Schon sechs Saisonsiege, aber Weltmeister Sebastian Vettel stand in Kanada noch nie auf dem Podium

Montreal. Es gibt tatsächlich noch Rennstrecken, auf denen Sebastian Vettel noch nie in die Nähe eines Sieges gekommen ist. Der Circuit Gilles Villeneuve auf der Île Notre-Dame im Sankt-Lorenz-Strom in Montreal ist so eine. Zweimal erst, 2008 und vor einem Jahr, ist Vettel auf der künstlich aufgeschütteten Insel gestartet. Vor drei Jahren belegte er im Toro Rosso einen diskreten achten Platz, 2010 sammelte er in seinem Weltmeisterjahr im Red Bull zwar ein paar Führungsrunden, musste am Ende aber wegen abgewetzter Reifen mit Platz vier zufrieden sein. Auch sein Red-Bull-Team hat hier noch nie die Zielflagge als Sieger gesehen.

Immerhin blieb dem jüngsten Weltmeister der Formel-1-Geschichte in seinen beiden Kanada-Rundfahrten eine eindringliche Begegnung mit der "Wall of Champions" erspart. In dieser Mauer, der letzten Schikane vor Start und Ziel, haben schon die Weltmeister Michael Schumacher, Damon Hill und Jacques Villeneuve ihre Autos im harten Zweikampf verschrottet.

"Montreal ist keine echte Rennstrecke", sagt Vettel. "Der Kurs liegt auf einer Insel und wird auch als öffentliche Straße genutzt." Das bedeutet, dass die rutschige Piste den Reifen viel abverlangt.

Vielleicht auch wegen der unwägbaren Umstände stapelt Red Bull tief. 58 Punkte Vorsprung hat Sebastian Vettel im Titelrennen. 143 von 150 möglichen Zählern hat er in dieser Saison gesammelt, seit seiner Fahrt zum WM-Titel in Abu Dhabi im Herbst 2010 hat er die Tabellenspitze nicht mehr abgegeben. "Der Vorsprung ist komfortabel", sagt der Österreicher Helmut Marko, Motorsport-Berater des Dosenherstellers. "Aber es sind noch mindestens 350 Punkte zu vergeben." Teamchef Christian Horner rechnet vor: "Das neue Punktesystem täuscht etwas. Es sind nur etwas mehr als zwei Siege." Die aber müssen erst einmal eingefahren werden, zudem müsste Vettel punktelos bleiben. Der Titelverteidiger meinte gewohnt nüchtern: "Wir haben einen Lauf, aber wir versuchen, jedes Rennen für sich zu sehen und wieder zu attackieren."

Ein Premieren-Triumph in Kanada wäre Vettels sechster Sieg in sieben Rennen. Das haben in 61 Jahren For-mel 1 nur Jim Clark (1965), Michael Schumacher (1994 und 2004) und Jenson Button (2009) geschafft. Und alle wurden natürlich auch Weltmeister.

Wahrscheinlich greift Sebastian Vettel einen anderen Rekord an. Er könnte die früheste WM-Entscheidung der Formel-1-Geschichte erzwingen. 2002 sicherte sich Michael Schumacher bereits im elften von 17 Saisonrennen im französischen Magny-Cours vorzeitig den Titel, nach noch nicht einmal zwei Dritteln der Saison. Diesen Rekord könnte Vettel überbieten, wenn er spätestens im zwölften von 20 Rennen als Weltmeister feststeht.

Schon fragen Kritiker: Schadet Vettels Überlegenheit der Formel 1? Nein, sagte Marcel Cordes, Vorstand des Kölner Beratungsunternehmens Sport+ Markt, der Deutschen Presse-Agentur. "Die Vergangenheit zeigt, dass eine Dominanz wie in der Ära von Michael Schumacher eher einen gewissen Hype, einen Sogeffekt, ausgelöst hat."

Vettel selbst kann nun die Ernte seines unaufhaltsamen Aufstiegs einfahren. Cordes ist davon überzeugt, dass der Marktwert des Weltmeisters weiter steigt: "Wer im vergangenen Jahr gedacht hat, seine Performance war ein Strohfeuer, der sieht jetzt, dass es wirklich trägt. Er zeigt ein eigenes Profil, wirkt gerade auf junge Zielgruppen wesentlich sympathischer als Schumacher in seiner Top-Zeit." Das könne auch jüngere Zuschauer an die Formel 1 heranführen.

Eines ist der 23 Jahre alte Rennfahrer schon jetzt: "Deutschlands schnellster Botschafter", wie Thomas Bach, der Chef des Deutschen Olympischen Sportbundes, dem Sport-Informationsdienst sagte.