Die Torhüter Johannes Bitter, Carsten Lichtlein und Silvio Heinevetter konkurrieren bei der Handball-WM um den Platz zwischen den Pfosten

Kristianstad. Der Weg zur Weltmeisterschaft in Schweden verlief für Johannes Bitter nicht ohne Hindernisse. Man musste wohl schon die Biegsamkeit eines Handballtorhüters haben, um einen 2,04-Meter-Körper so geschmeidig wie er in die schmalen Sitzreihen der Kleinmaschine nach Kopenhagen zu bugsieren, wo die deutsche Nationalmannschaft gestern Mittag zusammenkam.

Die Erfahrung, seinen Platz auf engem Raum zu behaupten, wird Bitter in den kommenden Tagen und - wenn es gut läuft - Wochen vielleicht noch gebrauchen können. Vor dem heutigen Auftaktspiel gegen Ägypten (18.15 Uhr/ARD) hat sich Bundestrainer Heiner Brand nämlich nicht festgelegt, wer im Turnier sein mutmaßlich wichtigster Mann werden soll: der Hamburger Bitter, 28, der schon den WM-Heimsieg 2007 festhielt und dem HSV zuletzt mehrfach die Tabellenführung rettete? Der aufstrebende Berliner Silvio Heinevetter, 26, der auch ohne Titel schon das Selbstbewusstsein eines Weltmeisters mitbringt? Oder doch Carsten Lichtlein, 30, der beim kriselnden TBV Lemgo als Einziger noch die Bezeichnung Leistungsträger beanspruchen kann?

Brands Auswahl ist, vordergründig betrachtet, die Gleiche wie bei der EM in Österreich vor einem Jahr. Mit dem feinen Unterschied, dass sich sein Paradetrio damals in unhaltbarem Zustand befand: Bitter war gerade am Ellbogen operiert worden, Lichtlein musste als Ersatzmann in Lemgo um einen neuen Vertrag fürchten, und Heinevetter flog zwar tollkühn wie eh und je durch seine Kiste, schien im Verhältnis zur Schauspielerin Simone Thomalla das Torwartfach aber zu vernachlässigen. Deutschland wurde am Ende Zehnter. Ein Jahr später kann Brand darauf vertrauen, dass er das Turnier nicht rückhaltlos durchstehen muss. Sein Torwarttrainer Andreas Thiel sagt: "Heinevetter, Lichtlein und zuletzt auch Bitter haben in der Bundesliga konstant gute Leistungen gebracht. Dazu sind sie auch bei der WM in der Lage."

Das macht die Frage nicht einfacher, wer denn nun Brands Eins in Schweden sein wird. Seit er Henning Fritz nach den Olympischen Spielen in Peking 2008 ausrangiert hat, wechselt die Rangfolge auf der Torwartposition fast von Spiel zu Spiel. Weder bei der WM in Kroatien 2009 noch in Österreich vor einem Jahr konnte sich einer der Kandidaten durchsetzen. In der EM-Qualifikation im Herbst schenkte Brand Heinevetter das Vertrauen. Lichtlein erhielt dafür bei den letzten beiden WM-Tests auf Island die meiste Spielzeit. Heute gegen Ägypten wird er allerdings nur auf der Tribüne sitzen. Brand hält sich die Option offen, ihn im Laufe der Vorrunde wieder in den Kader zu holen.

"Ich denke, dass sich im Laufe des Turniers ein Gespann herauskristallisiert", sagt Thiel, "eine klare Hierarchie ist wichtig. Thiel, 50, ließ sich über mehr als ein Jahrzehnt nicht aus dem deutschen Tor verdrängen. Weil er die Bälle magisch auf sich zog, wurde er ehrfürchtig "Hexer" gerufen. Fritz, 36, lenkte als "Busfahrer" die Geschicke der goldenen Generation. Die Spitznamen seiner Nachfolger klingen dagegen fast niedlich: "Jogi", "Lütti", "Heine".

Müsste Thiel sich festlegen, würde er den unkonventionellen Heinevetter zur Nummer eins a und den eher klassischen Bitter zur Nummer eins b machen. Brand hat sich bereits entschieden. Wie, das will er der Mannschaft heute Vormittag mitteilen. Die Bundesliga-Statistik der "Handballwoche" zumindest gäbe Thiel recht: Heinevetter ist mit einer Fangquote von 38 Prozent der erfolgreichste Torhüter der Hinrunde, noch vor dem Franzosen Thierry Omeyer vom THW Kiel (37 Prozent), der als Meister der Branche gilt. Bitter steigerte sich nach schwachem Saisonstart auf beachtliche 36 Prozent gehaltene Bälle, auch Lichtlein gehört mit 34 Prozent zu den Klassenbesten.

"Unsere Auswahl an guten Torleuten könnte am Ende besser sein, als wenn man sich wie Frankreich auf einen Weltstar verlassen muss", glaubt der Berliner Manager Bob Hanning. Den Grund für Heinevetters Durchbruch in dieser Saison verpackt Hanning in einen denkwürdigen Satz: "Er hat es geschafft, sich zu hinterfragen, ohne sich infrage zu stellen."

Dass es Heinevetter überhaupt so weit gebracht hat, hält Thiel für einen Glücksfall: "Im Jugend- und Juniorenbereich sind Trainer mit Torwartsachverstand dünn gesät. Die Ausbildung könnte insgesamt besser sein." Oft sei der Zufall im Spiel, wenn es ein Talent ganz nach oben schaffe.

Als Brand nach einem vierten Mann suchte, den er zur Not für die Weltmeisterschaft in Schweden nachnominieren könnte, besann er sich wieder seines Altstars Henning Fritz von den Rhein-Neckar Löwen. "Er hat es durch gute Leistungen gerechtfertigt", sagt der Bundestrainer. "Ich hätte auch gar nicht gewusst, wen ich sonst hätte nehmen sollen."