Die Bundestrainer Weise und Al Saadi über Hallenhockey als olympischen Sport und die Sorgen um den Nachwuchs

Hamburg. An diesem Wochenende die Endrunde um die deutsche Meisterschaft in Duisburg, vom 8. bis 13. Februar die WM im polnischen Posen - dem Hallenhockey stehen interessante Wochen bevor. Grund genug, die Bundestrainer Markus Weise (Herren) und Kais Al Saadi, der den mit dem A-Kader in Argentinien weilenden Michael Behrmann bei den Damen vertritt, zum gemeinsamen Gespräch zu laden.

Abendblatt:

Meine Herren, was wissen Sie über das Hallenhockey in Namibia?

Kais Al Saadi:

Ich weiß, dass die bei Herren und Damen dabei sind, weil Südafrika zurückgezogen hat. Mehr nicht.

Markus Weise:

Ich weiß nichts.

Das ist schlecht, schließlich ist Namibia Ihr Auftaktgegner bei der WM. Ist das der Reiz eines solchen Turniers, diese Exoten kennenzulernen?

Weise:

Nein, Namibia ist ein Gegner wie jeder andere, den wir schlagen müssen.

Al Saadi:

Für mich, der zum ersten und möglicherweise auch letzten Mal eine WM verantwortlich begleitet, ist das schon der Reiz.

Welchen Stellenwert hat diese WM für Sie persönlich, und welchen hat sie für das deutsche Hockey?

Al Saadi:

Für mich ist es ein großartiges Erlebnis, auf das ich mich sehr freue. Für das deutsche Hockey ist die Halle traditionell wichtiger als für die meisten anderen Nationen, international ist sie eher eine Randerscheinung. Aber ich habe schon Signale bekommen, dass wir den Titel ruhig gewinnen sollten. Mit dem Druck müssen wir klarkommen.

Weise:

Das ist bei uns nicht anders. Wir haben zwar weder Geld noch Zeit, um uns ordentlich vorzubereiten, aber der Titel ist der Anspruch.

Das Hallenhockey wird von Spielern und vielen Trainern als unverzichtbar angesehen, was die technische Ausbildung angeht. Was macht es so wichtig?

Weise:

Wir profitieren von der Halle, weil die Spieler technische und taktische Feinheiten viel häufiger im Spiel anwenden müssen als auf dem Feld.

Al Saadi:

Handlungsschnelligkeit und Geistesgegenwart sowie taktisches Geschick sind in der Halle viel mehr gefordert als auf dem Feld. Das schult ungemein. Es gibt aus Sicht des Damenhockeys aber auch Nachteile, die uns für das Feld eher behindern. Zum Beispiel, dass in der Halle keine hohen Bälle gespielt werden dürfen. Das muss man dann im Feld wieder zwei Monate üben.

Teilen Sie die Ansicht vieler Trainer, dass das Niveau des nationalen Hallenhockeys darunter leidet, dass viele Teams nur ergebnisorientiert defensiv spielen und so den Spaß am Spiel zerstören?

Weise:

Das Beklagen darüber macht wenig Sinn. Die Abwehrleistung hat sich über die Jahre verbessert, während sich offensiv nicht viel getan hat. Man muss Mittel und Wege finden, eine Defensive auszuhebeln, anstatt zu jammern.

Al Saadi:

Wenn Defensivsysteme nicht erfolgreich wären, würde sie keiner spielen. Der Anspruch muss deshalb sein, mit einem offensiven System so gut zu spielen, dass sich eine Mauertaktik nicht mehr lohnt.

Ist das Niveaugefälle, das es innerhalb der Regionalgruppen auch in dieser Saison wieder gab, hinnehmbar, oder ist die Klage einiger Trainer und Spieler berechtigt, die auf Spiele gegen deutlich unterlegene Teams keine Lust mehr haben?

Weise:

Ich halte das für einen eher arroganten Ansatz, Spiele gegen vermeintlich Schwächere nicht machen zu wollen. Die verlieren ja nicht absichtlich, und es ist auch eine Frage des Respekts, gegen Schwächere trotzdem alles zu geben. Wenn nur noch Topspiele gewünscht sind, kann man fast jede Liga dichtmachen, in jeder Sportart.

Al Saadi:

Allerdings muss man Damen und Herren getrennt sehen. Das Niveau der Herren-Bundesliga ist insgesamt näher am internationalen Niveau als das der Damen, auch weil fast zwei Drittel der Hockeyspieler in Deutschland männlich sind und deshalb mehr Potenzial da ist. Deshalb würde ich mir wünschen, dass sich dies auch im Modus der Damen niederschlägt und dieser differenziert betrachtet wird.

Fakt ist, dass in Deutschland Spieler und Trainer regelmäßig die bessere Atmosphäre und das interessantere Geschehen in der Halle loben. Warum scheint die Halle beliebter zu sein als das Feld?

Weise:

Für die Klubs ist es lukrativer, weil tatsächlich mehr Zuschauer kommen und die Stimmung besser ist. Wir sind in Deutschland allerdings eine Ausnahme, international hat das Hallenhockey keinen großen Stellenwert.

Al Saadi:

Viele Bundesligavereine in der Halle spielen im Feld zweitklassig. In der Halle schaffen sie es mitunter mal ins Viertelfinale und können damit mehr Zuschauer und Interesse generieren. Das ist für einen kleineren Verein natürlich ein tolles Erlebnis.

Wenn die technische Ausbildung so wichtig ist und die Spiele unterm Dach für die Vereine so lukrativ, wäre es dann nicht an der Zeit zu versuchen, dem Hallenhockey international mehr Gewicht zu geben?

