John Isner und Nicolas Mahut brachen in Wimbledon alle Rekorde. Ihr Erstrundenmatch dauerte elf Stunden

London. Die Tage kamen und gingen auf Platz 18 des All England Clubs. Ballkinder wechselten wie Zuschauer, Linienrichter wurden ausgetauscht, doch die beiden Männer, die sich am Dienstag, Mittwoch und Donnerstag auf dem grünen Rasen gegenüberstanden, blieben dieselben: John Isner, ein Zwei-Meter-Hüne aus North Carolina, und Nicolas Mahut, ein sehniger Qualifikant aus Angers, dem Westen Frankreichs.

Während die Welt sich weiterdrehte, während England und Deutschland sich für ein WM-Duell qualifizierten, während in Wimbledon zwischendurch mal der Strom und die Wasserversorgung ausfielen, die U-Bahn bestreikt wurde und die Queen zur ersten Visite im Rasenimperium zu Gast war, spielten diese beiden Männer Tennis. Weiter, immer weiter. Vier, fünf, sechs Stunden. Acht, neun, zehn, elf Stunden.

Sie spielten ein Spiel, über das man noch in Jahrzehnten sprechen wird. Sie spielten ein Spiel für die Ewigkeit, ein Spiel der Rekorde und Bestleistungen, das es so nie mehr geben wird. Und als sie elf Stunden und fünf Minuten gespielt hatten, da war es endlich vorüber. Das längste, verrückteste und unglaublichste Duell aller Zeiten. Mit John Isner als 6:4, 3:6, 7:6, 6:7, 70:68-Sieger, weil es in Wimbledon im fünften Satz keinen Tiebreak gibt.

Noch auf dem Platz, der für immer mit diesem Spiel verbunden sein wird, ehrte der All England Club beide Spieler und Schiedsrichter Mohammad Lahjani mit einem Erinnerungsgeschenk und dankte ihnen "für einen sporthistorischen Moment, von dem noch Generationen sprechen werden". Beide Hauptdarsteller des Dramas posierten unter tosendem Beifall vor der Anzeigetafel, auf der das Basketball-Resultat des fünften Satzes abgebildet war. "Ich war zu aufgepumpt, um müde zu sein", sagte Isner, der 112 Asse ins Feld von Mahut ballerte, "ich habe einfach immer weitergemacht". Selbst am dritten Tag des denkwürdigen Schauspiels dauerte die Partie noch einmal eine Stunde und vier Minuten, von 15.43 Uhr bis 16.47 Uhr.

Beim Gleichstand von 59:59 im fünften Satz waren Isner, der Riese, und Mahut, der Schlaks, am Mittwochabend zur Unterbrechung der legendären Partie gezwungen worden - in der Dunkelheit konnten beide Spieler kaum noch den Ball sehen. Genau so wie am Donnerstag bahnten sich beide dann den Weg durch ein Spalier von Tausenden von Zuschauern, die Platz 18 umringt hatten. "Was diese beiden Spieler gezeigt haben, zählt zum Größten, was es in diesem Sport je gegeben hat. Das war pures Heldentum", sagte Amerikas früherer Superstar John McEnroe.

Als der Zweikampf schließlich sein Ende gefunden hatte, mit dem 980. Punkt, waren alle Rekorde aus den Geschichtsbüchern getilgt. Mit elf Stunden und fünf Minuten hatten Isner und Mahut das bisher längste Grand-Slam-Match zwischen den Franzosen Fabrice Santoro und Arnaud Clement weit in den Schatten gestellt, das 2004 bei den French Open 6:33 Stunden gedauert hatte. Superlative gab es im Serienangebot auf Platz 18, dem Ort einer wunderlichen und verrückten Tennis-Grenzerfahrung: Es gab die meisten Asse in einem Spiel, sowohl individuell (Isner, 112) wie kombiniert (Isner und Mahut, 215), es gab den längsten Entscheidungssatz, und es gab die meisten Spiele in einem Match (bisher 183).

Doch was Schwarz auf Weiß die Statistikfreaks in Entzücken versetzte, die nackten Zahlen und Fakten zu diesem Jahrhundertspiel, das konnte nicht annähernd die Leistung beider Profis beschreiben - zweier Männer, die Größeres leisten als so mancher Grand-Slam-Champion. "Das ist eine der unglaublichsten Geschichten im Tennis, im Sport insgesamt", befand Wimbledonkönig Roger Federer, der wie die meisten Superstars in der Player's Lounge oder in seinem angemieteten Wimbledon-Haus gebannt jeden Ballwechsel auf Platz 18 verfolgte. Als Federer am Mittwochnachmittag zu seinem Match gegen den Serben Ilija Bozoljac auf Court 1 schritt, stand es in der Partie zwischen Mahut und Isner 11:11. Als er nach seinem mühsamen Vier-Satz-Sieg zurückkam in die Umkleidekabine, warf er sofort einen Seitenblick auf den erstbesten Monitor und sah, "dass es immer noch nicht zu Ende war, bei 54:54 oder so. Was kann man da noch sagen. Das ist nicht mit Worten zu fassen."

Selbst ein Ausscheiden der Branchengrößen hätte am Mittwoch oder Donnerstag kaum für große Erschütterungen gesorgt. Denn wie ein magnetisches Kraftzentrum schluckte der faszinierende Tennismarathon zwischen Isner und Mahut alle Sinne und Energien auf, selbst vom Centre-Court strömten Tausende Fans zu den Großleinwänden, um dort die Live-Übertragungen der BBC von Platz 18 zu verfolgen. Auch die Technik kapitulierte zwischenzeitlich vor dem Monströsen, Außergewöhnlichen und Einzigartigen dieser Partie: Beim Gleichstand von 50:50 fiel der Ergebnisdienst komplett aus, in den Live-Tickern im Internet wurde fortan statt 55:55 nur noch 5:5 angezeigt. "Kein Wunder", befand die "Times", "bei einem Spiel, das das Gesicht des Tennis verändert hat."

Was war das Phänomenalste an diesem Spiel? Es war vor allem die pure Qualität, die Klasse des Duells. In sieben Stunden und vier Minuten gab es am Mittwoch kein einziges Break im fünften Satz, 67 Mal holte Mahut, der Qualifikant von Weltranglistenplatz 148, insgesamt den Rückstand gegen Aufschlagriese Isner auf. "Ich weiß selbst nicht, wie ich das so lange schaffen konnte", sagte der Franzose, der sich später freute, "dass ich im größten Spiel aller Zeiten dabei war". Mahut hatte schon in der Qualifikation für beträchtliches Aufsehen gesorgt und beim 3:6, 6:3, 24:22-Sieg gegen den Briten Alex Bogdanovic schon einmal vier Stunden auf dem Platz verbracht.