Die Journalisten Philipp Köster (“11 Freunde“), Matthias Brügelmann (“Sport-Bild“) und Frank Lußem (“Kicker“) diskutieren über Fußball.

Hamburg. Treffpunkt Max-Brauer-Allee, das Vereinsheim des SC Teutonia 10, eines Hamburger Landesligaklubs. Der Rasenplatz vor der Terrasse ist frisch gemäht, die Tore hängen noch am Zaun. Die Wirtsleute Theo und Gülsün haben heute Mittag früher als gewöhnlich geöffnet. Das Abendblatt hat an den Ecktisch auf der Empore drei führende Meinungsmacher des deutschen Fußballs gebeten: Philipp Köster, Chefredakteur des Monatsmagazins "11 Freunde", Matthias Brügelmann, Chefredakteur der auflagenstärksten deutschen Sportillustrierten "Sport-Bild", und Frank Lußem, seit 31 Jahren Redakteur des Fachblattes "Kicker". Im Hintergrund laufen auf dem Flachbildschirm neben dem Tresen, umrahmt von Wimpeln und Pokalen, Spiele der Zweiten Bundesliga. Sie lenken in den nächsten zwei Stunden aber nicht ab von der Diskussion über den Fußball, dessen gesellschaftlichen Aufstieg und der Feststellung, dass wir in Deutschland kein Stürmer-, sondern wohl eher ein Verteidiger-Problem haben.

Hamburger Abendblatt: Darf man noch d e r Fußball sagen?

Frank Lußem: Etwa die Fußball?

Philipp Köster: Nein. Jetzt hören wir aber alle wieder auf damit!

Matthias Brügelmann: Wenn wir Weltmeisterinnen geworden wären, könnten wir jetzt darüber diskutieren.

Lußem: Von uns wird ja verlangt, Frauenfußball gut zu finden. Was habe ich nicht alles gelesen darüber vor der WM. Zum Beispiel, dass das technische Spiel der Frauen die Partien so interessant macht. Aber genau das habe ich bei diesem Turnier komplett vermisst. Ein Gegurke und Gehacke war das teilweise. Einige der Damen schienen komplett überfordert zu sein.

Köster: Das Grundproblem ist, dass früher ein Zwei-Meter-Fehlpass doch noch ankam, weil niemand in der Nähe stand. Weil die Frauen körperlich aber so aufgeholt haben, endet heute jeder unsaubere Pass direkt in einem Zweikampf. Das Märchen, dass Frauenfußball attraktiver ist, konnte nur entstehen, weil früher Frauenfußball wie in den 60ern bei Männern gespielt wurde. Der größere Fehler war aber diese ständige Vergleicherei. Frauenfußball muss als eigenständige Sportart akzeptiert und respektiert werden, sonst kann man es gleich lassen.

Egal ob Frauen- oder Männerfußball, was ist Fußball heute eigentlich: wirklich nur Spiel, Sport, doch schon Show oder sogar ein Kulturgut?

Köster: Es gibt einen unkaputtbaren Kern. Das ist der Sport, das faszinierende Spiel. Wer sich aber das Drumherum anschaut, Fernsehen, Stadien, VIP-Bereiche, Werbung, Vermarktung, die Entwicklung der vergangenen 20 Jahre, seitdem die ARD-"Sportschau" die Bilderhoheit über die Bundesliga verlor, sieht, dass der Fußball den Weg ins Showgeschäft genommen hat. Als ein von vorn bis hinten komplett durchinszeniertes Event.

Lußem: Als der 1. FC Köln 1978 unter Hennes Weisweiler deutscher Meister wurde, kamen im Schnitt 28 000 Zuschauer. Heute spielt die Mannschaft in der Bundesliga gegen den Abstieg, und es sind im Schnitt 49 000. Ich behaupte, es sind dieselben 28 000 da, für die das Spiel weiter im Vordergrund steht. Der Rest geht ins Stadion, weil es ein mediales Großereignis geworden ist, das alle gesellschaftlichen Bereiche durchdrungen hat. Es gibt doch diese Aufnahmen von den Haupttribünen fünf Minuten nach Beginn der zweiten Halbzeit. Die meisten Plätze sind dann noch leer.

