US-Radprofi Tyler Farrar gewinnt zum zweiten Mal die Cyclassics. 2011 könnte das Rennen eine neue Strecke nehmen

Hamburg. Erik Zabel hatte André Greipel den entscheidenden Tipp mit auf die letzten Meter gegeben: Er solle sich beim Zielsprint auf der rechten Straßenseite halten. Zabel, 40, wusste ja, wovon er sprach, er hat die Cyclassics vor neun Jahren gewinnen können. Schon deshalb darf man Greipel glauben, wenn er sagt, dass er sich gern an den Rat des früheren Weltklassesprinters gehalten hätte, der jetzt beim Team HTC-Columbia zudem sein Berater ist.

Zur unschönen Natur des Radsports gehört es allerdings, dass meistens nur einer seine Taktik umsetzen kann und sie für alle anderen graue Theorie bleibt. Als Greipel gestern Nachmittag nach 216 Kilometern und mehr als fünf Stunden in die Mönckebergstraße auf die Zielgerade einbog - die eigentlich eher eine leichte Zielkurve ist -, da fand er sich auf der linken Seite wieder, dort also, "wo die Bande leider ein bisschen in die Straße geht", wie der Rostocker später klagte. Greipel versuchte dennoch sein Bestes, aber das war an diesem Tag nicht gut genug für den Sieg. Den sicherte sich Titelverteidiger Tyler Farrar vom Team Garmin-Transitions. Der US-Amerikaner stieg bei der 15. Austragung somit zum ersten Profi auf, der das Hamburger Protour-Rennen zweimal gewinnen konnte. Zwischen ihn und Greipel quetschte sich noch der Norweger Edvald Boasson Hagen vom Team Sky auf Platz zwei.

Dass es überhaupt zu einer Massenankunft kommen würde, war lange Zeit eine kühne Prognose. Kurz nach dem Start hatten sich fünf Fahrer abgesetzt, unter ihnen der Erfurter Sebastian Lang. Das Feld ließ sie auf mehr als 16 Minuten enteilen, um sich nach mehr als 200 Kilometern kurz vor dem Ziel auch die letzten Ausreißer wieder einzuverleiben. Mit fast chirurgischer Präzision hatten die Sprinterteams die Nachführarbeit organisiert.

Umso mehr haderte Greipel mit seiner Platzierung. Für den Bund Deutscher Radfahrer war sie beileibe nicht wertlos: Dank Greipels Punkten rückte der Verband in der Nationenwertung der Weltrangliste in die Top Ten auf und darf nun neun statt sechs Fahrern zur WM in Australien (29. September bis 2. Oktober) entsenden.

Man hätte die Sache also durchaus positiv sehen können, was Frank Bertling umgehend nachholte: "Unser kleines Jubiläum ist voll aufgegangen", sagte der Geschäftsführer der veranstaltenden Agentur Upsolut Event. 19 784 Zielankünfte bei den Jedermannrennen, etwa 1000 mehr als im Vorjahr, bedeuteten einen neuen Rekord. Er sei nicht nur von den lauwarmen Temperaturen begünstigt worden, sondern auch davon, dass das Feld Besonnenheit walten ließ. Und die Polizei lieferte zur Bilanz die übliche Schätzung von 800 000 Zuschauern entlang der Strecke hinzu, wenngleich einige erfahrene Jedermänner und -frauen von deutlich weniger Publikum als in vergangenen Jahren zu berichten wussten.

Das könnte ein Grund sein, warum man bei Upsolut für die nächste Austragung am 14. August 2011 eine neue Streckenführung erwägt. Bertling kann sich "vorstellen, wieder nach Bergedorf zu gehen". Auch eine Schleife in den Norden ist angedacht, dieser Plan droht jedoch den Zufahrtswegen zum Flughafen in die Quere zu kommen. Bei allem aber führe aber kein Weg am Waseberg vorbei, an dem auch gestern wieder die Stimmung gipfelte.

Der kurze, aber anspruchsvolle Anstieg ist Voraussetzung, soll das Rennen über Vertragsende 2011 hinaus in der ersten Liga der Protour-Serie verbleiben. "Wir gehen davon aus, dass wir diesen Status verlängern", sagte Bertling. Die Kosten von 40 000 Euro Preisgeld und 7500 Euro Reisekostenzuschuss pro Team kann Upsolut dank stabiler Einnahmen aus Sponsoring, Startgeldern und Standgebühren schultern.

Weiteres Wachstumspotenzial hat Bertling bei den Frauen ausgemacht, die bislang nur rund 12,5 Prozent des Felds ausmachen. Ihnen wird künftig möglicherweise ein eigener Startblock eingeräumt. Das soll etwaigen Ängsten vorbeugen. Schließlich haben nicht alle Einsteigerinnen das Glück, von der mehrfachen Weltmeisterin Hanka Kupfernagel in einem eintägigen Workshop auf das 55-Kilometer-Rennen vorbereitet zu wurden.

Das gestrige Ergebnis konnte sich sehen lassen: Nach nicht einmal zwei Stunden rollte die Trainingsgruppe geschlossen über die Ziellinie, und Kupfernagel war "unheimlich stolz auf die Mädels". Die waren sich einig: 2011 sind sie wieder am Start.