Ein Sportgespräch mit der Weltrekordlerin im Hammerwurf über die mangelnde Beachtung ihrer Disziplin und ihre Ziele für die WM in Südkorea.

Hamburg. Auf der südkoreanischen Ferieninsel Jeju-do verbringen Frischvermählte ihre Flitterwochen. Für Hammerwurf-Weltrekordlerin Betty Heidler, 27, hatte sich das Urlaubseiland alles andere als ein Ort der Harmonie erwiesen. Wegen schlechter Trainingsbedingungen reiste die Frankfurterin am Freitagmorgen drei Tage früher als geplant zum Wettkampfort Daegu, wo in der Nacht zum Sonnabend die 13. Leichtathletik-Weltmeisterschaften mit Qualifikationen und Vorläufen begannen. Der Ring auf dem Trainingsplatz hatte keinen Käfig und "einen kleinen Hügel drin, man dreht von unten nach oben", schimpfte sie. Das WM-Stadion in Daegu aber wird Heidler wohl erst am nächsten Freitag betreten, wenn sie in der Qualifikation gefordert ist: "Man ist ja doch zu sehr auf den eigenen Wettkampf konzentriert, als dass man es genießen könnte, sich die anderen Wettbewerbe anzuschauen."

Abendblatt: Frau Heidler, auf Ihrer Homepage wird immer noch Anita Wlodarczyk als Weltrekordhalterin geführt. Ist Ihr Weltrekordwurf von 79,42 Metern nach drei Monaten etwa noch nicht bei Ihnen angekommen?

Betty Heidler: Doch, doch, die Liste habe ich auch bereits ändern lassen. Wenn ich die Zeit finde, werde ich auch den Text entsprechend anpassen. Es hat in der Tat eine Weile gedauert, diese Leistung zu realisieren.

Was hat sich seit dem Weltrekord für Sie verändert?

Heidler: Mein Bekanntheitsgrad, die Wahrnehmung in der Öffentlichkeit, ist schon stark gestiegen. Mir liegen mehr Anfragen vor für Interviews, Ehrungen oder sonstige Veranstaltungen. Und ich werde öfter von Menschen auf der Straße erkannt und angesprochen. Offenbar ist der Weltrekord nicht nur bei mir, sondern auch bei der breiten Bevölkerung angekommen.

Als Werbeträgerin sind Sie von Sponsoren aber noch nicht entdeckt worden.

Heidler: In der Hinsicht ist leider gar nichts passiert. Die Zeiten, in denen die Sponsoren bei Leichtathleten Schlange standen, sind vorbei - mit Ausnahme einiger weniger Stars, die ständig in den Medien präsent sind. Als Hammerwerferin gehört man eher nicht dazu. Vielleicht entwickelt sich nach der Saison noch etwas.

Enttäuscht Sie das?

Heidler: Nein. Ich habe gute Partner, mit denen ich gut zusammenarbeite und sehr zufrieden bin. Wenn zusätzlich Anfragen kommen, freue ich mich sehr, aber ich bin nicht darauf angewiesen.

Was Ihnen der Weltrekord in jedem Fall eingebracht hat, ist der Status als Deutschlands Goldhoffnung Nummer eins. Können Sie damit leben?

Heidler: Sehr gut sogar. Ich versteife mich nicht darauf, bei der WM unbedingt Gold zu gewinnen. Wenn man so überheblich an die Sache herangeht, ist man entweder nicht konzentriert genug oder man verkrampft. Das wäre nicht meine Art. Mein Ziel ist eine Medaille, wenn es gut läuft, ist das realistisch. Warum sollte ich mich stressen? Sicher, ich war dominant in diesem Jahr. Aber auch ich muss erst meine Leistung abliefern. Und es gibt noch andere, die weit werfen können.

Bei Olympia 2008 in Peking sind Sie als amtierende Weltmeisterin offenbar am Erwartungsdruck zerbrochen. Welche Lehren haben Sie daraus gezogen?

Heidler: Die Ausgangssituation damals war eine ganz andere. Ich war im Winter operiert worden, im Aufbautraining musste ich viel improvisieren. Meine Saisonbestleistung lag bei knapp über 74 Metern, ich war technisch nicht stabil. Hinzu kommt: Nach dem WM-Sieg 2007 habe ich im Training viele Fehler gemacht. Ich habe viele Veranstaltungen wahrgenommen, war viel unterwegs und habe mein Training an diesem Programm orientiert. Daraus habe ich gelernt. Jetzt hat das Training Priorität, alles andere wird nur gemacht, wenn es passt. Den Unterschied kann man an den Weiten ablesen.

Die Entwicklung verläuft in Ihrem Sport immer noch rasant, der Weltrekord liegt heute mehr als sechs Meter über dem von 2005. Sehen Sie eine natürliche Grenze?

Heidler: Kann man nicht sagen. Technisch sehen wir immer noch Reserven - worüber ich ganz froh bin, denn wenn es nicht mehr weiterginge, hätte ich keinen Anreiz weiterzumachen. Auch die Zubringerleistungen können weiter verbessert werden in der Hoffnung, dass sich das in Weite niederschlägt.