Köster: Fußball ist inzwischen in die Mitte der Gesellschaft gerückt. Zum FC Bayern oder der Nationalmannschaft hat heute jeder eine Meinung oder sollte sie haben. Und wenn man sieht, wie Fußballer heute ein selbstverständlicher Teil der High Society sind, weiß man, wie wichtig der Fußball heute von der Gesellschaft genommen wird.

Brügelmann: Aber die Grundlage dafür bleibt der Fußball. Wir interessieren uns doch nicht für Schweinsteigers Frisur, seine Freundin, sein Auto und seine Wohnzimmereinrichtung, weil er auf diesen Gebieten ein Trendsetter ist. Wir interessieren uns dafür, weil er aufgrund seiner fußballerischen Fähigkeiten zum Star aufgestiegen ist, über den wir mehr wissen wollen. Das heißt, der Markenkern ist der Fußball, und der ist nach wie vor intakt. Und ich glaube auch, dass Fußball das letzte Gemeinschaftserlebnis in Deutschland ist. Das war früher mal "Wetten, dass ..?", heute schauen wir gemeinsam Fußball. Sonst kämen nicht Einschaltquoten von mehr als 30 Millionen Zuschauern bei der WM 2010 und jetzt bis zu 18 Millionen bei der Frauen-Fußball-WM in Deutschland zustande.

Welchen Einfluss hat dieses gewandelte gesellschaftliche Interesse auf das Spiel selbst? Sehen sich die Darsteller vermehrt als Teil dieser Show? Steht der Einzelne stärker im Vordergrund als der gemeinsame Kampf um den Erfolg?

Lußem: Die Vereine versuchen gerade, die Spieler wieder mehr aus dem Fokus zu nehmen, die Zahl der Medienauftritte und der Interviews stark zu begrenzen. Auf der anderen Seite wollen die Vereine immer wichtiger werden, für Sponsoren, für Zuschauer, fürs Fernsehen, aber dann wollen sie doch wieder nichts diesen bösen Medien geben, was nicht reingewaschen und fünfmal durch die vereinsinterne Zensurmaschine gegangen ist.

Köster: Die Spieler achten heute mehr auf ihr Äußeres, auf ihre Frisuren, ihre Kleidung, sie wollen stärker als Persönlichkeiten wahrgenommen werden. Wenn ich aber diese selbstgefälligen, eitlen Choreografien beim Torjubel sehe, dieses Babywiegen, den Raketenwerfer von Kuranyi, die Ohrschrauber von Luca Toni, den auf den Mund gelegten Zeigefinger, dieses peinliche Gedeute auf die eigene Rückennummer, das Vereinswappen küssen, schäme ich mich beim Zugucken. Ein Torerfolg ist doch der intensivste und schönste Moment im Spiel. Er gehört nicht einem Einzelnen, sondern immer der gesamten Mannschaft. Der Torschütze wäre ohne die Hilfe seiner Mitspieler doch nie in die Lage gekommen, einen Treffer zu erzielen. Auf diese Idee kommt die Ich-AG des heutigen Fußballprofis gar nicht.

Lußem: Gerd Müller zum Beispiel ist einst immer zu seinem Vorlagengeber gelaufen und hat sich bei ihm bedankt.

Köster: Es gibt Fälle, in denen die Grenzen deutlich überschritten sind. Mario Gomez hat, als er in Verhandlungen mit Red Bull über einen Werbevertrag stand, nach seinen Toren einen imaginären Schluck aus der Dose genommen und anschließend mit seinen Armen Flatterbewegungen gemacht. Fürchterliches Guerilla-Marketing..

Brügelmann: Es gibt auch positive Beispiele. Wenn sich eine Mannschaft wie Mainz 05 eine Choreografie überlegt, um diesen Augenblick des Torerfolgs gemeinsam zu feiern, finde ich das witzig und zeigt auch das Wir-Gefühl.

Der Fußball wird immer stärker zu einem Millionen-Geschäft. Kann das viele Geld den Sport auf Dauer beschädigen?

