Pleiten, Pech und Pannen sorgten für Krise im Hamburger Profiboxstall. Die Führung um Klaus-Peter Kohl arbeitet im Stillen an einem Ausweg.

Hamburg. Irgendwann im Dezember wurde Manuel Charr unruhig. Der libanesische Schwergewichtler wartete auf die Bestätigung des Hamburger Profiboxstalls Universum, dass dieser, wie mündlich angekündigt, die Option auf Verlängerung seines Vertrags ziehen würde. Charr fragte im Universum-Büro nach, ob er Post bekommen würde. Reaktion: keine. So ging es mehrmals, bis am Jahresende die Option verstrichen und Charr ein freier Mann war. Nun steht er vor einem Wechsel ins Team von WBA-Mittelgewichts-Weltmeister Felix Sturm.

Anekdoten wie diese werden derzeit viele erzählt in der Boxszene, und die meisten werfen einen Schatten auf Universum, das 1984 gegründete Traditionsunternehmen des Hamburger Kaufmanns Klaus-Peter Kohl, 66. Eine schier unheimliche Mischung aus Pleiten, Pech und Pannen hat den einstigen Vorzeigestall, aus dem Weltmeister wie die Klitschko-Brüder Vitali und Wladimir, Dariusz Michalczewski oder Regina Halmich hervorgingen, in eine tiefe Krise gestürzt. Seit Ende Juli 2010 der mit kolportierten 20 Millionen Euro jährlich dotierte TV-Vertrag mit dem ZDF ausgelaufen war (siehe Infokasten), warten Boxer, Trainer und Fans auf belastbare Beweise einer Neuausrichtung für die Zukunft.

Die Zeichen, die Universum derzeit aussendet, lassen zweifeln. Kaum eine Woche vergeht, in der nicht von einem neuen Abgang die Rede ist. Zuletzt erwischte es den früheren Superfedergewichts-Weltmeister Vitali Tajbert, Schwergewichtler Christian Hammer und Trainer Vardan Zakarjan. Die administrative Ebene wurde längst ausgedünnt, und als Kohl vorvergangenen Freitag bekannt gab, das langjährige Trainingsgym an der Walddörferstraße im Sommer verlassen zu wollen, da sahen viele Wegbegleiter das Ende nahen. Kohls Pläne, in eine moderne Trainingshalle wie beispielsweise das Dima-Sportcenter in Lohbrügge umzuziehen, die er zusätzlich mietfrei auch für eigene Veranstaltungen vor 2500 Menschen nutzen könnte, gingen im allgemeinen Schwarzsehen unter.

Es ist vor allem mangelhafte Kommunikation, die Sportler und Trainer Kohl und dessen Schwiegersohn und designiertem Nachfolger Dietmar Poszwa, 38, vorwerfen. Die frühere Federgewichts-Weltmeisterin Ina Menzer beklagte sich schon vor Monaten, "dass niemand mit uns redet und uns sagt, woran wir sind". WBO-Halbschwergewichts-Weltmeister Jürgen Brähmer wunderte sich vergangene Woche, dass seit seinem "Skandal-Trip" nach Kasachstan, wo er unter dubiosen Umständen Anfang Januar eine Titelvereinigung mit WBA-Champion Beibut Shumenov absagte, niemand mit ihm gesprochen habe. Diese Liste ließe sich beliebig fortsetzen, zitieren lassen will sich, aus Angst vor der ungewissen Zukunft, allerdings niemand. Auch die Geschäftsleitung ist zu offiziellen Gesprächen nicht bereit. Kohl hält seit Monaten an einem alten Erfolgsrezept fest. Er arbeite im Stillen und wolle erst reden, wenn es etwas zu verkünden gibt.

