Die Hamburger Schwimm-Europameister Markus und Steffen Deibler über ihr neues Selbstverständnis und schnelle Zeiten ohne Hightech-Anzüge.

Hamburg. Es ist frisch im Seminarraum des Olympiastützpunktes am Dulsbergbad. Die Heizung ist heruntergedreht. Markus, 20, und Steffen Deibler, 23, behalten ihre gefütterten Anoraks an. Erkältungsgefahr. Die Körper von Hochleistungssportlern sind anfällig für Infekte. Am Montag fliegen die Brüder mit der deutschen Nationalmannschaft zu den Schwimm-Weltmeisterschaften auf der 25-Meter-Bahn nach Dubai (15.-19. Dezember). Bei der Kurzbahn-EM Ende November im niederländischen Eindhoven gewannen sie in Weltklassezeiten sieben Goldmedaillen, Steffen vier, Markus drei. In Dubai ist Steffen Deibler Medaillenkandidat über 50 und 100 Meter Schmetterling sowie 50 Meter Freistil, Markus Deibler über 100 und 200 Meter Lagen.

Abendblatt:

Markus Deibler, Sie sind 1,96 Meter groß, haben schwarzes Haar, Sie, Steffen Deibler, sind elf Zentimeter kleiner und blond. Wo sind die genetischen Gemeinsamkeiten?

Markus Deibler:

Ich komme nach unserem Vater, Steffen nach unserer Mutter.

Steffen Deibler:

Wenn Sie in unsere Gesichter sehen, werden Sie Ähnlichkeiten entdecken. Und unsere Stimmen klingen nahezu gleich. Das führt am Telefon öfter zu Verwechslungen.

Auch charakterlich unterscheiden Sie sich stark.

Steffen Deibler:

Ich bin eher der Planer, Markus ist der Spontane.

Markus Deibler:

Steffen macht sich über alles sehr viele Gedanken, und wenn er etwas macht, dann zu hundert Prozent. Das gilt auch fürs Studium. Steffen lernt gern und viel. Das ist bei mir anders. Ich muss mir da immer einen Ruck geben.

Nervt es Sie, dass Ihr Bruder perfekt ist?

Markus Deibler:

Nö. Wir kennen uns ja schon länger.

Steffen Deibler:

Beim Schwimmen gibt es diese Unterschiede nicht. Wir haben beide denselben großen Ehrgeiz.

Bundestrainer Dirk Lange kritisiert aber Sie, Steffen, dass Sie Ihr Talent nicht ausschöpften, weil Sie - im Gegensatz zu Markus - Ihre Rennen zu kalkuliert angingen und einteilten und sich damit die Chance verbauten, Ihre Leistungsgrenzen nach oben zu verschieben.

Steffen Deibler:

Meine Erfolge und Zeiten bei der EM in Eindhoven widerlegen doch diese These. Es gibt nicht nur einen Weg, um schnell zu schwimmen. Dirks Philosophie ist es, von Anfang an auch atmosphärisch eine Konkurrenzsituation aufzubauen, Stärke zu demonstrieren. Er möchte, dass wir unsere Gegner gar nicht erst anschauen, sie als eine Art Feind betrachten, der uns etwas wegnehmen will. Das ist nicht meine Art. Ich will gewinnen, aber ich befinde mich nicht auf dem Kriegspfad. Ich will Spaß haben, und dazu gehört für mich ein verträgliches Miteinander.

Markus Deibler:

Auch für mich. Ich bin aber im Becken mehr der Kämpfer, da hat Dirk Lange recht. Ich schwimm vom ersten Meter an volle Pulle und hoffe, irgendwie anzukommen. Die letzte Bahn ist dann schon brutal hart.

Und Ihr Körper macht das mit? Bei der 50-Meter-Bahn-EM im Juli in Budapest sind Sie nach Ihren Rennen kollabiert.

Markus Deibler:

Ich bin nicht kollabiert, ich bin nur nach den Rennen immer ziemlich am Ende, weil mir nach meiner Mandeloperation Anfang des Jahres mit anschließenden Komplikationen die Trainingsgrundlagen fehlten.

Spielen Sie mit Ihrer Gesundheit?

Markus Deibler:

Die Ärzte haben mich durchgecheckt. Mein Körper ist tauglich für den Leistungssport. Auch geht es mir seit vier Monaten wieder gut.

Wer ist der Chef des Deibler-Teams?

Markus Deibler:

Ich!

Steffen Deibler:

Wenn wir vom Team sprechen, gehören auch unsere Trainerin Petra Wolfram, Krafttrainer Hauke Meyer-Koop, Manager Hans-Ulrich Jetter und einige andere dazu. Aber wenn Sie uns zwei ansprechen, dann bin ich der Chef.

Markus Deibler:

Okay, wir sind ziemlich gleichberechtigt.

Wer trifft wann welche Entscheidungen?

Markus Deibler:

Wir wohnen ja in einer WG zusammen ( mit Steffen Deiblers Freundin, die Red. ), und da geht es natürlich auch mal ums Einkaufen und Saubermachen. Wer Zeit hat, muss die Hausarbeit erledigen. Das klappt.

Steffen Deibler:

Ich als Älterer habe da noch ein paar Sachen mehr in der Hand, koordiniere vieles. Das ist normal.

Sie leben, schwimmen und reisen zusammen, sind Sie da nicht mal genervt voneinander? Im Beachvolleyball zum Beispiel werden aus anfänglichen Freundschaften schnell Zweckgemeinschaften.

Steffen Deibler:

Der Vorteil ist, dass wir uns schon 23 Jahre kennen.

Markus Deibler:

Das sagt er immer, dabei bin ich angeblich erst 20.