Köster: Das Geld hat dem Fußball nicht prinzipiell schlechtgetan. Das Spiel ist attraktiver geworden, die Stadien sind komfortabler, mit dem Geld sind auch die Nachwuchsinternate entstanden, die dem deutschen Fußball in den vergangenen Jahren zahlreiche Talente beschert haben. Es sind also nicht nur die Taschen der Spieler gefüllt worden. Es kam insgesamt zu einem Entwicklungsschub des Fußballs.

Brügelmann: Die Bundesliga ist derzeit gesund wie noch nie, in allen Bereichen. Wir haben tolle Stadien, hervorragende Zuschauerzahlen, keine Gewalt, weder in noch vor den Arenen - und wir haben diese spannenden sportlichen Geschichten. Allen voran: Wer schafft es, die Bayern zu stürzen. Wir haben dank der Internate immer mehr Stars "made in Germany". Und dass in diesem Sommer kaum Bewegung in den Transfermarkt gekommen ist, zeigt ja auch, dass die Vereine mit mehr Augenmaß wirtschaften und immer häufiger auf Nachwuchsspieler als auf Millionentransfers setzen. Auch weil die Fans immer öfter bereit sind, diesen Kurs zu unterstützen, selbst wenn die eine oder andere Niederlage mehr dabei herauskommt.

Aber besteht dadurch, dass der Fußball in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist, nicht auch die Gefahr, dass er zu ernst genommen wird, dass sich dort beim Misserfolg doch Gewalt entlädt?

Brügelmann: Da muss man unterscheiden zwischen Leuten, die tieftraurig nach einer Niederlage sind und sich dann schon mal im Ton vergreifen. Und denjenigen, die von außen dazukommen und den Fußball als Bühne zum Ausleben ihrer Aggressionen benutzen. Die gab es immer. Das sind keine Fans, und diese Leute sind mit Fanarbeit auch nicht zu erreichen.

Köster: Unstrittig ist, dass die Gewalt in den Stadien in den vergangenen zehn, 15 Jahren merklich nachgelassen hat. Das hat mit dem Fußballboom zu tun, auch mit der Videoüberwachung, über deren Intensität man allerdings streiten kann. Es kann nicht sein, dass heute mehr Kameras auf Anhänger gerichtet sind als aufs Spielfeld. Dass der Fußball heute ernster genommen wird, würde ich bestreiten. Der Fan hat ihn schon immer sehr ernst genommen und mit seinem Verein gelitten oder gejubelt. Wenn er ihn nicht ernst nehmen würde, würde er keine 800 Kilometer von Hamburg nach Freiburg fahren und die ganzen Entbehrungen auf sich nehmen.

Aber es scheint immer mehr Gruppierungen wie die Ultras zu geben, die den Fußball zu ernst nehmen. Anders ist es doch kaum zu erklären, dass Fangruppen des FC Bayern Torhüter Manuel Neuer einen Verhaltenskodex aufgeben wollen, der ihm unter anderem untersagt, in der Bayernkurve zu jubeln.

Lußem: Es hat in der Tat mit der gestiegenen Aufmerksamkeit zu tun, dass einige Leute glauben, sich wichtig nehmen zu dürfen. Die Sache mit Neuer hat für mich keinen realen Hintergrund. Er hat sich nie negativ über die Bayern ausgelassen, außer dass er einmal Oliver Kahn nachgeäfft hat. In der Vergangenheit gab es ganz andere Fälle. Zum Beispiel als Paul Steiner vor rund 30 Jahren vom MSV Duisburg zum 1. FC Köln wechselte. Steiner hatte dem FC-Idol Heinz Flohe zwei Jahre zuvor in einem Spiel unabsichtlich das Bein gebrochen und Flohes Karriereende bewirkt. Damals gab es auch Proteste der Kölner Fans, lautstarke sogar, als die Wechselabsichten bekannt wurden. Letztlich ging der Transfer aber relativ geräuschlos über die Bühne. Am Ende war Steiner in Köln sogar Publikumsliebling. Das wäre bei der heutigen medialen Multiplikation unmöglich.

Köster: Das Paradoxe bei Neuer ist doch, dass er alles erfüllt, was die Ultras wollen. Er kommt aus der Fankultur, ist in Gelsenkirchen aufgewachsen und hat jahrelang nur für Schalke gespielt. Und dass er dann irgendwann mal den Klub wechselt, liegt doch heute in der Natur des Geschäfts. Nach dem Verständnis der Bayern-Ultras müsste Neuer ein Leben lang bei Schalke bleiben.

