Der Hamburger Moritz Fürste will die Heim-EM nutzen, um als Führungsspieler zu reifen und seine Außenwirkung zu verbessern.

Hamburg. Als sich vor zweieinhalb Monaten seine wegen des Gebrauchs von Kontaktlinsen ständig schmerzenden Augen auch noch entzündeten, hatte Moritz Fürste die Faxen dicke. Seitdem trägt der 26 Jahre alte Hockey-Nationalspieler abseits des Sportplatzes eine modische Brille mit dunklem Gestell, die ihn erwachsener wirken lässt. Es mag Zufall sein, dass diese kleine äußerliche Korrektur in eine Phase fällt, in der Fürste vor allem innerlich um Veränderung kämpft, dennoch taugt die Sehhilfe durchaus als Symbol für den Transitionsprozess, den der Mittelfeldspieler des Uhlenhorster HC angeschoben hat. Fürste ist kurz davor, den entscheidenden Schritt zu machen vom Supertalent zum Topspieler, man könnte sagen, dass er anzukommen versucht auf dem Niveau, das nur die Besten erreichen, und er hat auf diesem Weg Erfahrungen gemacht in den vergangenen Monaten, die ihm geholfen haben, erwachsen zu werden.

Wenn am Sonnabend (14 Uhr/ARD live) in Mönchengladbach die Europameisterschaft mit der Partie gegen Belgien beginnt, wird Fürste im Fokus von Markus Weise stehen. Der Bundestrainer war mit der Leistung seines Führungsspielers bei den beiden jüngsten internationalen Großevents, der Champions Trophy 2010 und der Hallen-WM 2011, nicht zufrieden gewesen. Gehemmt hatte der UHC-Akteur gewirkt, ganz so, als sei er mit zu vielen Dingen auf einmal beschäftigt und habe darüber vergessen, sich auf die eigenen Stärken zu besinnen. Tatsächlich war genau das nicht nur im Auswahlteam, sondern auch im Verein das Problem, das Fürste im vergangenen Jahr zusetzte.

Man muss fünf Jahre zurückschauen, um dieses Problem nachvollziehen zu können. Beim WM-Triumph 2006 in Mönchengladbach war der Stern des damals 21-Jährigen aufgegangen, er hatte beim 4:3-Finalsieg gegen Australien ein Tor erzielt und sich in den Blickpunkt gespielt. Zwei Jahre später gewann er mit dem UHC die Euro Hockey League und wurde in Peking Olympiasieger. „In dieser Zeit prasselte so viel auf mich ein, was ich nicht verarbeitet habe“, sagt Fürste heute. Er habe damals Hockey über alles gestellt und sei überzeugt gewesen, dass ihn nichts und niemand stoppen könne. „Weltmeister, Olympiasieger – was sollte da noch kommen? Ich dachte, ich könnte auf dem Mond landen und den Mondmann ausdribbeln“, sagt er.

Die vielen Schulterklopfer, deren Lob er nicht immer richtig einzuordnen verstand, gaben Fürste das Gefühl, Titel wie die deutsche Meisterschaft im Vorbeigehen einheimsen zu können. „Gegen diese Selbstverständlichkeit hätte ich mich viel mehr wehren müssen“, sagt er, „ich habe damals aber nicht realisiert, dass ich möglicherweise die größten Erfolge meiner Karriere schon hinter mir hatte.“ Umso heftiger traf es ihn, in dieser Saison von drei mit dem UHC angestrebten Titeln keinen erreicht zu haben. Nach dem Halbfinalaus in der Feld-DM gegen den Club an der Alster kauerte Fürste eine Stunde tränenerstickt auf dem Spielfeld. „Ich kann nicht damit leben, wenn man nicht alles für den Erfolg tut“, sagt er, „deshalb tat dieses Aus so weh.“

Nachdem der Misserfolg verwunden war, begann Fürste mit der schonungslosen Aufarbeitung, er beschäftigte sich dabei zuallererst mit seiner eigenen Rolle. Dass er an der Universität Heidelberg ein Fernstudium in Wirtschaftspsychologie begonnen hat, unterstützte diesen Prozess des Hinterfragens der persönlichen Grundeinstellung. Der wichtigste Schluss, den Fürste gezogen hat, ist der, dass er versuchen muss, sich wieder auf seine Stärken zu besinnen. „Ich habe große Fehler in der Interpretation meiner Rolle gemacht. Ich wollte Führung abgeben, bin zu wenig als Leader vorangegangen, sondern wollte die Hierarchie flach und die Stimmung hoch halten. Ich muss mir aber Dinge herausnehmen, die sich andere nicht herausnehmen, um authentisch zu bleiben“, sagt er.

Andererseits, und das ist der zweite wichtige Schluss, will er auf dem schmalen Grat zwischen selbstbewusstem und arrogantem Auftreten nicht mehr die Balance verlieren. Es habe einige Situationen gegeben in den vergangenen Jahren, in denen Menschen ihm nach genauerem Kennenlernen in Gesprächen gestanden, ihn zunächst für arrogant gehalten zu haben. „Seit ich weiß, dass ich anders wahrgenommen werde, als ich dachte und es möchte, arbeite ich an meiner Außenwirkung. Ich kann meinen Charakter nicht ändern, wohl aber mein Auftreten, und ich bin mir jetzt voll bewusst, dass ich eine Vorbildfunktion habe“, sagt er.

Als Gesicht und Star seines Klubs fällt Fürste per se die Führungsrolle zu, auch im Nationalteam ist er als Vizekapitän und Mitglied des Mannschaftsrats ebenso nicht nur ob seiner sportlichen Fähigkeiten einer der Anführer. Und doch korrespondierte seine Leistung in den vergangenen Monaten nicht ausreichend mit dem Maßstab, den sein Umfeld, aber auch er selbst an sich anlegt. Den Gedanken, er habe sich möglicherweise zu sehr unter Druck gesetzt, hat Fürste verworfen, er habe jedoch „vieles, was den Sport angeht, zu wichtig genommen“. Dabei sei er grundsätzlich einer, der nicht in erster Linie gierig ist auf Titel, sondern der den Spaß am Spiel in den Vordergrund stelle. „Ich habe nie Motivationsprobleme gehabt, weil ich Hockeyspielen liebe“, sagt er.

Dennoch habe es ihm gut getan, sich zurückzunehmen und den Fokus auf andere Dinge zu lenken, wobei ihm seine Familie, Freundin Stephanie und sein Mitbewohner Alessio Ress wertvolle Hilfe leisteten. Mit ihnen hat er Gespräche geführt über Gott und die Welt, ist in der Pause zwischen dem letzten EM-Lehrgang und dem Turnierstart bewusst nicht zum Training seines Klubs gegangen. „Ich habe gelernt, dass es Kräfte fürs Hockey freisetzt, wenn ich mich auch mal gar nicht damit beschäftige“, sagt er.

Ein Vereinswechsel, der einen Kick geben könnte, um ein neues Level zu erreichen, bleibt für den gebürtigen Hamburger ein Thema, wegen der Vorbereitung auf Olympia 2012 in London, die rund 120 Lehrgangstage beansprucht, war er in diesem Sommer allerdings nicht realisierbar. Dennoch hat Fürste das Gefühl, auf dem richtigen Weg zu sein. Er sieht jetzt klarer, was er wirklich will. Mit seiner neuen Brille hat das nichts zu tun. Moritz Fürste ist gereift, äußerlich und innerlich.