Der viermalige Tournee-Sieger über das Springen in Garmisch-Partenkirchen, das zu einer reinen Windlotterie wurde

Garmisch-Partenkirchen. Titelverteidiger Andreas Kofler aus Österreich stapfte als 50. und Letzter wortlos von dannen, der Finne Matti Hautamäki (34.) wollte nicht preisgeben, wie es ihm geht - und Olympiasieger Simon Ammann warf den Skisprungfans nach seinem Sieg Kusshände zu. Der zweite Wettbewerb der Vierschanzentournee in Garmisch-Partenkirchen geriet am Sonnabend zu einer reinen Windlotterie. "Das Springen war an der Grenze", urteilte Martin Schmitt, der als Siebter bester Deutscher war. Das Springen wurde nach dem ersten Durchgang abgebrochen. Das Abendblatt sprach mit dem viermaligen Tournee-Sieger Jens Weißflog.

Abendblatt:

Herr Weißflog, Andreas Kofler ist fast gestürzt, der Wind wechselte oft. War das noch fair?

Jens Weißflog:

Natürlich war es in gewissem Maße gefährlich, natürlich hatte es nicht mehr den sportlichen Wert eines normalen Springens, aber solche Wettbewerbe haben wir schon oft erlebt. Am Ende stehen aber Sieger auf dem Podest, die nicht nur durch Glück gewonnen haben. Es wird nie ein vollkommen faires Springen geben. Es hat sich aber eine andere Problematik gezeigt: Schwierige Windbedingungen machen sich wahrscheinlich mit dem neuen Material noch mehr bemerkbar.

Sie meinen die neuen Bindungen, bei denen Ski und Ferse mit einem festen Aluminiumstab verbunden sind. Aber warum wirkt sich der Wind da mehr aus?

Weißflog:

Die Balance in der Luft zu finden ist schon bei normalen Bedingungen nicht leicht. Durch die neuen Bindungen hat der Skispringer eine bessere Auflagefläche, das ist wie Surfen auf der Luft. Jeder hat schon mal ein Blatt gesehen, das von einem Baum fällt und dabei hin- und herschwingt - und so ähnlich ist es bei einem Skispringer. Jegliche Einflüsse, besonders Seitenwind, können dieses System stören. Die neue Bindung macht das noch schwieriger und da können Situationen wie bei Kofler entstehen.

Welche Konsequenzen muss man ziehen?

Weißflog:

Dazu sind wir in der Entwicklung eigentlich schon einen Schritt zu weit. Die Frage ist, ob wir das wieder rückgängig machen können. Das wird die Saison zeigen

Kann man diese Bindungen stärker reglementieren? Denn sie waren ja auch ein Grund für den folgenschweren Sturz des Finnen Ville Larinto, der sich einen Kreuzbandriss zugezogen hat.

Weißflog:

Bei ihm hat der Ski nicht ausgelöst, und vielleicht muss man sagen, dass es mindestens ein Teil geben muss, das auslöst. Einige Sportler nutzen Bindungen, die kein Sicherheitsteil haben, keinen Auslösemechanismus.

Aber welchen Vorteil bringt das?

Weißflog:

Jeder feilt bis zum letzten Gramm, und mit einer Sicherheitsbindung würde man mehr Gewicht auf den Ski bringen.

Zurück zum Springen am Sonnabend: Österreichs Trainer Alexander Pointner fragte, ob es denn nötig sei, so viele Springer vorzuführen?

Weißflog:

Das beurteilt er aber so, weil es ihn im Ergebnis getroffen hat. Das würde mir als Trainer genauso gehen. Wir werden wieder auf die Schanze gehen, und wenn wieder solche Bedingungen herrschen, wird keiner von sich aus hinabsteigen. Es wird auch kein Trainer sagen: "Heute hole meine Springer wieder herunter."

Ist das richtig?

Weißflog:

Im Leistungssport werden Zeichen immer erst erwartet, wenn mal einer unten im Schnee liegt.

Aber dann ist es zu spät.

Weißflog:

Wir diskutieren immer viel, wenn solch ein Ergebnis wie in Garmisch zustande kommt oder ein schwerer Sturz passiert, aber am Ende ändert sich nichts. Jeder kennt das Risiko.