Lebenslänglich war vergangene Saison vor allem für die Trainer in der Bundesliga reine Utopie. Ist in der Vereinsführung zu wenig Kompetenz und in der Folge zu wenig Geduld vorhanden, den Druck von Fans und Medien mal auszuhalten, um das gewählte Konzept konsequent durchzuziehen?

Köster: Mit dem medialen Druck wird viel entschuldigt. Jede hastige Entscheidung in der Geschäftsführung wird damit gerechtfertigt. Aber Druck von Presse und Anhängern gab es früher auch. Man müsste es mal untersuchen: Fliegen Trainer heute schneller?

Lußem: Glaube ich nicht. Wenn ich an Rinus Michels 1982 denke. Der ist nach dem dritten Spieltag geflogen, Morten Olsen nach dem ersten Pokalspiel.

Brügelmann: Ich glaube schon, dass in allen Bereichen der Mut zur Konstanz und Nachhaltigkeit zunimmt.

Lußem: Das sagst du nach diesem Frühjahr mit den vielen Trainerwechseln in der Bundesliga?

Brügelmann: Ja, befeuert durch die Entwicklungen in Dortmund, Mainz und Hannover. Das wird für ein bisschen mehr Ruhe sorgen. Der HSV hat sich für Michael Oenning entschieden und wird auch zu ihm halten. Vor zwei Jahren wäre Oenning nach der Rückrunde schon wieder weg gewesen.

Köster: Ich finde die heutigen Trainer kompletter, weil extrem gut ausgebildet. Früher gab es häufiger Trainer, die sich durch Charisma, Ansprache, Persönlichkeit, vor allem aber durch den Faktor "Ich habe selbst auch mal gespielt" auszeichneten, die aber in Sachen Taktik oder Trainingsgestaltung rasch sehr eintönig wurden. Spieler können da viel erzählen, von Rolf Schafstall oder Erich Ribbeck. Das leisten sich junge Trainer so nicht mehr. Sie sind fachlich erstklassig und fangen trotzdem nicht gleich an zu stammeln, wenn ein Kameralicht angeht.

Lußem: Es gibt sicher die Ausnahme Christoph Daum, der für mich der Vater dieses Tuchel ist. Daum war 32 Jahre jung, als er angefangen hat als Nachfolger von Georg Kessler, einem dieser Trillerpfeifen-Vertreter. Das war damals nicht der Schlagzeilen-Daum, vielmehr ein kompletter Leisetreter, der geschaut hat: Kriege ich die Spieler verbessert? Sukzessive wurde er erst später zu dem Daum, als der er dann bekannt und populär wurde.

Brügelmann: Für den jetzt aber kein Platz mehr ist in dieser Generation. Er ist total überholt worden.

Bayern setzt mit Heynckes auf das Alter.

Brügelmann: Der größte Fehler wäre es aber zu sagen, nur die jungen Trainer sind die Guten.

Hoffenheims Dietmar Hopp hat gerade erklärt, die alten Trainer hätten ausgedient.

Brügelmann: Und wie alt ist Dietmar Hopp ...? Das schlimmste neumodische Wort ist ja Konzepttrainer, da es beinhaltet, dass alle anderen kein Konzept haben. Der deutsche Fußball braucht Erfolgstrainer! Es funktioniert doch so: Welcher Verein ist es, wo will man hin, was hat man vor, wer passt am besten. Zu Bayern München, die ja nicht vor einem Neuaufbau stehen, passt ein moderierender Trainer besser. Die zuletzt erfolgreichste Zeit der Bayern war unter Ottmar Hitzfeld. Er wusste, wie man diesen Laden mit vielen Stars am Laufen hält.

Lußem: Wissen Sie, was Heynckes zu einem jungen Mann macht? Dass er sich neu erfunden hat. Ich habe den erlebt, als er Trainer in Schalke und Mönchengladbach war. Ich bin wirklich kein unfriedlicher Typ, aber es hat jeweils zwei Wochen gedauert, da haben wir nicht mehr miteinander gesprochen. Danach hat er eine Metamorphose durchlaufen, die mir unerklärlich ist. In Leverkusen lernte ich einen völlig neuen Heynckes kennen, der dich auch mal ins Vertrauen genommen hat.

