Schwergewichtsboxer Wladimir Klitschko verteidigt gegen Samuel Peter seinen Titel - und wartet weiter auf den ganz großen Kampf

Frankfurt am Main. Es ist ein Markenzeichen der Brüder Klitschko, Fragen entweder mit einem Sprichwort oder einer kleinen Geschichte zu parieren, wenn sie sich um eine wahre Antwort drücken möchten. Das wirkt charmant und intelligent, und häufig hat der Fragesteller am Ende des Monologs gar nicht gemerkt, dass er auf seine Frage keine Antwort erhalten hat. Von den Augen, die der Spiegel der Seele sind, oder dem einen alten Freund, der besser ist als zehn neue, haben viele, die das Glück haben, ab und an mit den beiden ukrainischen Schwergewichts-Boxweltmeistern reden zu können, schon des Öfteren gehört.

In dieser Woche war es wieder Zeit für eine neue Geschichte. Wladimir Klitschko, der an diesem Sonnabend (22.15 Uhr/RTL) seine WM-Titel nach Version von IBF und WBO in der Commerzbank-Arena in Frankfurt gegen den Nigerianer Samuel Peter verteidigt, war gefragt worden, welchen Kampf er für denjenigen halte, der seiner Karriere den entscheidenden Kick gegeben hat. "Ich war 14 Jahre alt, als eine ukrainische Zeitung über meinen ersten Kampf schrieb und mich mit meinem Bruder Vitali verglichen hat. Das war der entscheidende Kampf in meiner Karriere", so die Kurzversion seiner Antwort, in der bei allem Ausweichmanöver leider auch ein Funken Wahrheit steckt. Denn tatsächlich ist das, was dem 34-Jährigen auf dem Weg, eine Legende des Boxsports zu werden, fehlt, ein wegweisender Kampf.

"Career-defining fight" - das ist der englische Ausdruck für das Phänomen, das die "normalen" Weltmeister von den großen Champions trennt. Muhammad Ali hatte den "Rumble in the Jungle" gegen George Foreman und den "Thrilla in Manila" gegen Joe Frazier. Max Schmeling schlug sich gegen Joe Louis zur Legende. Wladimirs Bruder Vitali, 39, wurde durch die Schlacht mit Lennox Lewis unvergesslich. Arthur Abraham war über Nacht berühmt, als er trotz Kieferbruchs gegen Edison Miranda siegte. Diese Liste ließe sich beliebig fortsetzen, den Namen Wladimir Klitschko würde man jedoch vergeblich suchen. Er ist so etwas wie der Unvollendete. Zwar füllt der Doktor der Sportwissenschaft in schöner Regelmäßigkeit deutsche Fußballarenen, doch das Publikum kommt meist wegen des Glamour-Faktors. An die Kämpfe erinnern sich viele später nur schemenhaft.

Dabei gab es einen Kampf, der den Wendepunkt in Klitschkos Karriere darstellte. Es war das erste Duell mit Peter vor fast genau fünf Jahren in Atlantic City. Klitschko hatte die Niederlagen gegen Corrie Sanders und Lamon Brewster hinter sich und galt in den USA als "dead man walking", als "wandelnder Toter".

Dreimal landete er nach mehr oder weniger regelkonformen Treffern des Nigerianers im Ringstaub, dreimal stand er auf - und siegte am Ende verdient nach Punkten. "An diesem Kampf ist Wladimir unglaublich gewachsen. Er hat gespürt, dass er noch lebt, dass er Rückschläge und Niederschläge wegstecken kann und dass er die Qualität hat, sich durch einen Kampf zu quälen und zu siegen. Für mich war das erste Duell mit Peter der Wendepunkt seiner Karriere", sagt Klitschkos Trainer Emanuel Steward.

Das Problem an diesem Kampf war nur, dass ihn in Klitschkos boxerischer Heimat Deutschland kaum jemand sah, nicht nur, weil der Kampf am frühen Morgen in der ARD übertragen wurde. Vitali hatte seine Karriere verletzungsbedingt beendet, und es war die Zeit, in der kaum jemand glaubte, dass der jüngere Bruder überhaupt noch einmal das Zeug habe, in die Weltspitze vorzustoßen. Er galt als zu weich und psychisch labil. So traurig es für Wladimir Klitschko sein mag: Den deutschen Boxfans sind vor allem die Bilder im Kopf, wie er nach der K.-o.-Niederlage im März 2003 gegen den Südafrikaner Corrie Sanders durch den Ring krabbelt. So prägt ein Kampf das Bild des Champions entscheidend mit, der fast das Ende seiner Karriere bedeutet hätte.

Nun wäre es falsch, dem Zweimetermann die alleinige Schuld am fehlenden Legendenstatus zuzuschieben. Das Problem liegt vor allem in der derzeitigen Schwäche des Schwergewichts begründet. Die Gegner, die große Kämpfe garantieren könnten, fehlen. Namhafte Konkurrenz wie die Ex-Weltmeister Chris Byrd oder Hasim Rahman bekam Klitschko erst vor die Fäuste, als sie längst über den Berg waren. An Kämpfe gegen Calvin Brock oder Eddie Chambers erinnern sich nur Insider.

Die als Karriere-Highlight angekündigte Titelvereinigung mit Sultan Ibragimow im Februar 2008 war ob der Feigheit des Russen so langweilig, dass selbst Klitschko ungern daran zurückdenkt. Seitdem hat er nicht mehr in den USA geboxt, wo das Echo auf den Kampf verheerend war. Ein Mann wie der britische WBA-Weltmeister David Haye, der für einen weltweit interessanten Kampf wie geschaffen ist, scheut bislang die Herausforderung. Und das Duell der Brüder, das die Welt elektrisieren würde, lehnen beide Klitschkos dem Familienfrieden zuliebe ab.

So wird sich, wenn Samuel Peter in Frankfurt nicht für eine große Überraschung sorgt, Wladimir Klitschko weiterhin an den Rat seines Trainers halten müssen, der sagt: "Verteidige beharrlich deine Titel. Irgendwann kommt der große Kampf."

Er selbst sagt: "Ob ich in die Boxhistorie eingehe, interessiert mich nicht. Ich muss mich auf jede Aufgabe konzentrieren, die mir gestellt wird." Das ist eine deutliche Antwort, ohne Sprichwort oder Geschichte. Das heißt allerdings nicht, dass sie wahr ist.