Der Reinbeker Julian Reister schreibt nach einer begeisternden Turnierwoche im Abendblatt sein persönliches Fazit und erklärt, was ihm noch zum Daviscupspieler fehlt

Im Sport, das habe ich in der vergangenen Woche gelernt, hat man kaum Zeit, um Erlebtes zu genießen oder zu verarbeiten. Am Donnerstag habe ich auf dem Centre-Court am Rothenbaum noch um den Einzug ins Viertelfinale gekämpft, gestern war ich dann bereits wieder für meinen Bundesligaklub Blau-Weiß Neuss in Erfurt auf Punktejagd. Ich hätte gern das Wochenende freigehabt, denn ich war nach den Erlebnissen von Hamburg total müde. Den halben Freitag habe ich verschlafen, ich hatte Muskelkater, weil ich wegen einer Blutblase unter dem Fuß falsch belastet habe. Aber weil ich versprochen hatte, dass ich spiele und ich mich dem Team verpflichtet fühle, bin ich mit meinem Kumpel Tobi Kamke nach Erfurt gereist.

Nach meiner Niederlage gegen Denis Istomin war ich total enttäuscht, weil ich so gern noch ein weiteres Spiel auf dem Centre-Court genossen hätte. Aber schon am Freitag kam der Stolz auf das Erreichte durch, und auch die Dankbarkeit darüber, dass ich jetzt erleben durfte, wovon ich als kleiner Junge geträumt habe. Es war unglaublich zu hören, dass die Menschen meinen Namen gerufen haben. Während des Spiels nimmt man das gar nicht so wahr, aber wenn man zur Ruhe kommt, gehen einem die Szenen durch den Kopf.

Ich bin zum ersten Mal in Hamburg erkannt worden, wenn ich über die Anlage gegangen bin, und ich habe am Rothenbaum zum ersten Mal bei einem ATP-Turnier die erste Runde überstanden. Das werde ich nie vergessen, und ich bin so glücklich, dass mir das in Hamburg passiert ist, meiner Geburts- und Lieblingsstadt. Als ich bei den French Open in Paris in der dritten Runde stand, war das zwar auch Wahnsinn, aber der Unterschied ist, dass hier meine Mutter und ihr Lebensgefährte (mein Vater ist gestorben, als ich zehn war), meine Freundin, mein älterer Bruder, meine Förderer und Manager und meine besten Freunde jeden Tag miterleben konnten. Ich durfte immer 15 bis 20 Karten hinterlegen, und es hat mir sehr gut getan, alle meine Lieben hinter mir zu wissen.

Mein Handy hat ständig geklingelt, und ich gestehe, dass ich mich deshalb kaum außerhalb des Platzes habe blicken lassen. Ich war allein durch die körperliche Beanspruchung so müde, dass ich meine Kräfte sammeln musste. Das ist etwas, was ich jetzt im nächsten Schritt meiner Karriere lernen muss: mit dem gesteigerten Interesse der Öffentlichkeit klarzukommen und trotzdem auch die Belastung von Matches auf konstant hohem Niveau wegzustecken. Nach so einer Woche steigt mein Respekt vor meinem Idol Roger Federer ins Unermessliche. Ich kann mir nur schwer vorstellen, wie man es schaffen kann, so bekannt und gleichzeitig so professionell zu sein wie er.

Ein Souvenir habe ich mir nicht mitgenommen, und einen Wunsch, den ich mir von meinem Preisgeld (11250 Euro, d. Redaktion) erfüllen könnte, habe ich auch nicht. Das Geld werde ich sicher zum Jahresende hin brauchen, wenn ich mit meinem Kumpel Frederik Böse unsere schon lang geplante WG in Hamburg beziehe. Ansonsten bin ich wunschlos glücklich, wenigstens was das Materielle angeht. Für die nächsten Monate meiner Karriere wünsche ich mir natürlich, dass ich gesund bleibe und weitere Punkte für den Sprung unter die Top 100 der Welt sammeln kann.

Mein Ziel ist es, bei den Australian Open im Januar im Hauptfeld zu stehen, und am Rothenbaum habe ich gespürt, dass ich tatsächlich mit den Besten der Welt mithalten kann. Die Journalisten haben gefragt, ob ich nicht für das Daviscup-Relegationsspiel gegen Südafrika Mitte September in Stuttgart infrage käme, aber dort sehe ich mich noch nicht. Dazu muss ich meine Leistung bestätigen und stabilisieren. Was nicht heißt, dass ich mich gegen eine Einladung wehren würde. Teamchef Patrik Kühnen hat mich gelobt. Ich solle so weitermachen, hat er gesagt. Ich werde mir alle Mühe geben, auf ihn zu hören!