Budapest. Gerade hatte Paul Biedermann seinen Europameisterschafts-Titel über 200 Meter Freistil verteidigt, doch der 24-Jährige wirkte gestern Abend wenig euphorisch. Keine Jubel nach dem Zielanschlag, keine hochgeragten Fäuste für die Kameras. Der Weltmeister durfte aufatmen, weil er seine Pflicht erfüllt hatte. Nicht weniger, aber eben auch nicht mehr. Denn eigentlich hatte er ganz andere Pläne.

Es sind die Duelle, die Paul Biedermann antreiben. Aus der Vorfreude auf den Showdown Mann gegen Mann, Schulter an Schulter bis zum Zielanschlag, daraus zieht der Doppel-Weltmeister seine Motivation für den monotonen Trainingsalltag.

Gestern holte der Ausnahme-Athlet aus Halle an der Saale für den mentalen Schub allerdings etwas weiter aus. Für das Finale über 200 Meter Freistil wanderten seine Gedanken nach Amerika, wo Superstar Michael Phelps kurz vor Beginn der Europameisterschaften seinem Widersacher gerade noch mit 1:45,61 Minute die Weltjahresbestzeit weggeschnappt hatte. Ausgerechnet über Biedermanns Lieblingsstrecke. Das wollte er natürlich nicht auf sich sitzen lassen.

"Ein schöner Gruß" nach Baltimore sollte es werden. Doch nach 1:46,06 Minute war klar: Paul Biedermann hatte EM-Gold gewonnen, das interkontinentale Duell mit Superstar Phelps aber verloren.

Vielleicht fehlte Biedermann aber auch nur ein ebenbürtiger Gegner. Nur allzu gerne wäre er gegen den französischen Jungstar Yannick Agnel angetreten. Es wäre seine Chance zur Revanche gewesen für den Knacks, den der 18 Jahre alte Abiturient Biedermanns Vita verpasst hatte, als er sich im Finale über die 400 Meter Freistil nicht vom Endspurt des Weltrekordlers einschüchtern ließ und ihn dreist auf Rang zwei verwies. Doch über die halbe Distanz hatte das schlaksige Wunderkind sich trotz Bestzeit von 1:46,30 Minute nicht rechtzeitig für die EM qualifiziert.

Für den Sportler des Jahres waren beide Rennen dennoch eine wichtige Erfahrung. In Budapest war er erstmals der Gejagte. Nun wisse er, "wie es sich anfühlt, unter Druck zu schwimmen". Die Erwartungen an sich selbst, aber auch jene von außen hätten ihn im Kopf gebremst. "Das hat mir die Freiheit genommen, schnell zu schwimmen."

Jetzt richten sich seine Gedanken auf die 4x200-Freistil- sowie die 4x100-Lagen-Staffel, denn geteilter Druck ist ja bekanntlich halber Druck. Zugunsten der Mannschaft hat Biedermann auch seinen Start über die 100 Meter Freistil abgesagt, wo für ihn ohnehin "maximal Platz fünf" herausgesprungen wäre. Da konzentriere er sich doch lieber auf die Medaillenchancen mit dem deutschen Quartett.

Auch der Hamburger Steffen Deibler wird nicht über diese Distanz an den Start gehen, da das Finalrennen am Freitag unmittelbar nach dem Halbfinale über die für ihn aussichtsreicheren 100 Meter Schmetterling aufgerufen wird. Außerdem ist der 22-Jährige für die Lagen-Staffel am Sonntag gesetzt.

Sein Bruder Markus wird indes über die 100 Meter Freistil antreten, sofern der 20-Jährige bis dahin wieder die nötigen Kräfte beisammenhat. Das gestrige Finale über die 200 Meter Lagen, in dem er beim Sieg des ungarischen Lokalmatadors Laszlo Csea als Achter ins Ziel kam, hat den angeschlagenen Hamburger sehr mitgenommen.

Wie schon bei seinen vorherigen Starts musste Markus Deibler gestützt werden, sobald er aus dem Becken stieg. Keine drei Schritte habe er mehr alleine machen können, ohne umzukippen. Seine nächsten Starts bei der EM will er sich jedoch auf keinen Fall entgehen lassen und daneben auch noch seinen Bruder Steffen tatkräftig unterstützen.