Al Saadi:

Natürlich mag es aus unserer nationalen Sicht wünschenswert sein, der Halle mehr Gewicht zu geben. Aber es ist weltweit nicht realistisch. Die Fördermittel gibt es nur für Erfolge auf dem Feld. Anders wäre es, wenn Hallenhockey olympische Sportart wäre, so wie Volleyball und Beachvolleyball.

Weise:

Das Problem daran ist jedoch, dass ja selbst das Feldhockey bei Olympia noch nicht voll integriert ist. Noch immer darf ich nur 16 Spieler fest für den Kader nominieren, und die beiden, die auf Abruf dabei sind, dürfen nicht im olympischen Dorf wohnen. Wie sollen wir denn dann noch ein zweites Hockeyteam unterkriegen? Dann müsste Hallenhockey schon eher bei den Winterspielen integriert werden, in der Jahreszeit, in der es auch gespielt wird. Aber das wird eine Utopie bleiben.

Fehlt dem Hockey bei Olympia die Lobby, weil es kein Profisport ist? Muss die Professionalisierung nicht mit aller Macht vorangetrieben werden?

Al Saadi:

Sicherlich haben wir weltweit ein eher amateurhaftes System, es fehlt ja schon an einem internationalen Terminkalender, der Verlässlichkeit bietet. Aber die Diskussion ist müßig, weil sich Professionalität nicht einstellt, wenn ein Bundestrainer es einfordert, sondern erst, wenn Sponsorengeld in die Sportart fließt, das eine Professionalisierung ermöglicht. Das passiert derzeit nicht in ausreichendem Umfang.

Aber warum ist das so? Sportarten wie Skispringen oder Biathlon sind sicherlich nicht interessanter als Hockey, Erfolge können Sie auch dauerhaft vorweisen.

Weise:

Dafür sehe ich zwei Gründe. Skifahren und Schießen interessiert erstens viel mehr Menschen in Deutschland als Hockey. Außerdem ist Hockey, genau wie Eishockey, leider keine TV-kompatible Sportart, weil man die Dynamik nicht so gut einfangen kann.

Könnten Regeländerungen helfen? Muss Hockey einfacher werden?

Al Saadi:

Diesen Ansatz gibt es seit Jahren. Jedes Jahr werden still und heimlich Regeln radikal verändert. Der Selfpass zum Beispiel, dass man bei einem Freischlag selbst weiterspielen darf, hat das Spiel und sein Tempo revolutioniert. Aber Aufmerksamkeit gebracht hat das noch nicht wirklich. Deshalb können wir uns noch so tolle Sachen überlegen und werden am Ende nichts ändern, wenn sich die Medien nicht für Hockey generell interessieren.

Weise:

Ich bin auch überzeugt davon, dass wir in Deutschland das Potenzial haben, unser bestehendes, gutes System auf eine bessere Basis zu stellen. Dafür muss allerdings umgedacht werden. Bei uns sind die U-Nationalteams nur als Vorbereitung für die A-Kader gedacht, Erfolge sind dort nicht so wichtig. Um dieses System zu erhalten, darf das Innenministerium aber nicht die Mittel kürzen, wenn ein Mäzen einsteigt, sondern muss uns weiter in vollem Umfang unterstützen. Und es kann nicht sein, dass wir in den Jugendauswahlteams seit 15 Jahren mit dem gleichen Etat arbeiten müssen. Das ist auf Dauer nicht zu machen.

Schon jetzt klagen Hockeyspieler über die eklatante finanzielle Unterversorgung im Vergleich zu Fußballern.

Weise:

Wissen Sie, das kann ich nicht mehr hören. Niemand wird gezwungen, Hockey zu spielen, jedem steht es frei, zum Fußball zu gehen.

Al Saadi:

Da muss ich Markus widersprechen. Ich wünsche unseren Spielern schon, dass es mehr wahrgenommen und honoriert würde, was sie leisten, vor allem im Vergleich mit Menschen ohne so ein zeitintensives Hobby, aber auch mit Profisportlern. Es ist beeindruckend, wie sie Leistungssport und Berufsausbildung unter einen Hut bringen. Ihr Zeitmanagement kann man nur bewundern.

Befürchten Sie, dass es immer schwieriger wird, junge Menschen für so eine Plackerei zu begeistern? Wo steht das deutsche Hockey in zehn oder 20 Jahren?

Weise:

Wenn wir es schaffen, auch weiterhin organisch zu wachsen, dann wird sich einiges verbessern. Entscheidend ist, dass sich mehr gute Leute für den Trainerberuf entscheiden. Wir brauchen mehr Auswahl an Talenten und eine bessere individuelle Betreuung, um unser Niveau zu halten. Aber Hockey als Akademikersport leidet unter der Verkürzung und Verschulung der Studiengänge. Das kostet uns Leistung, weil die Spieler keine Chance mehr haben, ihr Studium auf den Sport einzustellen.

Al Saadi:

Wir werden auch weiterhin kein Massensport sein. Ich warte eigentlich schon seit Jahren darauf, dass die Erfolge wegbrechen, denn die stetige Verjüngung kann nicht ewig gut gehen. Deshalb müssen wir mit dem werben, was unseren Sport einzigartig macht: ein tolles Netzwerk für die berufliche Laufbahn, ein familiäres Umfeld sowie ein unfassbar attraktives und dynamisches Spiel mit großen Erfolgsaussichten. Wir haben das Potenzial, auf Dauer in der Weltspitze mitzuhalten. Aber wir müssen um jedes Talent hart kämpfen.