Der spanische Tenniskünstler kann bei den Australian Open den vierten Grand-Slam-Titel in Serie gewinnen

Melbourne. Als ihm die Fachwelt das Etikett des "Sandplatzkönigs" aufpappte, in den ersten Jahren seiner Karriere, ist Rafael Nadal nicht sonderlich begeistert gewesen darüber. Denn Nadal wollte nie bloß ein Facharbeiter sein für den rutschigen Untergrund, ein Spezialist für gewisse Momente im Tennisjahr, ein Matador, der seine Sinne nur auf die French Open richtet, ein Mann mit beschränktem Horizont. "Mein Anspruch war immer: Ich muss in der Lage sein, auf jedem Platz der Welt gegen jeden Gegner der Welt zu gewinnen", sagt Nadal, der in diesem Januar nun ein einmaliges und historisches Meisterwerk für die Tennis-Neuzeit vollenden kann.

Bei den Australian Open in Melbourne, die in der vergangenen Nacht begannen, hat der 24-jährige Mallorquiner die verlockende, vielleicht einmalige Chance, alle vier Grand-Slam-Titel gleichzeitig in seinen Besitz zu bringen, als erster Profi in der modernen Ära dieses Sports, als erster Spieler überhaupt nach der australischen Legende Rod Laver (1969). "Es wäre ein unglaublicher Moment, alle vier Grand Slams nacheinander zu gewinnen", sagt Nadal, der sich allerdings erst einmal als kunstvoller Beschwichtiger der eigenen Chancen gibt: "Wenn ich am Limit spiele, kann ich die zweite Woche erreichen." Favorit für den Titel sei nicht er, die Nummer eins, sondern Roger Federer: "Er ist in prächtiger Form." Erster Gegner Nadals ist morgen der Brasilianer Marcos Daniel.

Trotzdem: Im endlich strahlend sonnigen Melbourne richten sich zuallererst die Blicke der Fans auf die Titel-Mission von Nadal, auf den Anlauf des spanischen Granden zum sogenannten Rafa-Slam. Noch immer verblüfft es viele in der Branche, dass nun ausgerechnet der Muskelmann von der Ferieninsel zu diesem ganz großen Coup ausholen könnte, zu einem Triumph, den keiner der Superstars der letzten vier Jahrzehnte schaffte. "Er hat das Zeug dazu. Er hat so intensiv in den letzten Jahren an sich gearbeitet, dass er es auch verdient hätte", sagt der US-Amerikaner Jimmy Connors, "die Intensität, die Nadal ins Tennis brachte, ist grandios."

Auch Altmeister Ivan Lendl, der bei der Turnierauslosung als Zeremonienmeister fungierte, setzt auf Nadal als Melbourne-Champion: "Einer aus den Top Fünf wird gewinnen. Und mein Gefühl sagt mir. Es ist Nadal." Selbst die zuletzt großartige Form von Nadals größtem Gegenspieler Roger Federer lässt die meisten Beobachter nicht wankelmütig werden, sie setzen wie Australiens ehemaliges Ass Pat Rafter auf die in der Rangliste verbriefte Hackordnung - und damit auf Nadal: Der habe einfach einen "super Lauf" und verfüge über dieses "mächtige Selbstbewusstsein", so Rafter, "der Bursche ist ein Phänomen."

Gewänne Nadal wirklich zum zweiten Mal in der Rod-Laver-Arena, wäre es zwar kein echter Grand Slam, denn dazu muss ein Spieler alle vier Major-Turniere in einem einzigen Kalenderjahr gewinnen - so wie zuletzt Laver 1969. Aber trotzdem gäbe es nicht die geringsten Abstriche an der Großartigkeit des Triumphs zu machen, in diesen Zeiten weitaus härterer Konkurrenz im Tourgeschäft, als sie Laver damals bezwingen musste. Dass Nadal wenige Monate nach seinem in New York besiegelten Karriere-Grand-Slam (wenigstens ein Sieg bei jedem der vier Topturniere) nun auch die Chance besitze, die vier Majors nacheinander zu gewinnen, sei "der absolute Wahnsinn", sagt John McEnroe, der geniale Spitzenmann der 80er-Jahre. Genau wie Björn Borg, Pete Sampras, Boris Becker oder Ivan Lendl gewann McEnroe nicht einmal alle vier Toptitel in seiner Laufbahn, nur Agassi und Federer gelang dieses Kunststück neben Nadal.

Konsequent hat Nadal jedenfalls in den Jahren seiner Ausnahmekarriere die Hellseher und Propheten widerlegt, die ihm nicht nur auf Sandplatzturniere beschränkte Erfolgschancen bescheinigten, sondern auch eine geringe Verweildauer in der Spitze. Selbst in der vergangenen Saison war der Spanier schon restlos abgeschrieben, als er sich bei den Australian Open im Viertelfinale - leicht angeschlagen - abmeldete und etwas frühzeitig den Heimweg antrat. Doch dann folgte eine Bilderbuchsaison mit Siegen bei allen relevanten Sandplatzturnieren und Siegen bei allen drei weiteren Grand Slams. Die Rückkehr auf Platz eins war die logische, höchst verdiente Folge. "Bei den Topturnieren war er auf der Höhe seines Könnens", sagt auch Federer, der Rivale Nummer eins.

Die beiden Charakterköpfe der Tenniswelt werden auch 2011 die entscheidenden dramaturgischen Akzente setzen, Nadal vorerst als Nummer eins, Federer als Nummer zwei. Wobei zu hoffen ist, dass sie beide auch gleichzeitig bei den Spitzenturnieren in Spitzenform aufspielen, anders als 2009, als Nadal kleinere Schwächen zeigte und Verletzungsprobleme hatte.

Und anders als 2010, als der Schweizer Federer bei allen Grand Slams nach Melbourne im Krisenmodus war. "Beide an ihrer Leistungsgrenze zu sehen, wäre das größte Vergnügen in der kommenden Saison", sagt Mats Wilander, der alte Schwede. Auch er glaubt übrigens an den ersten großen Paukenschlag durch Nadal, den fiebrigen Kämpfer: "Er holt sich den Titel in Melbourne." Also dann: Court frei zum Rafa-Slam.