„Wenn ich keine Lust mehr habe, dann fahre ich nach Hause“, kündigte der Ex-Bundestrainer selbst an, nachdem er mit Klopapier beworfen wurde.

Baku. Für Berti Vogts wird es in Aserbaidschan ungemütlich: Vermeintliche tätliche Angriffe mit Klopapier, massive Proteste von Journalisten und Fans. Bei einer Niederlage im EM-Qualifikationsspiel am Dienstag (19.00 Uhr/im Liveticker auf abendblatt.de) gegen Deutschland stehen die Zeichen für den Nationaltrainer nach Einschätzung der Medien in Baku auf Trennung.

„Ich bin im vierten Jahr hier“, sagte Vogts vor der Partie in einem Interview mit der Nachrichtenagentur dpa. „Dass es nicht so schnell geht wie in Deutschland, das weiß man. Aber in den letzten vier Jahren hat es hier einen unheimlichen Aufschwung gegeben.“ Allerdings sind die Auseinandersetzungen mit seinen Kritikern in den Medien und im nationalen Fußballverband AFFA nicht spurlos am Ex-Bundestrainer vorbei gegangen. „Wenn ich keine Lust mehr habe, dann fahre ich nach Hause“, unterstrich der 64-Jährige in dem Gespräch. Vogts wird mit der türkischen Auswahl in Verbindung gebracht, an deren Coach Guus Hiddink der FC Chelsea Interesse haben soll.

Längst ist in Aserbaidschan der Glanz des Sensationssiegs gegen die Türkei verblasst. Das 1:0 vom 12. Oktober blieb der bisher einzige Erfolg in der laufenden EM-Qualifikation. Mit 4:15 Toren ist diese auf dem vorletzten Platz der Gruppe A standesgemäß längst außer Reichweite. Doch die 1:2-Pleite beim nun punktgleichen Schlusslicht Kasachstan vergrößerte am Wochenende die Nöte in dem Land im Südkaukasus.

Nach einer Pressekonferenz in Baku protestierten Vogts-Kritiker daraufhin mit Klopapier gegen einen Verbleib des Trainers. Doch der angebliche „tätliche Angriff“ auf den Coach wirkte eher wie eine Posse. Es sei kein Thema, dass er nicht auf der Bank sitze, sagte Vogts und hob sein gutes Verhältnis zum Verbandspräsidenten Aserbaidschans hervor.

„Ich hoffe, dass er hier weiter arbeiten kann, trotz der Niederlage gegen uns“, sagte Oliver Bierhoff, der Teammanager der deutschen Nationalelf, am Tag vor dem Spiel. „Ich hatte ihn selbst als Trainer, er hat seine Stärken. Er sieht nicht nur den Profibereich, sondern die ganze Infrastruktur und den Jugendbereich“, meinte Bierhoff, der unter Vogts 1996 Europameister wurde und im Finale das Goldene Tor erzielte.

Angesichts der Krise im eigenen Fußball-Nationalteam scheint es fast folgerichtig, dass Medien im autoritär regierten Aserbaidschan zu Wochenbeginn lieber Positivmeldungen verbreiteten. Anlässlich des

100-jährigen Bestehens des nationalen Fußballverbands zierten Fotos von Präsident Ilcham Alijew die Titelblätter: Der Staatschef eröffnete mit FIFA-Boss Joseph Blatter und UEFA-Chef Michel Platini in Baku ein neues Stadion für die U-17-Frauen-WM 2012. Er glaube an das Nationalteam, wurde Alijew zitiert. Dabei erinnerte die Presse aber auch an die 1:6-Schlappe vom Hinspiel im September in Köln.

Trotz aller Polemik und innerer Grabenkämpfe fanden einige aserbaidschanische Medien aber auch Platz für ein eher stilles Gedenken an Robert Enke. Das deutsche 2:0 vor rund zwei Jahren in Baku war das letzte Länderspiel des Torwarts vor dessen Selbstmord.

Das war passiert: Reporter verabschieden Vogts mit Klopapierrollen

Ein gewisses Unbehagen war Berti Vogts bereits anzusehen, als er am Sonntagmorgen hinter einem schmalen Tisch im Stadion von Baku Platz nahm. Rund 20 Berichterstatter drängelten sich in dem engen Raum, und einige der Herren waren mächtig verärgert. Denn Aserbaidschan hatte am Freitagabend mit 1:2 in Kasachstan verloren, gegen ein Team, das bis zu diesem Moment ohne Punkte und ohne Tore auf dem letzten Platz der EM-Qualifikationsgruppe A stand. Dieses Erlebnis hatten die Aserbaidschaner offenbar als Demütigung empfunden.

Er sei ja auch "enttäuscht über die Einstellung seiner Spieler, die nicht alles gegeben haben", versuchte Vogts mit all seinem Talent zur nüchternen Betrachtung zu beschwichtigen. Aber es dauere eben noch "fünf, sechs Jahre", bis Aserbaidschan zumindest "europäisches Mittelmaß" erreichen könne.

Am Ende der Pressekonferenz wedelten sechs Berichterstatter in dem Gang vor dem Konferenzraum mit Klopapierrollen, die sich mehr und mehr abwickelten. Auch eine rote Gießkanne wurde geschwenkt, offenbar mangels anderer Gegenstände. Wahrscheinlich wurde Vogts von ein bisschen Klopapier berührt, und aus dieser Situation muss wohl die Geschichte vom tätlichen Angriff entstanden sein, die gestern verbreitet wurde. Er wolle Anzeige erstatten, sagte Vogts einer Agentur, und vielleicht hat er den bizarren Protest tatsächlich als bedrohlich empfunden.

Später, als die Störenfriede Zigaretten rauchend davonstapften, lächelte der einstige Bundestrainer jedenfalls schon wieder und versuchte die beiden einzigen anwesenden deutschen Journalisten über die Hintergründe dieser heftigen Abneigung aufzuklären. Einige Klubtrainer in der nationalen Liga seien verärgert über seine Forderung, härter und professioneller zu trainieren, erläuterte Vogts, diese Fußballlehrer hetzten gegen ihn und kollaborierten mit den Protestlern.

Der Vorfall könnte einen möglichen Abgang Vogts' nun beschleunigen. Denn nach dem 1:1 der Türken in Belgien spekulieren verschiedene Medien darüber, dass Vogts Guss Hiddink als Trainer der türkischen Nationalmannschaft ablösen könnte. Dort hat Vogts einen sehr guten Ruf, da er mit Aserbaidschan im Herbst 2010 in der EM-Qualifikation sensationell die Türkei mit 1:0 bezwingen konnte.

"Dazu möchte ich jetzt lieber nichts sagen", meinte der Europameister von 1996 am Ende des bizarren Vormittags von Baku. Das Traineramt bei den Türken wäre ein gewaltiger Aufstieg, mit diesem Team könnte er sich vielleicht tatsächlich noch einmal für ein großes Turnier qualifizieren. Allerdings haben nicht nur die türkischen Spieler ein anderes Kaliber, in Istanbul fliegen auch andere Dinge als Klopapier.