Köster: Aber könnt ihr mir mal erklären, was mit der öffentlichen Meinung zur Person Felix Magath passiert ist, der plötzlich so außer Mode gekommen ist? Sein Ruf ist ziemlich ruiniert.

Brügelmann: So extrem sehe ich das nicht. Seine Erfolge und damit auch seine Methoden sprechen für sich, auch auf Schalke. Magaths Ruf hat am meisten darunter gelitten, dass er einen Tag nach dem Aus auf Schalke zu Wolfsburg gegangen ist und plötzlich als Trainer-Söldner dastand, was er vom Typ her gar nicht ist. Aber bei so einer Aktion reagieren die Leute allergisch. Der Begriff Söldner beinhaltet alle Gefahren für den Fußball. Wenn Vereine von heute auf morgen wie Krawatten gewechselt werden oder mit Vertragsbruch gedroht wird, dann geht für den Fan etwas kaputt. Jeder weiß, dass die Bundesliga auch ein großes Geschäft ist, trotzdem gelten ungeschriebene Anstandsregeln, die alles zusammenhalten. Das dürfen Spieler und Trainer nicht aus den Augen verlieren. Da hat sich Neuer bei seinem Wechsel übrigens total sauber verhalten: Keine Drohungen, keine falschen Versprechungen, keine Streiks.

Lußem: Als Trainer in der Bundesliga musst du schauen, wo du bist. Du kannst nicht alles austauschen.

Köster: Genau. Der Schalke-Kosmos funktioniert völlig anders als der in Wolfsburg, wo nur die VW-Spitze als Regulativ wirkt.

Welchen Fußball werden die Trainer diese Saison spielen lassen?

Brügelmann: Es heißt ja überall: Wir müssen von Dortmund lernen. Es wird sicher ein laufintensives Spiel geben, eine unterhaltsame Saison. Die Richtung geht nach vorne. Und dazu haben wir die schlechtesten Abwehrreihen in Europa. Die Bundesliga hat ein riesiges Defensivproblem, was der Unterhaltung und der offensiven Spielweise zugutekommt. Gespannt bin ich in dieser Saison auf das Auftreten der Bayern.

Lußem: Ich kann dir sagen, was passiert. Der Fußball der Bayern wird langweiliger, zweckorientierter werden. Das Zauberwort von Jupp Heynckes lautet Kompaktheit. Das wird er über die Super-Offensive stellen.

Brügelmann: Mit Holger Badstuber, Daniel van Buyten und Jerome Boateng haben sie ihr Innenverteidiger-Problem aber noch nicht so richtig gelöst.

Ausgerechnet Deutschland, das einstige Land der großen Verteidiger. Kohler, Förster, Jakobs, Schwarzenbeck ...

Brügelmann: Schaut euch die Italiener an. Auch von denen kannst du heute keinen mehr kaufen. Es gibt eine Innenverteidigerkrise auf der ganzen Welt! Wenn schon der Engländer John Terry als einer der Besten gilt, sagt das doch alles. Das Verteidigen ist allerdings auch weit schwieriger geworden. Früher gab es reine Manndeckung, da konnte man seinen Gegner wegbeißen. Bei Pässen an die Nahtstellen der Viererkette sind heute Probleme programmiert.

Wie ist es zu bewerten, dass das Niveau in Deutschland ausgeglichener ist als in Spanien oder England?

Köster: Frankfurts Vorsitzender Heribert Bruchhagen hat mal gesagt: Wir hätten Ende des 19. Jahrhunderts lieber Helgoland abgeben und dafür die Kolonien behalten sollen. Wenn Blackburn gegen West Ham spielt, ruft das international mehr Faszination hervor, als wenn Wolfsburg gegen Hoffenheim antritt.

Lußem: Wobei das zweite Spiel durchaus mehr Qualität hat.

Köster: Mag sein, trotzdem finden es die Leute viel cooler, wenn die Premier League läuft. In Afrika sind ganze Dörfer in den Farben von Arsenal angestrichen. Das kann dir mit Wolfsburg nicht passieren, obwohl Bundesligafußball hoch attraktiv ist.

