Der Hallen-Europameister vom HSV muss um seine WM-Teilnahme Ende August in Daegu bangen

Hamburg. Die Aussichten sind trübe. Temperaturen um 13 Grad Celsius, Regen. Winde aus wechselnden Richtungen. Sebastian Bayer hat die Wetteraussichten für Kassel immer wieder studiert. Dort werden am Sonnabend und Sonntag die deutschen Leichtathletik-Meisterschaften ausgetragen, und bisher hat der Weitspringer des HSV den Hoffnungsschimmer in Form eines Sonnenstrahls nicht entdecken können. Da passt es, dass der 25-Jährige seine persönlichen Perspektiven für die Titelkämpfe ähnlich düster sieht: "Ich bin derzeit nicht in der Form, um in Kassel die WM-Norm zu springen. Ein Sprung über acht Meter wäre schon ein Traumergebnis."

Eine Reizung der Bizepssehne in der rechten Kniekehle hat den zweimaligen Hallen-Europameister in der Freiluftsaison zuletzt nicht wie gewünscht in Tritt kommen lassen. 7,80 Meter, gesprungen am 4. Juni beim Diamond-League-Meeting in Eugene (USA), stehen für ihn in der deutschen Jahresbestenliste, die nur Weiten führt, die unter regulären Rückenwindbedingungen erzielt wurden. 7,80 Meter - das ist Platz sechs. 40 Zentimeter mehr müssten es sein, um Ende August zu den Weltmeisterschaften ins südkoreanische Daegu fliegen zu dürfen. Bis zum 13. August hat Bayer Zeit, die geforderten Ergebnisse auf nationalen oder internationalen Meetings zu liefern: einmal 8,20 Meter, die A-Norm, oder zwei Mal 8,10 Meter, die B-Norm. Am 14. August nominiert der Verband sein WM-Team. "Seit zwölf Tagen läuft im Training alles beschwerdefrei, mir geht es Stand heute recht gut. Das richtige Körpergefühl fürs Springen fehlt mir nach einem Monat ganz ohne Sprünge aber noch ein wenig", sagt Bayer.

Weitspringen ist ein brutaler Job. Kräfte im Bereich des sieben- bis zehnfachen Körpergewichts wirken auf Sehnen und Muskeln, wenn sich der Athlet nach seinem Anlauf möglichst im Höchsttempo vom Balken mit einem Fuß abdrückt. Kein Springer der Weltklasse steckt das auf Dauer problemlos weg. Weitspringer gehören zu den verletzungsanfälligsten Leichtathleten. Vor sechs Jahren erlitt Bayer einen dreifachen Fußbruch. Er hat lange gebraucht, um die Folgen auszukurieren. "Ganz hat er das noch immer nicht geschafft", sagt der Hamburger Weitsprung-Bundestrainer Uwe Florczak.

Zum Glück hat Bayer großes Talent, vielleicht das größte in seiner Disziplin in Deutschland, einige meinen sogar in Europa. Er braucht nur wenige Sprünge, um weit zu kommen. Das hilft, die Belastungen im Training zu dosieren. Wozu er fähig ist, hat Bayer vor zwei Jahren bewiesen. Da sprang er bei der Hallen-EM in Turin 8,71 Meter und vier Monate später bei den deutschen Meisterschaften in Ulm im Freien 8,49 Meter. Beides sind selbst im Weltmaßstab außergewöhnliche Weiten. Danach holten ihn wieder Verletzungen ein. Bei der WM 2009 im August in Berlin scheiterte er in der Qualifikation, die EM 2010 in Barcelona verpasste er. Bei der Hallen-EM im März in Paris kehrte Bayer auf die große Bühne zurück, holte sich mit 8,16 Meter erneut den Titel. Bei einem ungültigen Versuch, er war knapp übergetreten, landete er bei etwa 8,35 Meter. Diese Weite, sagt er, traue er sich in den nächsten Wochen wieder zu.

Sportsoldat Bayer lebt seit einem Jahr in Mannheim zusammen mit der Hamburger Hürdensprinterin Carolin Nytra. Die Hallen-Europameisterin 2011 und EM-Dritte 2010 in Barcelona ist überhaupt noch nicht in die Freiluftsaison gestartet. Wegen Beschwerden im Kniebeuger nach einem Muskelfaserriss sagte sie jetzt ihre Teilnahme an den deutschen Meisterschaften ab. "Wir klagen uns zwar zu Hause nicht jeden Tag unser Leid, aber wir waren schon mal fröhlicher", sagt Bayer - und lacht. Andererseits: "Die WM-Teilnahme in Daegu wäre schön, aber unser Ziel sind ganz klar die Olympischen Spiele in einem Jahr in London. Wir würden deshalb nichts tun, was diese Zielsetzung gefährdet. Wir können es uns beide nicht leisten, jetzt irgendetwas zu riskieren, um, wenn etwas schieflaufen sollte, dann wieder für Monate beim Training kürzertreten zu müssen."

Sebastian Bayer trägt dabei nicht nur Verantwortung für sich, auch für das Leichtathletik-Projekt des HSV. Der Verein hat ihn vor anderthalb Jahren als Vorzeigeathlet geholt, um der Abteilung, der größten in Deutschland, ein Gesicht und dem Nachwuchs ein Vorbild zu geben. "Ein HSVer bei Olympia", sagt Bayer, "das wäre doch was."