Strategiechef Chris Dyer droht seinen Arbeitsplatz zu verlieren

Florenz. Der sportliche Kater im Ferrari-Land Italien entlud sich am Tag danach in Gezeter. Bei den Nachfragen in den Kaffeebars und auf den Straßen warfen die Ferraristi dem Team "eine der absurdesten Fehlstrategien" und "Inkompetenz" vor, viele forderten: "Da müssen jetzt Köpfe rollen!" Dabei hatte der Konsens am Vortag noch gelautet: Oberste Devise sei Catenaccio, sprich: Webber in Schach halten. Alonso sei ja Spanier, und die beherrschen es schließlich, mit Ballkontrolle einen Vorsprung komfortabel zu verteidigen. Es kam bekanntlich anders. Während sich VIPs wie Fiat-Präsident John Elkann oder Spaniens König Juan Carlos, die zuvor mit einer protzigen Feier kokettiert hatten, im Ferrari-Häuschen zu Abu Dhabi in Luft auflösten, arbeitete die italienische Presse schon eifrig an ihrer Anklage.

"Untergegangenes Rot - diese Fehler waren unverzeihlich", schrieb die "Gazzetta dello Sport": "Man hätte wissen müssen, dass auf dieser szenisch herrlichen, aber sportlichen Schwachsinnspiste kaum Überholmanöver möglich sind. Zum Verwandeln des Elfmeters hätte Sebastian Vettels Taxifahrertaktik ausgereicht, dessen Titel letztlich aber mehr als verdient ist." Der "Corriere dello Sport" erachtete die Fehlstrategie als dermaßen schwerwiegend, dass ihn nicht einmal das Ferrari-Politbüro verteidigen könne. "Das Geschenk", titelte der "Corriere della Sera": "An der Universität für Selbstmord hat nicht Red Bull, sondern Ferrari mit Auszeichnung den Abschluss gemeistert."

Im Kreuzfeuer steht Strategiechef Chris Dyer, der für die fatale Entscheidung allein verantwortlich gewesen sein soll. Der Kommentar von Stefano Domenicali ließ auf Personalveränderungen schließen. Er nannte Abu Dhabi Ferraris schlechtestes Saisonrennen und kündigte an: "Wir sind kein Haufen von Dilettanten. In Maranello wissen wir, wo anzusetzen ist, um einen Schritt nach vorne zu machen." Präsident Luca Cordero di Montezemolo reagierte sanfter: "Es schien, als hätten wir Angst vor dem Siegen gehabt."

Gleichzeitig ereilte Montezemolo scharfe Kritik aus dem Lager der Lega Nord, Koalitionspartei der Berlusconi-Regierung, mit der Montezemolos Initiative "Zukünftiges Italien" schon länger politisch im Clinch liegt. Diverse Abgeordnete forderten Montezemolos sofortigen Rücktritt: "Wenn er in der Politik so ein glückliches Händchen wie in der Formel.1 haben sollte, dann gute Nacht, Italien!" Dunkel wird es in der Tat, wenn Kleingeister ihre politischen Ränkespiele, wie in Italien üblich, auf dem Rücken des Sports austragen.