Steffen Deibler:

Also gut, 20. Wir sind harmonisch miteinander aufgewachsen, unsere Eltern waren auch Leistungsschwimmer. Wir sind nicht zusammengekommen, das ist der Unterschied, weil wir ein sportliches Ziel gemeinsam verfolgen wollten. Im Sport voneinander abhängig zu sein, stelle ich mir schwierig vor. Mannschaftssport käme für mich nicht infrage. Ich will für meine Leistung verantwortlich sein und nicht hoffen müssen, dass auch alle anderen voll mitziehen und nicht vor dem Spiel durchgefeiert haben.

Markus, ist Steffen Ihr Vorbild?

Markus Deibler:

Früher war ich im Verhältnis zum Alter besser als er. Aber dann war es cool zu sehen, wie Steffen Weltrekord über 50 Meter Schmetterling schwimmt. Das hat meinen Ehrgeiz weiter angestachelt. Auch hilft es mir in Phasen, in denen ich leistungsmäßig zu stagnieren scheine, mich an jemandem orientieren zu können, der das alles durchgemacht hat und aus diesen Tiefs gestärkt herausgekommen ist.

Sie schwimmen auch gegeneinander. Hört da die Bruderliebe auf?

Steffen Deibler:

Auf dem Startblock sind wir Konkurrenten, auch im Training. Aber das geht stets gesittet zu, anders, als wenn wir Mensch ärgere dich nicht spielen. Da zoffen wir uns schon mal. Auf der anderen Seite verstehen wir uns beim Schwimmen auch als Mannschaft. Die Deiblers gegen den "Rest der Welt". Das spornt zusätzlich an.

Der Rest der Welt, das sind meistens Profis. Sie studieren nebenbei. Ist da die Chancengleichheit gewahrt?

Markus Deibler:

Wir studieren nicht nebenbei, sondern parallel. Schließlich will ich die 60 Jahre nach meiner Karriere noch von etwas leben. Selbst wenn ich als Schwimmer gutes Geld verdiente, was in Deutschland schwer genug ist, reichte das nicht bis zum Lebensende.

Steffen Deibler:

Andere Studenten jobben, bauen ein Karrierenetzwerk auf und knüpfen Kontakte für spätere Anstellungen. Leistungssport dagegen kostet viel Geld. Wir Sportler müssen das eingenommene Geld erst mal in unseren Sport investieren. Dann bleibt nicht mehr viel für Rücklagen übrig. Ich will aber mit 30 nicht mit leeren Händen dastehen. Das meine ich nicht finanziell. Ich möchte dann einen Beruf ergreifen, der mir gefällt. Zudem brauche ich einen geistigen Ausgleich. Nur schwimmen wäre mir zu wenig.

Das, was Sie machen, reicht normalerweise für zwei Leben.

Steffen Deibler:

Manche Tage sind sehr anstrengend - da bleibt nur Zeit für Training, Uni, Training und Schlafen -, auf der anderen Seite aber auch erfüllend. Natürlich haben wir kaum Freizeit. Der Sport gibt mir jedoch viele positive Erlebnisse zurück. Ich fühle nicht, dass ich in meinem Leben auf etwas verzichten müsste.

Sie treten nicht nur gegen Profis an, vermutlich auch gegen Doper. Beschäftigt Sie das?

Steffen Deibler:

Ich bin absolut sauber. Es käme mir auch nicht in den Sinn, mich und andere zu betrügen. Und ich habe gezeigt, dass man auch ohne Doping Weltrekorde schwimmen kann. Alles andere kann ich nicht beeinflussen.

Der ARD-Dopingexperte Hajo Seppelt hat Ihnen, Markus, auf dem Anti-Doping-Forum des Hamburger Sportbundes unterstellt, dass Sie nicht über jeden Verdacht erhaben seien, weil sie als Asthmatiker Medikamente nehmen dürfen, die auf der Verbotsliste stehen.

Markus Deibler:

Ich bin wie mein Bruder Belastungs-Asthmatiker und verfüge nicht über Gefälligkeitsatteste. Eine Studie besagt, dass 46 Prozent aller Menschen, also fast jeder Zweite, Asthma hätten, würden sie Leistungssport betreiben. Außerdem haben wir durch die Medikamente keinen Vorteil, sondern bekommen im besten Fall genauso gut Luft wie Sportler ohne Asthma.

Zuletzt wurde im Schwimmen hauptsächlich Materialdoping betrieben. Die Hightech-Anzüge sind seit diesem Jahr verboten, die Stimmen aber mehren sich, sie wieder einzuführen.

Markus Deibler:

Mich würden die Anzüge aufgrund meiner Größe und meines Gewichts bevorzugen, weil sie dir Auftrieb geben. Dennoch bin ich dagegen. Der Bessere soll gewinnen und nicht der bessere Anzug.

Steffen Deibler:

Es ist eine Frage der Gerechtigkeit. Die Anzüge nivellieren Unterschiede, die man sich mühsam erarbeitet hat. Ich habe mit einer speziellen Diät, bei der ich weitestgehend auf Kohlehydrate verzichte, noch einmal fünf Kilo abgenommen und habe jetzt ein ideales Last-Kraft-Verhältnis im Wasser. Kämen die Anzüge zurück, müsste ich wieder zunehmen. Schwimmen ist ein Natursport. Und nackte, muskuläre Oberkörper sind doch ganz attraktiv.

Die Deiblers, zwei Naturburschen. Das wäre eine wunderbare Werbebotschaft.

Steffen Deibler:

Da kenne ich noch drei weitere: Wir sind ehrgeizig, diszipliniert - und erfolgreich.