Der größte Skandal der Bundesliga-Geschichte jährt sich am heutigen Montag zum 40. Mal. Es ging um reihenweise für “Kleingeld“ verkaufte Partien.

Hamburg. Das Datum sage ihm nichts, gar nichts, versichert der sonst so treffsichere Klaus Fischer. 6. Juni 1971? 40 Jahre Bundesliga-Skandal? So langsam klingelt’s. „Kann sein, dass es damals Absprachen gegeben hat. Wahrscheinlich“, sagt die Schalker Torjäger-Legende. „Wir haben helfen wollen, es war ein Freundschaftsdienst, eine Dummheit.“

Nur ungern spricht Fischer über den Bestechungsskandal, den Horst-Gregorio Canellas damals auffliegen ließ. Tags zuvor war dessen Verein aus der Bundesliga abgestiegen, den 50. Geburtstag feierte der Präsident von Kickers Offenbach dennoch. Auspacken wollte das Geburtstagskind, allerdings keine Präsente.

Zwischen Sekt und Schnittchen zauberte der Südfrüchte-Importeur auf der Gartenparty im südhessischen Hausen derart Exotisches aus dem Hut, dass den geladenen DFB-Größen und Pressevertretern schlecht wurde. Anhand von Tonbandmitschnitten deckte Canellas den bis heute größten Skandal in der bald 50-jährigen Bundesliga-Geschichte auf. Das brisante Material schlug nicht nur auf der Party ein wie eine Bombe. „Der deutsche Fußball ist ein einziger Sumpf“, klagte Canellas an. „Die Bundesliga geht kaputt, wenn nichts getan wird. Was ich aufgedeckt habe, ist nur ein Anfang. „

Die Bestraften des Bundesliga-Skandals

Am Ende kam ans Licht, dass 18 Bundesliga-Spiele in der Endphase der Saison 1970/71 manipuliert worden waren, manchmal blieb es beim Versuch. Beteiligt war mehr als die halbe Liga, zehn von 18 Bundesligaklubs waren betroffen.

Anfangs hatte DFB-Generalsekretär Hans Paßlack die Anschuldigungen noch als „vage Vermutungen“ abgetan, doch dann beschäftigte der Skandal Öffentlichkeit, Verband und Justiz fast zwei Jahre lang. Von „menschlichen Widerwärtigkeiten, wie Lug und Trug, Erpressung und Nötigung“ sprach die Frankfurter Allgemeine Zeitung. Klaus Fischer nennt das Ausmaß schlicht „unglaublich“.

Der DFB verdonnerte Arminia Bielefeld und Offenbach schließlich zum Zwangsabstieg. Neben „Kronzeuge“ Canellas und weiteren Vereinsfunktionären sowie Trainern wurden mehr als 50 in den Skandal verwickelte Profis gesperrt, darunter auch die Schalker Nationalspieler Klaus Fichtel, Rolf Rüssmann, Stan Libuda - und eben Jungprofi Klaus Fischer. „Ich habe mir damals keine Gedanken gemacht, wir Jüngeren haben einfach mitgemacht“, sagt Fischer zurückblickend. „Ich bin mitgeschwommen. Ich war ein ganz kleines Lichtlein.“

Für 2300 Mark pro Mann hatten Fischer und Co. 0:1 zu Hause gegen Bielefeld verloren. Für Fischer, der später das „Tor des Jahrhunderts“ erzielte, war es ein Eigentor. „Was wir gekriegt haben, war lächerlich“, sagt der frühere Stürmer. „Wir, die Jungen, wir waren damals dumm.“

Der inzwischen 61-Jährige bezeichnet sein Mitwirken noch heute als größten Fehler seines Lebens, vieles sei dadurch „zerstört“ worden. Und obwohl Fischer, wie er sagt, seit Jahrzehnten nur noch von Journalisten auf die Affäre angesprochen werde, verfolgt sie ihn doch bis heute. „Man kann das nicht ausradieren“, gibt Fischer zu. „Aber lieber spreche ich über meine Tore.“ (sid)

Die Chronologie des Skandals

17. April 1971: Der größte Skandal in der Geschichte der Bundesliga beginnt am 28. Spieltag der Saison 1970/71: Der FC Schalke 04 trifft im Heimspiel auf Arminia Bielefeld. Die abstiegsbedrohten Gäste erkaufen sich ihren 1:0-Erfolg mit 40.000 Mark.