Natürlich ist die Krise Universums nicht nur dem Pech und der Unprofessionalität einiger Sportler, die wichtige Kämpfe verloren, zuzuschreiben, sondern auch eng mit der Person Kohl verknüpft. Im Verlauf der vergangenen Jahre hatte der Unternehmer schrittweise versucht, sich aus dem operativen Boxgeschäft zurückzuziehen und Poszwa die Nachfolge zu überlassen. Ein entscheidender Fehler war jedoch, den im September 2005 ausgeschiedenen Geschäftsführer Peter Hanraths nicht adäquat zu ersetzen. Nachfolger Stefan Braune war zwar ein geschickter Verhandler und Kaufmann, Sportler und Trainer warfen ihm jedoch mangelndes Einfühlungsvermögen vor. Das Familiäre, das Universum lange ausgezeichnet hatte, sei verloren gegangen, es zählte nur noch das Geschäft.

Und in diesem spielte Kohl als "graue Eminenz" im Hintergrund weiterhin die Hauptrolle. Poszwa durfte sich mit der Universum-Tochter Spotlight von 2003 bis 2009 ausprobieren, er organisierte eigene Kampfabende auf ProSieben und Eurosport, hatte gute Ideen und weltweite Beziehungen. Doch er wurde von vielen weiterhin nur als Handlanger seines Schwiegervaters wahrgenommen. Spätestens als Kohl im Sommer 2010 Braune entließ und selbst wieder die Geschäftsführung übernahm, war klar, dass die "neue Generation" als gescheitert angesehen werden würde. Seitdem wirkt Poszwa wie gelähmt, die Lockerheit, die ihm viele Türen öffnete, scheint verloren.

Kohls Rückkehr mag auf einige Sportler und Trainer befreiend gewirkt haben, weil sie ihnen das Gefühl gab, dass ihre Anliegen endlich wieder Chefsache sind. Sponsoren und vor allem die Entscheider bei den TV-Sendern sehen sie jedoch kritischer. Bei ihnen gilt Kohl als Mann von gestern, die Zeit der Alleinherrscher, so hört man allerorts, sei abgelaufen. Sat.1-Sportchef Sven Froberg erklärte, sein Sender werde mit Universum nicht zusammenarbeiten. Intern hat man bei Sat.1 sehr wohl Interesse an Universum-Sportlern wie Fliegengewichts-Weltmeisterin Susi Kentikian oder Superweltergewichtshoffnung Jack Culcay bekundet, allerdings nur ohne das "Anhängsel" Universum.

Kohl gibt zu, dass er längst einen neuen TV-Vertrag haben könnte - allerdings zu Konditionen, die er als nicht akzeptabel ansieht. Die wahrscheinlichste Variante für das Fortbestehen des Hamburger Stalls sieht deshalb vor, dass man versucht, die verbliebenen Weltmeister und einige Talente mit Vermarktungschancen in lukrativen Märkten zu halten und mit ihnen in großen Kämpfen Geld zu verdienen. Universum wird versuchen, über weltweite Allianzen, wie zum Beispiel mit "Golden Boy" in den USA oder Geschäftspartnern in Osteuropa, die Durststrecke in Deutschland zu überdauern und sich für die Zukunft im Internetfernsehen zu wappnen, das mittelfristig neue Einkommensquellen sprudeln lässt.

Möglicherweise hat Kohl jedoch auch ganz andere Ideen im Kopf. Seine Gabe, visionär Jahre vorauszublicken, ist auch sein Problem, weil er darüber die Gegenwart vergisst. Mit Vergangenem hält er sich sowieso ungern auf, was dazu geführt hat, dass viele Sportler und Trainer, auch namhafte wie die Klitschkos, Sturm oder Fritz Sdunek, im Unfrieden schieden. Wegen seines Wesenszugs, alles besser wissen und stets Recht haben zu wollen, hat Kohl es sich mit diversen Partnern verscherzt. Dass er in vielen Fällen Recht behielt, hat seine Unternehmen florieren, die Zahl seiner Neider allerdings stetig wachsen lassen. Gestört hat ihn das nie. "Wir schauen nur auf uns und gehen die Treppe Stufe für Stufe nach oben", so lautet sein Arbeitsmotto. Deshalb ist Kohl die Rettung des Universums auch noch immer zuzutrauen. Auch wenn es dazu ein kleines Wunder braucht.