Trotz Schweinsteigers Befreiungsschlag fordert der ehemalige Nationaltorhüter weiter Leitwölfe – Kein Verständnis für Bayerns Kapitäne.

München. Bastian Schweinsteiger war nicht mehr zu bremsen: Vollkommen entfesselt rannte er nach seinem Führungstreffer im Playoff-Hinspiel der Qualifikation zur Champions League gegen den FC Zürich über das gesamte Spielfeld. Er ist kein „Chefchen“, sondern sehr wohl ein „Chef“, wollte er offenbar der ganzen Welt, aber vor allem Einem zeigen: seinem ehemaligen Mitspieler Oliver Kahn, der die Führungsspieler-Diskussion im deutschen Fußball angestoßen, aber noch lange nicht beendet hat. Im Gegenteil.

Trotz Schweinsteigers Befreiungsschlag legt Kahn nun nach: Der ehemalige Nationaltorhüter hat seine Kritik an Philipp Lahm und Schweinsteiger verstärkt und die beiden Kapitäne von Bayern München dazu aufgefordert, sich selbst zu hinterfragen. „Die beiden möchten und sollten jetzt den nächsten Schritt in ihrer Entwicklung machen. Mich hat früher Kritik auch geärgert, ich habe mich aber hinterfragt. Diese Einstellung ist sehr empfehlenswert“, sagte der 42-Jährige dem Fachmagazin „kicker“.

Die Aussagen von Nationalmannschaftskapitän Lahm, „dass man Führungsspieler nicht mehr brauche“, fand Kahn „nicht in Ordnung. Als Kapitän der Nationalmannschaft nahm ich mir nicht heraus zu sagen, dass man Typen wie Franz Beckenbauer, Sepp Maier oder Paul Breitner nicht mehr brauche. Mit solchen Aussagen muss man vorsichtig sein, das meine ich mit Respekt“. Lahm solle nicht so tun, „als wären die heutigen Führungsmuster das Nonplusultra“.

Ein Führungsspieler müsse keineswegs „ein Einzelner sein“, sagte Kahn und sprach von optimal „fünf, sechs Spielern, die für ein Ziel alles geben und das täglich demonstrieren. Solche Spieler waren gestern nötig, sind es heute und in 100 Jahren“, sagte der 86-malige Nationalspieler. Nur mit solchen Führungspersönlichkeiten könne man die finanziellen Nachteile gegenüber den Ligen in Spanien und England ausgleichen: „Mir geht es um eine besondere Mentalität in bestimmten Momenten. Und dann verlieren wir gegen Spanien vielleicht nicht mit 0:1.“

Kahn bedauere zudem, dass die Diskussion in Deutschland schwer zu führen sei, „weil die sofort stark von Emotion und Polemik besetzt wird. Es geht überhaupt nicht um Alphatiergehabe“, sagte er und kündigte an, auch weiterhin Stellung zu beziehen, „wenn ich gefragt werde“.

Kahn hatte die Debatte über „Leitwölfe“ im deutschen Fußball Anfang der Woche angestoßen, weil er Lahm und Schweinsteiger vorgeworfen hatte, oftmals Konsens und Anerkennung zu suchen, statt die Mitspieler anzutreiben. Sowohl Lahm als auch Schweinsteiger hatten sich von den Vorwürfen distanziert – und prominenten Beistand bekommen. „Ich bin anderer Ansicht als Oliver Kahn und teile seine Meinung nicht. Im Gegenteil. Seine Kritik ist polemisch und respektlos“, sagte etwa Bayerns Sportdirektor Christian Nerlinger, Präsident Uli Hoeneß bewertete Kahns Äußerungen als „Käse und unnötig wie ein Kropf“.

Genauso wie es der 86-malige Nationalspieler Kahn verdiene, „dass ihm Respekt gezollt wird für seine ausgezeichneten Leistungen in der Vergangenheit, so gehört es sich auch, dass den beiden der Respekt entgegengebracht wird“, forderte Nerlinger. Auch Rekordnationalspieler Lothar Matthäus hatte für Kahns Äußerungen nichts übrig. „Der Fußball hat sich geändert. Man wird beobachtet und versucht natürlich, Probleme nicht nach außen zu tragen. Ich bin aber überzeugt, dass der FC Bayern intern Führungsspieler hat, die diese Probleme ansprechen“, sagte der ehemalige Bayern-Spieler.

Verständnis für seine Kritik hatte Kahn aber zuvor immerhin von Bayern Münchens Ehrenpräsident Franz Beckenbauer bekommen. „Ich kann Kahn verstehen. Unsere Mannschaften haben international immer nur dann Titel geholt, wenn starke Persönlichkeiten auf dem Platz standen, die ihren Mitspielern auch notfalls in den Hintern getreten haben“, sagte Beckenbauer der „Bild“-Zeitung. Man brauche gerade dann Führungsspieler, „wenn es nicht läuft. Wie zum Beispiel bei Bayerns Auftaktniederlage gegen Gladbach.“