Natascha Keller führt die deutschen Damen bei der Hallen-WM von Sieg zu Sieg. Die Torjägerin ist trotz ihrer Erfolge bodenständig geblieben.

Posen. Sie hat so viel erlebt in eineinhalb Jahrzehnten auf den Hockeyplätzen dieser Welt, dass ihre Erfahrungen ein Buch füllen könnten. Doch es gibt eine Frage, auf die Natascha Keller keine genaue Antwort einfällt. Wie viele Länderspiele sie denn absolviert hat, kann die 33-Jährige vom Berliner HC nicht sagen. "Irgendwas im 370er-Bereich", sagt sie. Es sind 375, womit sie Deutschlands Rekord-Internationale ist. Dass sie die exakte Zahl ihrer Einsätze nicht kennt, ist typisch für diese so bodenständig gebliebene Torjägerin, die alle nur "Taschi" nennen. Sie nimmt sich selbst nicht wichtig.

Das tun dafür alle, die mit ihr arbeiten dürfen. Im Team von Bundestrainer Kais Al Saadi ist Keller bei der 3. Hallen-WM im polnischen Posen erneut eine tragende Säule. In den Gruppenspielen gegen Australien (7:1) und Weißrussland (2:0) ging sie zwar leer aus, aber sie lenkte das Spiel. Dass sie Ende Januar auch maßgeblichen Anteil daran hatte, dass ihr Klub die deutsche Hallenmeisterschaft gewann, hat dazu geführt, dass das Karriereende, mit dem sie oft geliebäugelt hatte, bis 2012 aufgeschoben ist. Dann sind in London Olympische Spiele, und die will sie unbedingt mitnehmen. Es wären ihre fünften.

"Ich möchte den richtigen Moment zum Aufhören nicht verpassen und hoffe, dass mir mein Umfeld rechtzeitig einen Wink gibt", sagt sie, "aber noch habe ich nicht das Gefühl, dass man mich nur durchschleppt." Die Freude daran, mit ein paar Weggefährtinnen von früher und einer Menge junger Talente ein neues Team aufzubauen, übertreffe bei Weitem die Sorge, nicht mehr mithalten zu können. "Das Gefühl, gebraucht zu werden, ist mir sehr wichtig. Eine Mitläuferin will ich nicht sein", gibt sie zu. Da zudem ihr Arbeitgeber Michael Stiebitz, der eine Sportmarketingagentur führt, als Präsident des Berliner HC großes Verständnis für ihren Sport hat, lassen sich Hockey und Beruf für sie bestens miteinander vereinbaren. Keller kann ihre Sportleidenschaft im Job unter anderem beim Aufbau eines eigenen Hockey-Modelabels ausleben.

Dass die passionierte Tennisspielerin am Krummstock Erfolg haben würde, liegt in den Genen begründet, sie entstammt Deutschlands erfolgreichster Hockeyfamilie. Vater Carsten (1972) und die Brüder Andreas (1992) und Florian (2008) waren wie sie (2004) Olympiasieger, Florian ist als Co-Trainer der niederländischen Herren in Posen dabei. Die Eltern reisen zum Finalwochenende an. Damit diese auch am Sonntag ihrer Tochter zusehen können, muss heute (18.45 Uhr) gegen Polen ein Punkt zum Halbfinaleinzug her.

Allerdings wurde schon in der Partie gegen die Weißrussinnen deutlich, wie kräftig die anderen Nationen aufgeholt haben. "Auch wenn Deutschland die führende Hallennation ist, so ist der Titel längst kein Selbstgänger mehr", sagt sie. Natascha Keller hat andere Zeiten erlebt, 2003 bei ihrer ersten Hallen-WM in Leipzig war der Weg zum Titel ein Spaziergang. Aber sie trauert diesen Zeiten nicht nach. Sie freut sich daran, immer noch Neues zu erleben. "Ich war zum Beispiel noch nie in Polen, obwohl das von Berlin nur ein Katzensprung ist. Das jetzt mitmachen zu können ist ein Privileg, das ich genieße."

Tore gegen Australien: Fanny Rinne (Mannheim/3), Lisa Hahn (Uhlenhorster HC/3), Kerstin Holm (Lichterfelde).

Tore gegen Weißrussland: Rinne, Hahn.