Julia Görges gewinnt in Stuttgart ihr zweites Grand-Prix-Turnier. Im Finale besiegt sie die Weltranglistenerste Caroline Wozniacki.

Stuttgart. Viel Zeit, um den bislang größten Erfolg ihrer Karriere zu feiern, blieb Julia Görges nicht. Nur einen Tag nach ihrem überraschenden Sieg beim Stuttgarter Hallenturnier wurde in ihrer Heimatstadt Bad Oldesloe ihr kleiner Neffe Philipp getauft – und die 22-Jährige als Patin schon am Morgen in der Kirche gebraucht. „Die Familie ist das Wichtigste in meinem Leben, viel wichtiger als Tennis. Die Familie steht immer zu dir, egal, was passiert“, sagte sie. Es waren bemerkenswerte, nachdenkliche Worte zu einem ungewöhnlichen Zeitpunkt. Am Ostersonntag hatte die Tennisspielerin Julia Görges den bislang größten Erfolg ihrer jungen Profikarriere zelebriert. Mit 7:6 (7:3), 6:3 hatte sie im Finale des Stuttgarter Hallenturniers die Weltranglistenerste Caroline Wozniacki, 20, aus Dänemark bezwungen. 4800 Zuschauer jubelten und freuten sich mit ihr.

„Meinen ersten Turniersieg habe ich zwar vergangenes Jahr in Bad Gastein erlebt, das war schon großartig. Aber das hier vor deutschem Publikum ist etwas ganz Besonderes, da kriegt man eine Gänsehaut. Hier haben so viele Topspielerinnen gewonnen, das habe ich früher selbst immer im Fernsehen gesehen. Es war erstaunlich, wie viel Kraft ich noch nach meinem Halbfinalsieg gegen Samantha Stosur hatte und wie tough ich war. Ich wollte aggressiv sein und auch mal ein paar hohe Bälle einstreuen. Das ist mir gelungen.“ Sich ganz auf das eigene Spiel konzentrieren zu können und sich nicht mit der Gegnerin und deren Stärken zu beschäftigen, das ist ein Teil des sportlichen Reifeprozesses, den Görges im vergangenen Jahr durchlebt hat.

Seit Anke Hubers Triumph 1994 hatte keine deutsche Spielerin mehr den Titel beim „Porsche Grand Prix“ geholt. Selbst Steffi Graf, die in ihrer Laufbahn ansonsten alles erreicht hat, sah dort stets andere mit dem traditionellen Siegerauto davonfahren. Görges aber hat mit dem Gewinn der 111?000 Dollar (76?200 Euro) Preisgeld und des 400 PS starken Sportwagens nicht nur ihrer Karriere einen gewaltigen Schub gegeben, sondern dem gesamten aufstrebenden deutschen Damentennis.

Begonnen hatte die Woche von Stuttgart als „Eine-Frau-Show“ der Andrea Petkovic, 23. Doch im weiteren Verlauf erreichten erstmals seit 1984 wieder vier deutsche Spielerinnen das Viertelfinale, neben Görges und Petkovic Sabine Lisicki, 21, und Kristina Barrois, 29. Seit Montag gehören mit Petkovic (Platz 15) und Görges (27) wieder zwei von ihnen zu den Top 30 der Weltrangliste. Das gab es zuletzt im August 1999 – kurz vor Grafs Rücktritt.

Görges, das entspricht ihrem zur Vorsicht neigenden Charakter, warnte nach ihrem Erfolg davor, jetzt zu viel von ihr und ihren Sport-Freundinnen zu erwarten. „Man muss die Euphorie ein bisschen bremsen und uns Spielerinnen auch Zeit geben, um sich kontinuierlich zu entwickeln“, sagte sie. „Ich will meinen Weg weiter Step by Step gehen und Stabilität zeigen. Eine Topspielerin macht vor allem aus, dass sie nicht nur fünf Wochen lang oben steht.“ Ihr Ziel, in diesem Jahr unter die Top 30 zu kommen, habe sie eher erreicht als gedacht, jetzt müsse sie mit ihrem Trainer Sascha Nensel neue Ziele verabreden. Stabilität sollte das erste sein. In der Vergangenheit folgten bei ihr auf starke Leistungen regelmäßig schwache. Auch das, sagt ihr Umfeld, sei eine Sache des Selbstbewusstseins. Das sei bei ihr noch nicht so ausgeprägt wie ihre Vorhand.

Es war auch in Stuttgart nicht zu übersehen, dass sich die deutschen Spielerinnen auf ihrem Vormarsch an die Weltspitze gegenseitig pushen – und sich dabei weiter gut verstehen. „Noch vor einiger Zeit habe ich gedacht: Huch, da steht eine Topspielerin auf der anderen Seite. Was soll ich hier? Aber das hat sich geändert“, beschrieb Görges ihre Wandlung. Das habe wiederum auch etwas mit Petkovic’ Erfolgen Anfang des Jahres bei den Australian Open in Melbourne und im März in Miami zu tun: „Zu sehen, dass Andi zuletzt all diese Topleute bezwingen konnte, das hat uns anderen Spielerinnen Mut gemacht.“ Neid gebe es nicht, im Gegenteil: „Ich ziehe den Hut vor Andreas’ Leistungen. Zum Beispiel in Stuttgart bei ihrem Spiel gegen Jelena Jankovic. Davon kann man nur lernen, das war championslike. Andrea arbeitet hart, wir profitieren alle von ihren Erfolgen.“ Und von ihrer Medienarbeit für das deutsche Damentennis. Das ist Görges’ Sache nicht. „Die Andi und ich sind in dieser Hinsicht verschiedene Charaktere.“ Sie suche nicht die Öffentlichkeit.

Die im Viertelfinale an Wozniacki gescheiterte Petkovic war am Sonntagnachmittag eine der ersten und euphorischsten Gratulantinnen von Görges. Sie schrieb ihr sofort eine SMS und twitterte anschließend in die Welt: „Juleeeeee, wie wahnsinnig bist du denn!!! Hammerhart, und wehe du lässt mich den Porsche nicht mal Probe fahren.“ Übertroffen wurde dieser Gefühlsausbruch nur von Görges’ Vater Klaus. Der hätte am Sonntag am liebsten die ganze Halle umarmt. Aber auch für ihn galt: Zum ausgiebigen Feiern blieb am Abend keine Zeit. Denn der kleine Enkel wartete am Montag früh in der Kirche schließlich auch auf ihn.

Julia Görges freut sich jetzt „auf ein paar freie Tage zu Hause. Dort war ich drei Monate nicht mehr. Das Schönste ist, im eigenen Bett zu schlafen. Ich werde zwei, drei Tage die Beine hochlegen und chillen. Ich werde das Erlebte ausgiebig sacken lassen. Es wird bestimmt ein wenig dauern, bis ich begreife, was passiert ist.“