Die 80 Meter sind plötzlich in greifbare Nähe gerückt. Muss diese Marke in Daegu fallen, um Gold zu gewinnen?

Heidler: Dass irgendetwas muss, habe ich mir längst aus dem Kopf geschlagen, denn das geht am Ende schief. Was man muss, ist entspannt bleiben und Spaß haben. Ich gehe davon aus, dass die Goldmedaille bei 76,50 bis 77 Metern vergeben wird. In diesem Bereich habe ich mir auch mein Ziel gesetzt. Natürlich träume ich davon, als erste Frau die 80-Meter-Marke zu knacken. Aber wenn es passiert, passiert es eben.

Sie sind in Halle mit dem Weltrekord in diese Saison eingestiegen. Haben Sie Sorge, dass Sie zu früh in Bestform waren?

Heidler: Nein, denn ich habe die Form über die nächsten Wochen gehalten. Ich hatte mehrere Wettkämpfe über 77 Meter. Der Vorteil am ersten Wettkampf der Saison ist ja, dass man unbedarft an die Sache herangeht und einfach nur schaut, was passiert, ohne zu viel zu erwarten. Das Gefühl kommt im Lauf einer Saison nicht wieder.

Das WM-Finale 2009 in Berlin gilt als der beste Hammerwurfwettkampf aller Zeiten, 60 000 jubelten Ihnen im Stadion zu, Millionen fieberten an den Fernsehschirmen mit. Trotzdem hat der Weltverband IAAF die Hammerwerferinnen aus der Diamond League verbannt. Fühlen Sie sich diskriminiert?

Heidler: Ja! In der Wahrnehmung ist zumindest in Deutschland eine Veränderung festzustellen. Wir tummeln uns aber weiter auf kleineren Schauplätzen, in die großen internationalen Meetings und die großen Stadien kommen wir nicht hinein. Der Rahmen unserer Wettkämpfe ist nicht so, wie man es sich wünschte. Umso mehr hoffe ich auf das Istaf in Berlin im September, bei dem wir ins Hauptprogramm integriert sind. Das ist ein erster Schritt nach vorn.

Ihre Kollegin Kathrin Klaas hat sich den Unmut über die Ausbootung aus der Diamond League kürzlich auf den Bauch geschrieben. Wie weit würden Sie mit Ihrem Protest gehen?

Heidler: So weit, wie ich es jetzt tue. Ich trage es mündlich in die Öffentlichkeit. Auf den Bauch schreiben würde ich es mir nicht.

Sind Hammerwerfer eine besondere Gattung?

Heidler: Die Werfer allgemein, ja. Wir sind ziemlich locker und entspannt, eher ruhig. Ich werde sicher keinen Kopfstand machen, um Aufmerksamkeit zu erzeugen. Das wäre nicht ich.

Hammerwurf gilt als eine der anspruchsvollsten Disziplinen überhaupt. Wie kann man dem Publikum die Komplexität im Wettkampf vermitteln?

Heidler: Allein ein Stadionsprecher kann einen Wettkampf unheimlich spannend machen, die Markierungen im Feld. Es gibt keinen Grund, warum ein Wettkampf langweilig sein sollte.

Tritt der Deutsche Leichtathletik-Verband DLV ausreichend für die Belange seiner einzigen Weltrekordlerin ein?

Heidler: Wir haben den DLV auf unsere Problematik aufmerksam gemacht und werden versuchen, auch in Daegu mit Unterstützung der Teamleitung Gespräche auf internationaler Ebene zu führen. Es gab auch seitens des DLV eine offizielle Anfrage, warum wir bei der Team-EM in Stockholm im Juni als Einzige noch vor der offiziellen Eröffnung antreten mussten. Da erhalten wir schon ein gutes Feedback.

Sie haben weiter geworfen als manch eine, die später des Dopings überführt wurde. Müssen Sie sich für Ihre Leistung rechtfertigen?

Heidler: Es kommen natürlich Nachfragen. Ich kann dazu nur sagen: Meine negativen Dopingtests sind aussagekräftig genug. Was ich in dem Zusammenhang am schönsten fand: dass die Konkurrenz in Halle zu uns kam und uns gratuliert hat - auch aus Nationen mit Dopingvergangenheit und obwohl sie wissen, dass wir sauber arbeiten. Das war früher nicht selbstverständlich. Die osteuropäischen Länder nehmen ja gern für sich in Anspruch, die Erfinder des Hammerwurfs zu sein. Mittlerweile müssen sie anerkennen, dass wir auch wissen, wie es geht. Es hat lange gedauert, bis wir überhaupt Kontakt zu diesen Athleten gefunden haben.

Wie zuversichtlich sind Sie, dass es in Daegu einen sauberen Wettkampf gibt?

Heidler: Viel zuversichtlicher als noch vor einigen Jahren. Die Konkurrenz ist inzwischen ziemlich geschlossen und taucht im Sommer mehrfach auf. Da wäre es schon sehr schwierig, unsauber zu arbeiten. Aber ich lege für keinen meine Hand ins Feuer.