.

Dass die Hartplatzsaison ihre Spuren hinterlässt, beweist nicht nur der Fall Petkovic. Der Ausfallrekord bei den US Open hat die Spieler alarmiert. 16 Profis hatten allein bis zum Achtelfinale aufgegeben oder waren zu ihren Partien nicht angetreten. Das ist Negativrekord und übertrifft die bisherige Höchstmarke von zwölf Ausfällen während des gesamten Turnierverlaufs in Wimbledon 2008 und bei den Australian Open 2003. Untersuchungen belegen, dass sich die Reaktionszeit im Vergleich zu 1970 um die Hälfte reduziert hat. Außerdem sind die Spieler größer. Nach einer Studie der tschechischen Universität Olmütz hat die Körpergröße der Top 100 in den letzten 25 Jahren um knapp zehn Prozent zugenommen. Zudem wiegen die Rackets inzwischen nur noch knapp 300 Gramm.

Alles Fakten, die die Belastungen des Körpers erhöhen. "Im Gegensatz zu heute war es früher unmöglich, zwei Meter hinter der Grundlinie zu stehen und Winner zu schlagen", sagte der dreimalige Wimbledonsieger Boris Becker. Auch die Spielerinnen-Vereinigung hat die größere Anfälligkeit registriert. "Früher hatten wir mehr chronische Blessuren. Heutzutage haben wir mehr akute Verletzungen, die oft auch operiert werden müssen", sagte Kathleen Stroia, für medizinische Fragen zuständige WTA-Vizepräsidentin.