Brügelmann: Wenn ich an Spanien denke: Da liegen zwischen Barcelona, Real Madrid und den anderen nach der Hinrunde 15 Punkte! Da ist es mir im Zweifel lieber, wir fliegen in der Champions League wieder im Viertelfinale raus, aber die Meisterschaft bleibt bis zum Ende spannend. Wobei wir ja mit Bayern eine Mannschaft haben, die auf dem ganz großen Niveau mitspielen kann. Bis auf Barcelona, die über allem schweben, können es die Münchner mit jeder Mannschaft aufnehmen. Wo die Bundesliga totalen Nachholbedarf hat, ist dagegen die Europa League. Da leisten wir zu wenig, das ist eine Schmach. Und das hat nichts mit fehlendem Geld zu tun. In der Europa League konkurriert die Bundesliga im Gegensatz zur Champions League vom Finanziellen her mindestens auf Augenhöhe.

Was ist das System der Zukunft?

Lußem: Mein System heißt Laufen, Laufen, Laufen. Bei höchstmöglicher Geschwindigkeit so präzise wie möglich zu sein. Systeme sind nur eine Krücke. Bei Leverkusen rochieren die Mittelfeldspieler unter Robin Dutt ständig. Bei den Bayern spielt der Kroos jetzt auf der Sechs! Vor fünf Jahren hättest du dir da einen Fackelzug gelacht. Der Götze wird ein Sechser, zu 100 Prozent! Der könnte auch Linksaußen spielen. Oder Castro in Leverkusen, eines der größten deutschen Talente, hat rechter und linker Verteidiger gespielt, links offensiv, jetzt auf der Sechs, in der U-21 Halblinks.

Brügelmann: Die große Kunst wird sein, einen zu haben, den man nicht so systematisiert. Dieser Spielertyp kann dann über seine individuelle Klasse das System des Gegners aufbrechen. Ich weiß nicht, wer die Doppelsechs erfunden hat, aber ohne geht es nicht mehr. Alle versuchen, das Zentrum dicht zu machen und die Gegner nach außen zu drücken. In der Offensivbewegung geht der Spielaufbau auch von dieser Position aus. Was früher der Zehner war, passiert heute auf der Doppelsechs.

Lußem: Rehhagel hat diesen Typ Spieler damals Quarterback getauft.

Noch ein Wort zur Nationalmannschaft: Erwartet die Runde noch personelle Überraschungen vor der EM 2012?

Köster: Joachim Löw wird in sich gehen und Klinsmanns Kaninchen David Odonkor reaktivieren ...

Lußem: Gonzalo Castro ist ein Kandidat. André Schürrle verfügt über alles und kann sein Spiel in Leverkusen weiterentwickeln.

Brügelmann: Ich hoffe, dass Götze bei Löw die Chance bekommt und es nicht so gesehen wird, dass der Dortmunder noch drei Jahre lernen muss, sondern von Anfang an gegen die Großen randarf. Das ist so einer, der wirklich den Unterschied ausmachen kann.

Ist es klug, den Titel als klares Ziel für das EM-Turnier zu formulieren?

Brügelmann: Das muss doch unser Anspruch sein. Wir waren 2008 im EM-Finale, 2010 im WM-Halbfinale, alles andere wäre lächerlich. Es ist aber auch 2012 so, dass die Spanier entscheiden, wer Europameister wird. Wenn sie noch richtig Lust auf den Titel haben, haben wir keine Chance. Wenn sie sich eine Schwäche erlauben, sind wir dran.

Köster: Ich habe mich belehren lassen. Vor der WM 2006.

Wagt jemand einen anderen Meistertipp außer Bayern München?

Brügelmann: Ich nicht.

Lußem: Bayer Leverkusen.

Köster (überlegt): Kommt, sagt mal einen Verein, und wir schreiben dann, ich hätte es gesagt.

Lußem: Dortmund.

Brügelmann: Der zweite Titel in Folge für den BVB wäre schon eine Sensation.

Köster: Also gut. Nur, um mal nicht Bayern zu sagen, traue ich Dortmund die erfolgreiche Titelverteidigung zu. Dann aber auch mit zwölf Punkten Vorsprung vor den Münchnern.