Severin Freund ist der deutsche Hoffnungsträger beim Neujahrsspringen. Das Ruhige und Gelassene hat ihn dort hingebracht, wo er jetzt ist.

Oberstdorf. Es war eine neue Situation gestern Vormittag für Severin Freund - und er blieb trotz seiner erst 22 Jahre erstaunlich locker. Während seine Teamkollegen im Hotel weilten und sich von dem ersten Springen der Vierschanzentournee am Mittwoch in Oberstdorf erholten, blickte der Niederbayer in die Gesichter von 40 neugierigen Journalisten und in verschiedene Fernsehkameras. "Die Nacht hat gut getan, ich habe ausgeschlafen, mich erholt und schön gefrühstückt", erzählte er mit einem freudigen Blitzen in den Augen und blickte in die Runde. Spätestens beim Tournee-Auftakt hat er sich mit Platz sechs zum neuen deutschen Hoffnungsträger der lange Zeit schwächelnden deutschen Springer emporgearbeitet. Nervös macht ihn die ungewohnte Rolle nicht.

Severin Freund war schon vor der Traditionsveranstaltung als 16. der beste Deutsche im Weltcup, doch seine gute Form musste er in Oberstdorf erst mal beweisen - dort, wo das Skispringen alljährlich wieder in den Fokus der Öffentlichkeit rückt und die Athleten 20 000 jubelnden Zuschauern entgegenfliegen. "Es hat einen Riesenspaß gebracht, die Leute zu hören und sich von ihnen tragen zu lassen", sagt er. Keine Spur von Übermotivation oder selbst auferlegtem Druck. Wer jetzt, angesichts seines bisher besten Weltcup-Resultats, vollmundige Ankündigungen in Richtung einer Medaille erwartete, der ist bei Freund falsch: "Der Podestplatz muss bei der Vierschanzentournee auf keinen Fall dabei sein. Wenn es aber klappen sollte, würde ich mich natürlich unglaublich freuen."

Dass sich da im deutschen Team einer Schritt für Schritt der Weltspitze nähert, bleibt auch den Kollegen von Bundestrainer Werner Schuster nicht verborgen: "Wenn der Severin springt, schauen sie hin. Sie haben gesehen, dass bei ihm Potenzial dahintersteckt." Freund, von seinen Mitspringern "Sevi" genannt, zählt jedoch nicht zu jenen Ausnahmetalenten, denen alles zufliegt. Ende Dezember 2007 erkämpfte er sich mit Rang 30 in Oberstdorf seine ersten Weltcup-Punkte. Doch im Gesamt-Weltcup reichte es vergangenes Jahr nur zum 42. Platz. "Er musste sich vieles erarbeiten", sagt Schuster, "genauso wie der Österreicher Andreas Kofler." Und genau der siegte zuletzt bei der Vierschanzentournee. "Diese Leute bekommen nichts geschenkt und wissen deshalb oft besser, auf was es ankommt", sagt Schuster.

Freund, der zu den athletischen Springertypen zählt, hat für sich selbst noch einen weiteren Vorteil ausgemacht - einen, den er sich ebenfalls hart erarbeitet hat. "Ich kann mich auf meine Sprungkraft verlassen, und das ist gut für den Kopf. Ich weiß einfach, dass mein Sprung unabhängig vom Wind funktioniert." Das Ruhige und Gelassene hat ihn dort hingebracht, wo er jetzt ist. Er ist keiner, der sich und der Skisprungwelt unbedingt etwas beweisen will. Der 22-Jährige kann auf den Erfolg warten. Freund drängt sich nicht gern in den Vordergrund, aber wenn er etwas zu sagen hat, scheut er sich nicht, selbstbewusst in den Mittelpunkt zu treten. Bei der Pressekonferenz vor dem Springen in Oberstdorf antwortete Vize-Weltmeister Martin Schmitt, 32, auf eine Frage zu dem Wertungssystem der Springer. Freund rückte anschließend das Mikrofon zu sich: "Ich würde dazu auch gerne noch etwas sagen ..."

Vielleicht hilft ihm bei seiner Herangehensweise auch, dass er seine Gedanken auch einem anderen Thema widmet: Freund studiert an der Hochschule Ansbach International Management - ein Studiengang, der für Leistungssportler erdacht wurde. Im Frühjahr holt er die Bücher wieder heraus. Gestern Mittag fuhr das deutsche Team aber erst mal zur zweiten Tournee-Station nach Garmisch-Partenkirchen, wo am Silvestertag die Qualifikation für das Neujahrsspringen ansteht. Womöglich hat er mit Freundin Caren später ja auch mehr als den Beginn eines neuen Jahres zu feiern. Denn wie sagte Schuster gestern: "Für Severin war schon in Oberstdorf ein Podestplatz möglich."