Der dreifache Welthockeyspieler des Jahres, Jamie Dwyer, stellt sich nicht gern in den Vordergrund. Vom Sport leben zu können sieht er als Privileg

Mönchengladbach. Über den Spitznamen, den sie ihm in den ersten Tagen seiner internationalen Karriere gaben, kann Jamie Dwyer heute lachen. "Fötus" wurde er gerufen, als er mit 13 Jahren beim U-18-Nationalteam seines Heimatlandes Australien mitmischte, und damals hätte wohl kaum jemand darauf gewettet, dass aus dem schmächtigen Teenager einst einer der größten Stars im Welthockey werden würde. 18 Jahre, diverse nationale und internationale Titel und drei Wahlen zum Welthockeyspieler des Jahres (2004, 2007, 2009) später sitzt Dwyer entspannt vor einem Glas Apfelschorle und freut sich über "mein Privileg, dass ich von meinem Sport leben und ihn so lange ausüben kann, wie ich Lust dazu habe".

Der 31-Jährige hat tatsächlich allen Grund, entspannt zu sein. Im März hatte er Australien zum Gewinn des WM-Titels geführt, und in die Champions Trophy, die in dieser Woche im Mönchengladbacher Hockey-Park ausgetragen wird, ist der Titelverteidiger mit drei Siegen gestartet. Heute (20 Uhr) kommt es zum Aufeinandertreffen mit dem Gastgeber, und Dwyer freut sich auf das Match ganz besonders, weil er das deutsche Hockey seit vielen Jahren schätzt. "Die Deutschen sind defensiv perfekt organisiert, spielen aber auch offensiv Weltklassehockey. Ich habe vor ihnen großen Respekt", sagt er.

Dwyer ist ein ruhiger, bedächtiger Typ, dem es nie einfallen würde, sich selbst in den Vordergrund zu reden. Er spielt mittlerweile mehr im Mittelfeld als im Sturm, weil er die Freiheit hat, "da herumzulaufen, wo ich möchte", wie er sagt. Aber er nutzt das nicht, um sich als Einzelkönner zu präsentieren, sondern stellt sich immer in den Dienst der Mannschaft. Das, was er über die Deutschen sagt, meint er so, und weil er nach vier Jahren beim HC Bloemendaal in der niederländischen Hoofdklasse noch einmal eine neue Herausforderung suchte, wird er in der am 11. September beginnenden Spielzeit 2010/11 in der Bundesliga auflaufen. Der Mannheimer HC konnte sich dank Dwyers Freundschaft zu Co-Trainer Michael McCann die Dienste des Offensiv-Allrounders sichern.

"Ich freue mich sehr auf die Erfahrung, denn die Bundesliga hat sich zu einer der Topligen Europas entwickelt. Es wird sehr spannend für mich sein, mich auf diese neue Herausforderung einzustellen", sagt Dwyer, der auch schon in Spanien und Indien Klubhockey spielte, und der das Gefühl hatte, in Bloemendaal alles erreicht zu haben. "Ich habe mit dem Klub die Meisterschaft und die Euro Hockey League gewonnen, und ich habe dort meine Ehefrau kennengelernt. Mehr geht nicht", sagt er. Da Mannheim auch finanziell mit den Niederländern, die Jahresgehälter im guten fünfstelligen Bereich zahlen, mithalten konnte, fiel Dwyer die Entscheidung nicht schwer, auch weil die Bundesliga gut in seinen Zeitplan passt. "Ich wollte im Winter ein paar Monate hockeyfrei haben, weil wir im Dezember unser zweites Kind erwarten, das in Australien zur Welt kommen soll", sagt er.

Außerdem erlaubte ihm der MHC, Anfang Oktober bei den Commonwealth Games in Neu Delhi (Indien) teilzunehmen. Dieses Turnier ist für Australiens Hockey immens wichtig, weil sich die Förderung, die der Verband zahlt, einzig nach dem Abschneiden dort richten. Und weil die "Kookaburras" im Commonwealth derzeit mehr oder weniger konkurrenzlos sind, fließen die Gelder.

Dwyer ist auch deshalb einer der wenigen Hockeyspieler, die von ihrem Sport leben können. Zusätzlich zu dem Gehalt, das der Klub zahlt, bezieht er Förderung durch den Verband, er hat mit Adidas einen eigenen Sponsor, und er führt mit seinem Schwager Mark Knowles die Beratungsfirma "1&9" für Coaching in Sport und Wirtschaft. Dass in Deutschland die meisten seiner Mitstreiter in seinem Alter längst einem geregelten Job nachgehen, findet er schade. "Es gibt viele Deutsche, die zu früh aufhören müssen. In Deutschland steht der Sport leider nur an zweiter Stelle. Das ist in Australien anders, bei uns kann jeder tun, was ihm gefällt", sagt er. Aktive Hockeyspieler würden nach der Karriere von vielen Seiten unterstützt. Auch deshalb will er später in Australien leben. Während seiner Zeit in den Niederlanden verbrachte Dwyer die Hälfte des Jahres in der Heimat. Im Bundesstaat Queensland lebt seine Familie, dorthin zieht es ihn zurück, um Surfen zu lernen und sein Golf-Handicap, derzeit 12, zu verbessern.

Nach den Olympischen Spielen 2012 in London wird er aus dem Nationalteam zurücktreten, auf Klubebene könnte er allerdings weiterspielen. Möglicherweise in Mannheim, wo er zunächst bis Ende 2011 unterschrieben hat, weil er von Januar 2012 an mit dem Nationalteam in Perth zur Olympiavorbereitung weilt. Er will spielen, so lange es geht, weil er seinen Sport liebt. Nur eins will er verhindern: Dass aus dem "Fötus" irgendwann der Spitzname "Opa" wird. "Dann", sagt er und lacht, "weiß ich, dass Schluss sein muss!"