Timo Boll gewinnt bei der Tischtennis-EM drei Titel. Im Einzel schlägt er seinen Teamgefährten Patrick Baum

Berlin. - Die Sache mit dem Erfolg auf allen Ebenen hat einen Haken für Timo Boll (29): Er muss sie wie im Fluge genießen, und das ist durchaus wörtlich zu verstehen. Europameister mit der Mannschaft, Europameister im Doppel mit Christian Süß (beides zum vierten Mal in Folge) und Europameister im Einzel (sein 13. EM-Titel) ist er in Ostrau (Tschechien) geworden. Doch statt einer großen Sause gestern gibt es für Boll heute einen Hinflug zur Expo nach Shanghai als Botschafter seiner Stadt, Mittwoch einen Rückflug nach Düsseldorf und schon am Freitag den nächsten Einsatz im Champions-League-Spiel gegen die Franzosen von Angers Vaillante TT.

Nun neigt der begnadete Ballbehandler Boll trotz mehr als ansehnlicher Trophäensammlung nicht gerade zu Dauereuphorie. Doch ein wenig mehr Zeit zum Genießen hätte ihm schon gefallen. "Titel werden schnell wieder vergessen", schwante dem Hessen, nachdem er im Halbfinale zunächst seinen Düsseldorfer Doppelpartner Christian Süß ("Timo macht einfach keine leichten Fehler") und im Endspiel seinen Düsseldorfer Teamkollegen Patrick Baum ("Der größte Tag meiner Karriere") jeweils 4:1 bezwungen hatte. Nach der Energieleistung ächzte Boll: "Zum Glück hatte ich noch Kraft und konnte meine Routine voll ausspielen."

Während der Weltranglisten-50. Baum eine ähnliche Sensation wie die Weißrussin Viktoria Pawlowitsch verpasste, die als Weltranglisten-43. den EM-Titel gewann, war Boll einmal mehr herausragender Akteur in einer formidablen Männermannschaft des Deutschen Tischtennis-Bundes (DTTB). Noch nie ist sie in 50 Jahren EM mit dreimal Gold, einmal Silber und einmal Bronze heimgekehrt.

Nie zuvor hatten außerdem zwei Deutsche das Einzelfinale bestritten - wobei die Endspielteilnahme des 23 Jahre alten Patrick Baum einer Sensation gleichkam. Im Turnierverlauf hatte der Linkshänder reihenweise Topspieler beiseite geräumt, darunter im Viertelfinale den Weltranglistensiebten Wladimir Samsonow aus Weißrussland und im Halbfinale den österreichischen Exweltmeister Werner Schlager. "Alle haben auf einem hohen Niveau gespielt", lobte Bundestrainer Jörg Roßkopf: "Für Patrick Baum freue ich mich besonders."

Sowohl der Jugend-Europameister von 2005 als auch Boll und Süß, 25, treten in der Bundesliga für den Tripelgewinner der vergangenen Saison, Borussia Düsseldorf, an. "Als Vereinsvertreter macht einen das stolz. Dass drei Borussen im Teamendspiel den Titel holen, ist unglaublich", sagte gestern Ex-Profi und Klubmanager Andreas Preuß, 48.

Dem deutschen Rekordnationalspieler Roßkopf ist die Reifeprüfung im neuen Amt damit gleich exzellent gelungen. DTTB-Sportdirektor Dirk Schimmelpfennig attestierte Roßkopf eine reibungslose Übernahme des Postens von Richard Prause. Er lobte: "Ich habe nicht das Gefühl, dass da unten ein Debütant an der Bande steht, vielmehr ein alter Hase." Roßkopfs Ruhe färbte offenkundig nachhaltig auf die Protagonisten ab. Dabei hatte der neue Bundestrainer gewarnt: "Der Druck ist groß, da alle von uns den Titel erwarten."

Timo Boll selbst hatte diese Erwartungshaltung ja geschürt, wiederholt davon gesprochen, "dass wir Deutschen die Chinesen Europas sind". Lässiger und beeindruckender hätte er seine These nicht belegen können als in Ostrau. Jedoch geht der Blick von Düsseldorfs Vereinsmanager bereits weit voraus. "Die Jungs werden jetzt eine Flasche Sekt trinken, sich schütteln, und dann geht es weiter", sagte Andreas Preuß. Nicht nur in der Liga und im Europapokal. Im Mai 2011 finden in Rotterdam die Weltmeisterschaften statt, "und einen Einzel-WM-Titel hat Timo Boll noch nicht. 2012 warten dann die Olympischen Spiele und im selben Jahr die Heim-WM in Dortmund. Es muss der Anspruch sein, die Chinesen zu attackieren", fordert Preuß.

Auch Schwedens Tischtennisidol Jan-Ove Waldner, den Boll in Ostrau als Rekord-EM-Titel-Sammler überholte, glaubt zwar: "Am Ende wird er mehr als 20 EM-Titel haben", doch "WM und Olympia - das zählt. 2012 in London wird die Chance seines Lebens. Boll kann Olympiasieger werden."