Hamburg. Einmal angenommen, Sie schauten jetzt aus dem Fenster, welcher Sport käme Ihnen wohl spontan in den Sinn? Sagen Sie jetzt bitte nicht Rudern. Das würden wir nämlich nicht einmal einem wie Lars Wichert glauben. Bei ihm ist es nur so: Er rudert wirklich. "Solange es eisfrei ist und nicht kälter als minus sieben Grad, geht es raus aufs Wasser", sagt er. Und wenn alles stimme, das Material, die Technik, wenn womöglich noch der Winternebel aufreißt und die Sonne durchschimmert, dann spüre er die Kälte gar nicht mehr. Dann nehme er nur noch wahr, "was das Boot oder die Natur einem gibt. In solchen Momenten kann man sich richtig fallen lassen."

Man muss wohl diese Hingabe besitzen, um es so weit zu bringen wie er: Weltmeister. Genauer: Doppelweltmeister. Bei der WM im November in Neuseeland gewann der 24-Jährige vom Ruder-Club Allemannia die Goldmedaille im Leichtgewichtsachter und im leichten Doppelvierer. "Das war schon eine starke Überraschung", sagt Wichert. Auf eine Medaille habe er gehofft, am ehesten wohl im Leichtgewichtszweier, seiner eigentlichen Bootsklasse, von der er sagt, dass sie eine der anspruchsvollsten im Rudern sei. Aber weil der WM-Zeitplan mit drei Finaltagen großzügiger bemessen war als in der Vergangenheit, sei noch ein bisschen Luft für weitere Starts geblieben. Tja, und so konnte er sich eben mit zwei Titeln über den fünften Platz im Zweier hinwegtrösten und sich von 10 000 Ruderfans am Lake Karapiro feiern lassen.

Als Doppelweltmeister ist Lars Wichert eine seltene Spezies im Rudern. Zwei Goldmedaillen bei einer WM gelangen letztmals dem Briten Matthew Pinsent vor neun Jahren im Zweier mit und ohne Steuermann. Dass Wichert auf einer Veranstaltung einen Titel in einem Riemen-, den anderen in einem Skullboot gewann, macht ihn zum Unikum. "In der Weltklasse gibt es selten jemanden, der so vielseitig ist wie er", sagt Marcus Schwarzrock, Bundestrainer am Olympiastützpunkt Ratzeburg.

Auf die Idee, es mit einem langen Riemen statt mit zwei kürzeren Skulls zu versuchen, kam Wichert erst im vergangenen Jahr. Der Zufall wollte es, dass der frühere Olympiateilnehmer Bastian Seibt nach einem Jahr Pause auf der Suche nach einem Zweierpartner war. "Es lief überraschend gut", erinnert sich Wichert, "aber dann hing ich plötzlich in der Schwebe." Seibt durfte im Frühjahr unverhofft in den olympischen Vierer nachrücken, und Wichert stand wieder allein da. Er versuchte es mal im Einer, dann im Achter, ohne sich festlegen zu können.

Im Nachhinein war das wohl sein Glück. Aber es hat auch viel mit Können zu tun, wie Schwarzrock weiß: "Er ist körperlich eines der stärksten Leichtgewichte in Deutschland." 14 Übungseinheiten pro Woche zu je zwei Stunden stehen dahinter. Wenn Lars Wichert vormittags an der Universität Hamburg einen Kursus in Bewegungs- oder Medienwissenschaft besucht, hat er das erste Training bereits hinter sich und das zweite vor sich. Und am nächsten Morgen wird der Wecker wieder um 6 Uhr klingeln. "Über das Programm der Fußballer lächelt man müde", sagt Wichert. Beim Vergleich der Entlohnung müssten ihm eher Tränen kommen. Für die WM-Titel habe er nur Schulterklopfer bekommen. Sie haben ihm nicht einmal eine höhere Förderstufe gebracht, da es sich nicht um olympische Bootsklassen handelte. In anderen Ländern gebe es diese Unterscheidung nicht.

So aber bleibt er auf BAföG, die Grundförderung der Sporthilfe und auf die Zuwendungen des Teams Hamburg angewiesen. Vom Trainingsbeitrag ist er auch als Doppelweltmeister nicht befreit, dafür steht ihm das Material des Vereins zur Verfügung. Aber er habe sich ja nicht des Geldes wegen als Jugendlicher in Berlin fürs Rudern entschieden, "sondern weil ich nach Perfektion und Leistung strebe". Wenn er dann am Ende des Jahres auf eine "schicke Saison" zurückblicken könne, wisse er, dass es die Mühe wert war.

Schwarzrock glaubt, dass es Lars Wichert mit diesem Ehrgeiz noch weit bringen könne. "Ich kann mir gut vorstellen, dass er bei Olympia 2012 und 2016 im Leichtgewichtsvierer dabei ist." Empfehlen muss er sich durch gute Ergebnisse im Zweier mit Seibt. Das Skullen will Wichert höchstens noch spaßeshalber betreiben. "Ich will Basti ja nicht im Stich lassen."