Ein Jahr nach dem Tod von Robert Enke gibt es im deutschen Fußball erste Konsequenzen. Die Deutsche Fußballliga (DFL) und die Vereinigung der Vertragsfußballer (VDV) arbeiten mit weiteren Partnern an einem Netzwerk zur Stressprävention.

Frage: Ist das Thema Depression in Deutschland seither weiter gekommen?

Kleinert: „Leistungssport und psychische Störungen sind vermehrt in der Öffentlichkeit. Das bricht Tabus und ist gut. Andererseits schmälert es die Bedeutung der Sportpsychologie, die weit über die Betrachtung von Störungen hinausgeht. Der Blick ist immer noch zu wenig auf psychologisches Training oder auf die Prävention von Stress und Burnout gerichtet. Das versuchen wir derzeit aktiv zu verändern.“

Frage: Inwiefern?

Kleinert: „Zusammen mit der VDV, der DFL und der Versicherung VBG planen wir ein Netzwerk zur Prävention und Früherkennung von stressbedingten Störungen. Auch die Robert-Enke-Stiftung und der Deutsche Fußballbund haben Interesse an einer Kooperation gezeigt. In den vergangenen Monaten haben wir dieses Vorhaben aber noch sehr diskret verfolgt und sind noch nicht soweit, mit Details an die Öffentlichkeit zu gehen.“

Frage: Im Fußball bewegt sich also etwas seit dem vergangenen Jahr?

Kleinert: „Ja, möglicherweise auch geprägt durch Druck der Öffentlichkeit. Man tut dem Fußball aber auch ein wenig unrecht. In anderen Sportarten besteht dieselbe Situation. Es gibt keine Unterschiede im Burnout zwischen Einzel- und Mannschaftssportlern.“

Frage: Eine Mannschaft um mich herum macht also keinen Unterschied?

Kleinert: „Entscheidend ist nicht, ob Mannschafts- oder Einzelsportler, sondern die Belastungsstruktur, die auf einen einwirkt. Eine Mannschaft kann da natürlich entlasten, sie kann aber genauso stören. Bei Burnout oder Depression spielt oft das Gefühl der Isolation eine große Rolle. Eine Mannschaft mit starker Konkurrenzsituation kann dies verstärken.“

Frage: Welche Rolle spielt es, in der Öffentlichkeit zu stehen?

Kleinert: „Habe ich Erfolg, ist das toll. Wenn mein Selbstwertgefühl aber sinkt und ich zusätzlich das Gefühl habe von anderen, also der Öffentlichkeit, bewertet zu werden, geht es mir doppelt schlecht. Das verstärkt den Druck und das Gefühl der Unfähigkeit. Zudem können die Athleten sich nicht öffnen, dazu braucht man etwas Vertrautes, und das ist nicht die Öffentlichkeit.“

Frage: Was ist mit Mannschaftskollegen?

Kleinert: „Im Profibereich herrscht eine große Konkurrenzsituation. Der andere kann zwar mein Freund sein, ist aber häufig auch mein Konkurrent. Es ist daher schwer, die Mitspieler mit einzubeziehen. Meist wollen es die Betroffenen auch gar nicht. Da ist eine irrationale Scheu über eigene Erholungs- und Stressprobleme zu berichten.“

Frage: Sind Fußballprofis wegen der extremen Öffentlichkeit Sonderfälle?

Kleinert: „„Ein Stück weit. Druck, Medienpräsenz – die können sich nicht davon lösen, dass sie die ganze Zeit begutachtet werden. Das wollen die aber gar nicht. Das ist wohl auch bei den bekannten Fällen so.“

Frage: Sportler haben aber immer diesen inneren und äußeren Druck.

Kleinert: „Druck entsteht über die eigene Wahrnehmung und Bewertung und ist daher selbst gemacht. Ich kann die Wahrnehmung auch verändern und aus „die wollen von mir“ ein „die trauen mir das zu“ machen.“

Frage: Wo hört denn Frust auf und wo fängt die Depression an?

Kleinert: „Das ist schleichend. Misserfolg ist im Sport immer da. Das ist gut so. Dadurch lernen wir, damit umzugehen. Da wir alle mehr Rückschritte als Lösungen haben, ist es ebenso wichtig mit Niederlagen umzugehen wie Erfolge zu genießen. Manchen fällt das schwerer, denen wollen wir helfen.“