Zum zweiten Mal nach 2007 blieb ein gesamtdeutsches Schwimm-Team bei einer WM ohne Titelgewinn. Hamburger Deiblers enttäuschten

Shanghai. Draußen zogen dunkle Wolken auf, und der Donner und Regen über dem Oriental Sports Centre war nicht nur ein meteorologisches Phänomen. Der Deutsche Schwimmverband (DSV) schippert ein Jahr vor den Olympischen Spielen wie ein Dampfer schwer angeschlagen in Schieflage, bei der WM in Shanghai konnte darüber auch die letzte Entscheidung nicht hinwegtäuschen. Die Lagenstaffel in der Besetzung Helge Meeuw, Hendrik Feldwehr, Benjamin Starke gewann Bronze hinter den USA und Australien. Vor zwei Jahren wurde dasselbe Quartett in Rom Zweiter. Auch sonst ist aller italienischer WM-Glanz verblasst. Kein Gold, kein Silber, fünf Bronzemedaillen - es war die dürftigste Ausbeute für die Beckenschwimmer seit 1973. Zum zweiten Mal nach 2007 blieb eine gesamtdeutsche Mannschaft ohne einen Titel. In Melbourne gab es immerhin zweimal Silber. Die Prognose von DSV-Sportdirektor Lutz Buschkow stimmt nicht gerade zuversichtlich. "Mit Blick auf London", ahnt er, "werden die anderen Nationen nicht nur eine Schippe Kohle drauflegen, sondern mit einem ganzen Kesselwagen feuern."

Die Bildsprache und den Humor haben sie nicht verloren. "Ich dachte, ich müsste noch 'nen Zug. Aber ich war mir nicht mehr sicher, und bevor ich mir den Kopf einhaue, musste ich gucken. Das war nicht so clever", japste Rückenschwimmer Meeuw nach seinem Halbfinalaus über 50 Meter. Um nur eine Hundertstelsekunde verpasste Dorothea Brandt das Finale über 50 Meter Freistil. Sie lächelte trotzdem und tröstete sich damit, vier Endlaufteilnehmerinnen "in diesem Jahr schon locker geschlagen" zu haben.

Ein Verband versucht sein Gesicht zu wahren, kämpft aber mit beklemmenden Auflösungserscheinungen. DSV-Präsidentin Christa Thiel vorzeitig abgereist, ein Sportdirektor, der wie ein Außenstehender die Krise der Beckenschwimmer zu managen versuchte: "Es ist immer wieder interessant, in dem Bereich mitzuarbeiten", sagte Buschkow, bekanntlich eher den Wasserspringern zugetan. "Das Ganze ist sicher nicht vergnügungssteuerpflichtig." Ob er Fehler gemacht habe? "Ich glaube nicht."

Schuld sind immer nur die anderen. Buschkow schob das Versagen auf die angeschlagene Psyche der beteiligten Schwimmer. Sie seien in der Lage, auf einem schmalen Grat zu gehen, "aber wenn das Brett zwischen zwei Hochhäusern 60 Meter hoch liegt", dann fingen die Chlorsensibelchen an, "sich Gedanken zu machen".

Auch Bundestrainer Dirk Lange zeigte mit dem Finger auf die anderen: Offensichtlich konnten die Heimtrainer der einzelnen Sportler die sieben Wochen zwischen deutschen Meisterschaften und WM "nicht so gut handeln wie gedacht". Lange selbst haben die Titelkämpfe übrigens "Spaß" gemacht. "Ich habe viele tolle Rennen gesehen." Na dann. Kritik an den womöglich zu harten Qualifikationskriterien wiesen die DSV-Chefs zurück. Die bestimme nicht der Schwimmverband, sondern der Deutsche Olympische Sportbund.

Den Zeitpunkt aber legen die Fachfunktionäre selbst fest, und nicht zum ersten Mal sind die Leistungen zwischen Qualifikation, die mit den deutschen Meisterschaften in Berlin zusammenfällt, und internationalem Saisonhöhepunkt stark abgefallen. Bei den Frauen konnte sich nur Brustspezialistin Sarah Poewe bei der WM ordentlich steigern. Und bei den Männern schwammen alle - bis auf den dreimaligen Bronzegewinner Biedermann, Christian vom Lehn, Dritter über 200 Meter Brust, und Helge Meeuw - langsamer als in Berlin, auch die beiden Hamburger Markus und Steffen Deibler, die selbst am meisten enttäuscht über ihre Leistungen waren. Beide sind im 50-Meter-Becken bisher die Klasse schuldig geblieben, die sie im vergangenen Winter über die 25-Meter-Kurzbahn mit zusammen sieben Europameistertiteln, einmal WM-Silber und -Bronze bewiesen hatten. Wie vielen ihrer Kollegen hatte die WM-Qualifikation auch die Deiblers sehr viel Kraft gekostet, die ihnen offenbar jetzt bei den Titelkämpfen in China fehlte.

Bei der WM 2009 hatten noch Paul Biedermann und Britta Steffen die Bilanz geschönt. Dass sich die Doppelolympiasiegerin aus Berlin vorzeitig auf den Heimflug gemacht hatte, schmeckte dem DSV nicht. "Es ist so, dass das keine Optimalvariante war. Bestimmte Sachen hätte ich anders gemacht als ihr Management", grummelte Buschkow. Die Aussage Steffens, der Vorschlag ihres Trainers Norbert Warnatzsch zur vorzeitigen Abreise sei mit ihm und Lange abgestimmt worden, kommentierte Buschkow nicht. Er drohte mit "Sanktionen" und verwies auf die Athletenvereinbarung. In einem internen Schreiben vom 15. April hat sich jeder Athlet "grundsätzlich" dazu verpflichtet "während der WM 2011 im Bedarfsfall für einen Staffeleinsatz zur Verfügung zu stehen". An einer anderen Stelle heißt es, "das DSV-Interesse - und damit das nationale Interesse - hat in jedem Falle absoluten Vorrang vor persönlichen Interessen".

Auch Freund Paul Biedermann eckte an. Er präsentierte in Shanghai seine privaten Sponsoren, statt sich in Teamkluft zu werfen. Von DSV-Präsidentin Thiel zurechtgewiesen, gab er vor der Halle ein Interview, dabei haben sich die WM-Teilnehmer verpflichtet, während des "Repräsentationszeitraums ausschließlich die vom DSV gestellte Einkleidung zu tragen und zu nutzen". Wer nicht spurt, dem droht der Verband mit Regressforderungen.

Eine harte Linie dürften die Funktionäre kaum durchziehen, wenn sie ihren erfolgreichsten Athleten der WM nicht verprellen wollen. Berufsoptimist Lange schlug einen harmonisch-versöhnlichen Ton an: "Wir haben noch gute Chancen, aus diesem Ding eine positive Entwicklung zu ziehen."