Daniel Brands ist im Achtelfinale von Wimbledon der letzte verbliebene Deutsche

London. Der Mann hat Mut. Und so schnappte sich Daniel Brands am Sonntag sein Deutschland-Trikot aus dem Koffer und machte sich auf den Weg, um irgendwo in London die Truppe von Joachim Löw seelisch-moralisch und auch mal mit "ordentlichem Gebrüll" zu unterstützen. Kneifen und Bangemachen gilt nun mal nicht für den 22-Jährigen in diesen verrückten Tagen, in denen er sein größtes Tennisabenteuer erlebt. In denen er den amtierenden Weltmeister Nikolai Dawidenko von den gepflegten Grüns von Wimbledon vertreibt, in denen er auch ein hitziges Skandalspiel gegen den Rumänen Victor Hanescu übersteht, dabei vier Matchbälle abwehrt und nun als letzter Deutscher grüßt. "Ich lebe wie in einem Traum", sagt der Niederbayer.

Aus lichter Höhe von 1,96 Meter betrachtet Brands die Welt des Wanderzirkus schon etwas länger. Doch was er nun im Frühling und Sommer 2010 sieht, ist so erfreulich wie noch nie in seiner Laufbahn. Denn der tüchtige Deggendorfer scheint endlich den Anschluss an die erweiterte Weltspitze gefunden zu haben. Brands ist wie geschaffen für das Powerspiel auf dem Rasen. Mit seinem harten, kompromisslosen Aufschlag und den wuchtigen, manchmal überwältigend schnellen Grundschlägen kann er vielen Ärger bereiten. Auch einem wie dem Tschechen Tomas Berdych, dem er heute im Achtelfinale gegenübertritt. "Meine Reise kann noch weitergehen", sagt Brands, der in der Weltrangliste auf Platz 98 geführt wird.

Erstaunlich cool präsentierte sich der Debütant auch am Freitagabend, als sein Gegenüber Hanescu durchdrehte, in die Richtung von lärmenden Zuschauern spuckte und dann das Spiel so offenkundig abschenkte, dass ihm eine 12 000-Euro-Strafe aufgebrummt wurden. "Der war so sauer, weil ich diese Matchbälle abgewehrt habe. Am Ende hatte er einen richtigen Blackout", sagt Brands. Der stille Riese konzentriert sich am liebsten auf sich selbst. Und weil der zupackende Rechtshänder gerade erst so richtig auf den Dreh im Tennisgeschäft gekommen ist, prophezeit ihm nicht nur ein Beobachter wie Daviscup-Teamchef Patrik Kühnen "eine starke, erfolgreiche Zeit" und eine "vielversprechende Zukunft". Wo genau das alles enden soll, weiß auch Brands nicht. "Ich setze mir keine vermessenen Ziele. Aber ich denke, dass ich die Top 30 schaffen kann."

Wie eine Initialzündung wirkte für Brands der letztjährige Auftritt bei den Münchner BMW Open - bei seinem erklärten Lieblingsturnier wirbelte der "Turm von Deggendorf" damals fast rauschhaft über den Sand und war erst im Halbfinale zu stoppen. "Das Turnier zeigte mir eigentlich zum ersten Mal: Ich kann mit den wirklich Guten mithalten, ich muss mich nicht verstecken", sagt Brands, "ich bin da mit einem guten Schub Selbstbewusstsein weggefahren." Jedenfalls reichte das Auftanken fürs eigene Ego auch noch umgehend für den ersten Sieg über einen Top-Ten-Spieler. Das Geschenk einer Wildcard von Hamburgs Turnierchef Michael Stich nahm Brands im Sommer 2009 artig entgegen und revanchierte sich für so viel Vertrauen mit dem Coup gegen Frankreichs Gilles Simon. Auch in diesem Jahr tritt er mit einer Wildcard am Rothenbaum an.

Eine große Überraschung verpasste Daviscupspieler Philipp Petzschner. Der Bayreuther musste sich dem spanischen Weltranglistenersten Rafael Nadal nach 3:45 Stunden Spielzeit mit 4:6, 6:4, 7:6 (7:5), 2:6 und 3:6 geschlagen geben und ärgerte sich anschließend über einige Situationen, in denen er seine Linie verloren hatte. "Hier wäre mehr möglich gewesen", sagte Petzschner. Ausgeschieden ist auch der Lübecker Qualifikant Tobias Kamke, der dem Franzosen Jo-Wilfried Tsonga mit 1:6, 4:6 und 6:7 (1:7) unterlag.