Anfang Mai 1971: Beim Präsidenten des Bundesligisten Kickers Offenbach, Horst-Gregorio Canellas, klingelt das Telefon. Am Apparat ist Manfred Manglitz, Torwart des 1. FC Köln. Er verlangt 25.000 Mark, sonst werde er am 5. Mai im Spiel gegen den Abstiegs-Konkurrenten Rot-Weiß Essen „einige Dinger durchlassen“. Canellas lässt sich erpressen und bezahlt. Manglitz kassiert zwei Treffer, aber Köln gewinnt mit 3:2.

22. Mai 1971: Wenige Wochen später trifft Manglitz mit seiner Mannschaft auf Rot-Weiß Oberhausen. Er lässt gegen Bezahlung „vier Dinger durch“, Köln verliert 2:4. Am selben Spieltag erwartet der MSV Duisburg das Team von Arminia Bielefeld. Die Gäste versuchen, sich einen Sieg beim MSV zu erkaufen. Duisburgs Gerd Kentschke nimmt 60.000 Mark entgegen – und zahlt nach dem 4:1-Sieg seiner Mannschaft 57.500 Mark wieder zurück.

29. Mai 1971: Bielefeld trifft zuhause auf den VfB Stuttgart und schlägt die Schwaben in der Schlussminute mit 1:0: Insgesamt circa 70.000 Mark fließen an drei VfB Spieler sowie an die Geldboten.

5. Juni 1971: Am letzten Spieltag geht es bei mehreren Begegnungen nicht mit rechten Dingen zu. Beim Spiel zwischen Eintracht Braunschweig und Rot-Weiß Oberhausen (1:1) verspricht Arminia Bielefeld den Braunschweigern eine zusätzliche Siegprämie von 120.000 Mark. Hertha unterliegt zeitgleich im Olympiastadion Arminia Bielefeld mit 0:1. OFC-Präsident Canellas bietet vor der Begegnung den Hertha-Spielern Bernd Patzke und Tasso Wild 120.000 Mark für einen Sieg gegen Bielefeld. Doch Arminia zahlt mehr: 250.000 Mark. Hertha verliert das Spiel mit 0:1. Kickers Offenbach, das am gleichen Tag beim 1. FC Köln 2:4 unterliegt, steigt ab.

6. Juni 1971: An diesem Tag feiert Canellas seinen 50. Geburtstag und lädt zu einem Gartenfest mit viel Prominenz. So ist unter anderem Bundestrainer Helmut Schön vor Ort. Zur Mittagszeit lässt Canellas plötzlich die Bombe hochgehen: Er spielt ein Tonband ab, auf welchem das ganze Ausmaß der Schmiergeldzahlungen dokumentiert ist. Schön verlässt die Geburtstagsparty entsetzt. Fußball-Deutschland ist schockiert.

Bereits am 24. Juli 1971 fallen in Frankfurt am Main die ersten Urteile zum Bundesliga-Skandal: Wild und Manglitz werden auf Lebenszeit gesperrt, Patzke für zehn Jahre. Manglitz muss zudem 25.000 Mark Strafe zahlen. Kickers Offenbach wird für zwei Jahre die Lizenz entzogen.

April 1972: Arminia Bielefeld, das am tiefsten in den Skandal verwickelt ist, wird in die Regionalliga zwangsversetzt.

Sommer 1973: Die Ermittlungen unter der Leitung von Hans Kindermann sind abgeschlossen. Das Ergebnis: 52 Spieler, zwei Trainer und sechs Funktionäre werden bestraft. (dapd)